Die Opfer schützen
Der fünfzehnte Frauenmord innerhalb eines Jahres sorgt in Österreich für eine Debatte um geeignete Gegenmaßnahmen
Ihr Mörder hatte sie an einen Baum gelehnt. Und so wurde sie gefunden, am Samstag in den frühen Morgenstunden von Passanten: Blau geschlagen, erstickt, tot. Auf einem Grünstreifen abgelegt, gleich neben der Fahrbahn. Kein Ausweis, kein Hinweis, wer sie denn war. Zwei Tage dauerte es, um das herauszufinden. Und dann: 13 Jahre war die junge Frau alt, gerade einmal ein Teenager. Die Eltern des Mädchens hatten sich an die Polizei gewandt, nachdem eine detaillierte Beschreibung der Kleidungsstücke der Toten veröffentlicht worden war, und ihre Tochter so identifiziert.
„Wir ermitteln auf Hochtouren. Es werden zahlreiche Einvernahmen im Umfeld des Mädchens durchgeführt“, sagte gestern ein Polizeisprecher. Ermittelt wird jetzt vor allem einmal, wie das aus Niederösterreich stammende Mädchen nach Wien kam, weshalb und mit wem. Solche Aussagen aber haben mittlerweile eine gewisse Routine.
Es war der fünfzehnte Frauenmord in diesem Jahr in Österreich und der letzte in einer ganzen Reihe. In den allermeisten Fällen waren es Ex-Partner oder Lebensgefährten, die der Taten verdächtigt werden. Und die Mordreihe lässt sich in keiner Weise festmachen an sozialen Gruppen, Milieus oder kulturellen Kreisen. Sie zieht sich quer durch alle Gesellschaftsschichten. Da war etwa der Fall eines Wiener Bierwirts, bekannt durch einen jahrelangen Rechtsstreit mit der heutigen Fraktionschefin der Grünen. Er wird dringend verdächtigt, seine Ex-Lebensgefährtin erschossen haben. Und da gab es Fälle in wohlsituierten Familien.
Österreich, das ist eines der wenigen Länder Europas, in denen laut Statistik mehr Frauen ermordet werden als Männer. Und das seit Jahren.
Das allerdings sei eine statistische Besonderheit, die laut der forensischen Psychiaterin Adelheid Kastner in einem größeren Kontext gesehen werden müsse: Denn diese Zahl, die könne man von zwei Seiten sehen. Österreich, so Adelheid Kastner, habe generell eine niedrige Mordrate und kaum kriminelle Subkulturen oder Bandenkriminalität. Und das sind Bereiche, die vor allem die Mordrate unter Männern hochtreiben. „Dahingehend“,
so Kastner, „ist Österreich ein sehr sicheres Land.“Das führe wiederum dazu, dass es im Verhältnis eben eine hohe Rate an Frauenmorden gebe. Dass Österreich an der Gesamtbevölkerung gemessen aber mehr Morde an Frauen verzeichne, weist die Medizinerin zurück.
Problematische Grundbedingungen Dennoch spricht sie von problematischen Grundbedingungen. Ein „Konvolut an Gründen“, wie sie es nennt, die hinter der aktuellen Häufung stünden: „Eine nach wie vor sehr traditionelle Haltung, was Rollenbilder angeht, wer das Sagen
hat in einer Partnerschaft und wer sich zu fügen hat.“Das ziehe sich durch die gesamte Gesellschaft. Und so sei eben auch die Reihe an Morden, wie sie sagt, eben „kein klassisches Unterschichtphänomen, kein PrekariatsThema.“
Die jüngste Häufung von Gewaltdelikten an Frauen, die hat bereits eine politische Debatte nach sich gezogen: Zuletzt hatte sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit Experten und Opferschutzverbänden sowie Experten in der Täter-Arbeit demonstrativ ausgetauscht. Damals sagte er: Der jüngste Fall – und damit war der vierzehnte Frauenmord gemeint –, der habe „auf dramatische und traurige Weise gezeigt, dass noch immer zu wenig getan wird, um Frauen vor Gewalt zu schützen“.
Auch rechtliche Folgen wird es geben: Die Sicherheitsbehörden dürfen künftig personenbezogene Daten zum Schutz gefährdeter Menschen auch dann an Interventionsstellen übermitteln, wenn noch kein Annäherungsverbot verhängt wurde. Da gab es bisher massive Probleme mit dem Informationsfluss. Und zur Durchsetzung des Annäherungsverbots sollen künftig Namen und Kontaktdaten gefährdeter Personen in einer zentralen Datei gespeichert werden. Denn auch da gab es Lücken. Zudem soll in den Gewaltschutz investiert werden: Dieser Bereich erhält zusätzliche 24,6 Millionen Euro. Das allerdings ist weit weniger, als von Gewaltschutzeinrichtungen angemahnt. Diese hatten 228 Millionen gefordert. Dass es deutlich weniger Geld gibt als von Gewaltschutzorganisationen gefordert, verteidigte Frauenministerin Susanne Raab: Man dürfe das Paket nicht nur aufs Budget reduzieren, schließlich gehe es vor allem um eine bessere Vernetzung.
Dabei verortet Adelheid Kastner das Problem weniger in den bestehenden Maßnahmen als in der Umsetzung und einer Grundhaltung: „Wenn die Nicht-Einhaltung einer Wegweisung bei entsprechender Risikoeinschätzung keine wesentlichen Folgen hat, dann ist das zahnlos“, sagt sie. Das rechtliche Regelwerk nennt sie „an sich gut“. Die Umsetzung allerdings, die sei immer wieder „suboptimal“und das Vertrauen der Betroffenen in die möglichen Schutzmaßnahmen immer wieder zurecht nicht sehr groß.