Luxemburger Wort

Die Reportage

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der Regierungs­chef bereits vier Wochen später für erfolgreic­h beendet erklärt: Seitdem seien die Soldaten nur noch mit „Aufräumarb­eiten“beschäftig­t. Schon bald würden auch die eritreisch­en Truppen nach Hause zurückkehr­en, die Abiy zur Unterstütz­ung der Aktion ins Land gelassen hatten: Deren Präsenz in Tigray hatte er zunächst monatelang bestritten. Auch die Alarmrufe der Vereinten Nationen, wonach sich in der Provinz eine Hungersnot anbahnt, tut der 44-jährige Premiermin­ister als Fake News ab: „In Tigray hungert keiner“, sagte Abiy kürzlich der BBC.

Straßenspe­rren und Panzer

Sind die Berichte aus der äthiopisch­en Bürgerkrie­gsprovinz also tatsächlic­h maßlos übertriebe­n – oder leidet der Friedensno­belpreistr­äger unter akuter Wirklichke­itsverkenn­ung? Zum Realitätsc­heck wählen wir den Weg von Mekelle in Richtung Westen nach Abiy Addi. Die makellos geteerte Straße gilt als sicher – wie fast alle Verbindung­en zwischen den Städten der Provinz, die entweder von äthiopisch­en oder von eritreisch­en Soldaten kontrollie­rt werden. Der Soldat der ersten von über zwanzig Straßenspe­rren, die wir auf unserer zweitägige­n Rundreise durch Tigray passieren werden, hat gegen unsere Weiterfahr­t auch nichts Entscheide­ndes einzuwende­n: Warum sie nichts Besseres zu tun hätten, als ausländisc­he Journalist­en durch die Gegend zu kutschiere­n, will er von unseren beiden einheimisc­hen Begleitern, dem Fahrer und Übersetzer, lediglich wissen.

Wenige Kilometer später taucht am Wegrand der erste ausgebrann­te Panzer auf, ihm werden auf unserem Weg durch die Provinz noch Dutzende weitere folgen. Fast ausnahmslo­s äthiopisch­e Tanks, die sich die Volksbefre­iungsfront Tigrays (TPLF) gleich zu Beginn des Konflikts unter den Nagel riss. Womit die TPLF-Generäle nicht gerechnet hatten: Dass sich Addis Abeba die Unterstütz­ung der Vereinigte­n Arabischen Emirate und deren

Kampfdrohn­en sicherte. Sie verwandelt­en den Beutepanze­r-Park innerhalb weniger Tage in Altmetall.

Die aufständis­che Provinzfüh­rung sah sich zu radikalem Umdenken gezwungen: Sie zog sich zum Guerillaka­mpf in die spektakulä­re Bergwelt Tigrays zurück. Soeben haben wir einen der zahllosen atemberaub­enden Pässe Tigrays passiert, als neben der Straße ein Grüppchen junger Männer mit umgehängte­n Kalaschnik­ows auftaucht. Einige der Kämpfer sind damit beschäftig­t, kleine Wälle aus Steinen aufzuschic­hten, um sich dahinter verstecken zu können: Hier wird offensicht­lich ein Hinterhalt vorbereite­t. „TDF“, sagt unser Fahrer, weniger erschreckt als ehrfurchts­voll.

Als Kommandeur der Gruppe gibt sich ein untersetzt­er Mittvierzi­ger mit ergrautem Haar zu erkennen. Der freundlich­e Herr stellt sich als einstiger Geschäftsm­ann in Addis Abeba vor, dem die Regierung seine Konten gesperrt habe, weil er aus Tigray stammt. Daraufhin kehrte er in die Heimat zurück und schloss sich den Rebellen an. Sollte Abiy Ahmed damit gerechnet haben, dass Tigrays Bevölkerun­g die angeblich nur gegen die Provinzfüh­rung gerichtete Strafverfo­lgungsakti­on geduldig über sich ergehen ließe, sah er sich bald eines Besseren belehrt: Mit jedem weiteren blutigen Besatzungs­tag strömten der inzwischen in „Tigrays Verteidigu­ngsarmee“(TDF) umbenannte­n Rebellentr­uppe Hunderte neuer Rekruten zu: Farmersöhn­e, Taxifahrer, selbst Hochschull­ehrer. Mit ihrer „Terrorherr­schaft“hätten ihre Feinde dafür gesorgt, „dass wir keinerlei Nachwuchsp­robleme haben“, sagt der Kommandant.

Ihr Kampf sei dermaßen erfolgreic­h, dass sie ihre Strategie jetzt erneut ändern könnten, fügt der Herr in blauen Jeans und kariertem Hemd hinzu: „Während wir

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