„Alles verschwand in den Flammen“
Hitzewelle und Feuer verwüsten kanadische Provinz British Columbia – Die Ortschaft Lytton ist fast komplett zerstört
Die im Westen Kanadas gelegene Provinz British Columbia erlebt einen katastrophalen Sommer. Eine Hitzewelle bislang unbekannter Intensität und nun Waldbrände, die außer Kontrolle geraten sind, bedrohen die Menschen. Das Dorf Lytton liegt in Schutt und Asche, für mehrere Gemeinden wurde Evakuierungsalarm gegeben. Mindestens zwei Todesopfer sind zu beklagen.
Gordon Murray ist froh, dass er und sein Partner mit dem Leben davonkamen. Als am Mittwochabend der Evakuierungsalarm für die kleine, wenige Hundert Einwohner zählende Gemeinde Lytton kam, hatten sie nur wenige Minuten, um ein paar Habseligkeiten ins Auto zu packen, dann rasten sie davon. Während der Fahrt machten sie ein Video, das die ganze vernichtende Gewalt des Feuers zeigt. Sie fuhren in dicke Rauchwolken hinein, nicht wissend, ob sie nicht mitten in ein Feuer fahren. Links und rechts brannten Häuser, in Sekundenschnelle wurden Bäume zu brennenden Fackeln. Von den Seiten schlugen Flammen auf die Straße und sie konnten mehrmals mit knapper Not ausweichen. „Es war eine apokalyptische Szene. Alles verschwand in den Flammen“, so Murray. Er weiß nicht, ob von seinem Haus irgendetwas übrig blieb.
Aber er kann noch von Glück sprechen. Er erreichte das etwa 250 Kilometer südwestlich liegende Vancouver und fand Unterkunft bei Verwandten.
Eine Tragödie erlebte dagegen Jeff Chapman, der zu Besuch bei seinen Eltern war. Sie sahen den Rauch, dann kam der Evakuierungsbefehl, aber es war zu spät. Das Feuer hatte das Haus umzingelt. Die Eltern versuchten Schutz in einer Baugrube zu finden. Ihr Sohn hoffte ein wenig abseits des Hauses von den Flammen verschont zu bleiben. Und dann musste er ansehen, wie ein brennender hölzerner Strommast auf die Grube fiel, in der seine Eltern kauerten. „Es ist nun ihr Grab“, sagte Chapman der „Vancouver Sun“.
Er macht sich Vorwürfe, dass er seinen Eltern nicht helfen konnte. Da die Polizei- und Rettungskräfte noch nicht nach Verletzten oder Todesopfern suchen konnten, gab es aus Lytton bis Freitagmorgen noch keine offiziell bestätigten Angaben über den Verlust von Menschenleben. In der Nähe von Lytton haben mehrere First Nations ihre Territorien und Siedlungen. Auch sie mussten fliehen. Wie weit deren oft vereinzelt stehende Häuser
beschädigt oder ganz vernichtet wurden, ist ebenfalls noch nicht abzusehen. Seine Gemeinde erlebe ein unglaubliches Maß an „Zerstörung und Verlust“, sagte John Haugan, der stellvertretende Chief der Lytton First Nation. Die First Nation versucht nun, Kontakt zu allen Mitgliedern aufzunehmen um einen Überblick zu bekommen, ob sich alle in Sicherheit bringen konnten.
Mehrere Bewohnerinnen und Bewohner Lyttons, die vor dem Feuer geflohen waren, suchen nach ihren Angehörigen. Lytton ist weitgehend abgebrannt. Luftaufnahmen zeigen das Ausmaß der Katastrophe. „Die meisten Wohnhäuser und Gebäude des Dorfes sind zerstört“, sagt Mike Farnworth, Innenminister von Britisch Columbia.
Fast 100 Busch- und Waldbrände In der ganzen Provinz vom Norden bis an die Grenze zu den USA sieht die Lage dramatisch aus. Die für die Waldbrandbekämpfung zuständige Behörde BC Wildfire meldet nahezu 100 Wald- und Buschbrände. Die neun größten und gefährlichsten Brände bedecken mittlerweile zusammen eine Fläche von mehr 600 Quadratkilometer. Für ein halbes Dutzend Gemeinden wurde Evakuierungsalarm gegeben. Nördlich von Kamloops hat sich ein Feuer auf 200 Quadratkilometer ausgeweitet und 163 Wohnhäuser wurden dort bereits evakuiert.
Kanadas Waldfläche ist gewaltig. 3,3 Millionen Quadratkilometern, rund 35 Prozent des Landes sind von Wald bedeckt. Das entspricht neun Prozent der Waldfläche der Welt. Der weitaus größte Teil der Wälder Kanadas sind so genannte boreale Wälder, überwiegend Nadelwälder in den kühlen Zonen, die sich über den Kanadischen Schild erstrecken. Waldbrände vernichten jährlich etwa ein Prozent der Waldfläche.
„Das ist das ,worst case'-Szenario“, sagt Johanna Wagstaffe, Meteorologin beim kanadischen Rundfunk CBC. Beunruhigend ist, dass in diesem Jahr die Feuersaison so früh beginnt. Meteorologen sehen in den Ereignissen von british Columbia einen Beleg für die Klimaveränderungen und den Klimawandel. Sie fürchten, dass sich Länder wie Kanada in Zukunft auf eine Häufung derartiger extremer Wetterlagen einstellen muss.
Auch für Gordon Murray, der den Flammen entkam, steht dies außer Zweifel. „Was wir hier erleben, ist die Speerspitze des Klimawandels“, meint er. Der Bürgermeister von Lillooet, Peter Busse, kämpf mit den Emotionen. Seine Gemeinde hat die Nachbarn aus Lytton aufgenommen, in der Schulturnhalle wurden Notbetten aufgestellt. „Es ist sehr emotional – und verheerend“, sagt er.