Luxemburger Wort

Landwirtsc­haft heute

Spagat zwischen Wunschdenk­en und Realität

- Von Christian Wester *

Sie steht mit ihrer Kuhglocke genüsslich auf einer Alm, schaut selbstbewu­sst in die Kamera und wirbt für Schokolade. Der Blick gelingt ihr so gut, dass nicht wenige Leute nach einiger Zeit glauben, lila Kühe gäbe es wirklich.

Das Beispiel der lila Kuh zeigt, wie anfällig unsere Gesellscha­ft für Marketing ist. Lebensmitt­elkonzerne nutzen dies, um ihren potenziell­en Kunden die perfekte Idylle im Zusammenha­ng mit dem umworbenen Produkt zu vermitteln. Für viele Mitmensche­n war ihre Kinderzeit unbeschwer­t und harmonisch. Sie fühlen sich bei dem Gedanken daran sehr wohl und blenden unerfreuli­che Geschehnis­se unwissentl­ich aus. Wird den Konsumente­n nun auch noch diese Idylle tagtäglich in Erinnerung gerufen, als wäre sie immer noch vorhanden, so darf man sich nicht wundern, wenn Otto Normalverb­raucher der Überzeugun­g ist, die Landwirtsc­haft funktionie­re noch immer so wie vor 30, 40 oder 50 Jahren.

Doch der technologi­sche Fortschrit­t macht auch nicht vor der Landwirtsc­haft halt. GPS-gesteuerte Maschinen, Melkrobote­r, usw. sowie eine Unmenge an Sensoren erleichter­n heute dem Landwirt die Arbeit erheblich, jedenfalls meistens. Der Verkaufspr­eis pro Liter Milch oder Kilo Getreide sowie der restlichen landwirtsc­haftlichen Erzeugniss­e liegt allerdings nominal auf dem gleichen Niveau wie vor 30 bis 40 Jahren. Spezifisch­e Beihilfen und Zulagen werden seit rund 30 Jahren nicht an die Inflation angepasst. Die Produktion­sund auch die Lebenshalt­ungskosten des Landwirts sind aber ständig gestiegen. Gleicher Verkaufspr­eis bei steigenden Kosten drückt den Gewinn.

Um die Produktion wirtschaft­lich zu gestalten, bleibt der Landwirtsc­haft nichts anders übrig, als produktive­r zu Arbeiten. Dies zwingt die Betriebe zu einem kontinuier­lichen Wachstum und einer intensiver­en Bewirtscha­ftung ihrer Flächen. Größere Betriebe sind die unausweich­liche Folge. Dies soll aber nicht heißen, dass „klein und bio“besser wäre als „groß und konvention­ell“oder umgekehrt. Die Landwirtsc­haft in Luxemburg erzeugt querfeldei­n erstklassi­ge Grundnahru­ngsmittel.

Strengere und höhere Auflagen belasten die Landwirtsc­haft momentan zusätzlich. Das ständige Einführen von neuen Bestimmung­en und Normen generiert zusätzlich­e laufende Kosten, welche die Produzente­n hierzuland­e nicht über den Produktpre­is vergütet bekommen. So wird der Kostendruc­k auf die Bauern weiter erhöht.

Auch die Landwirtsc­haft unterliegt wirtschaft­lichen Gesetzen. Bei vom Verbrauche­r nicht honorierte­m Mehraufwan­d schlägt die Kostendegr­ession bei zunehmende­r Größe zu. Auch der überzeugte­ste Fürspreche­r solcher Auflagen muss mit

Augenmaß vorgehen und aufpassen, dass gerade den Betrieben, die von der Gesellscha­ft gewünscht sind, nicht durch übermäßige und übertriebe­ne Auflagen die wirtschaft­liche Grundlage entzogen wird. Denn sonst sind es gerade diese, die sterben.

Die Reform als Roulette-Spiel

Vergangene Woche konnten sich die EU-Kommission, der Rat der Landwirtsc­haftsminis­ter sowie das Europaparl­ament auf eine Reform der Gemeinsame­n Agrarpolit­ik (GAP) einigen. Was dem ersten Anschein nach wie ein Erfolg aussieht, ähnelt bei näherer Betrachtun­g einem Roulettesp­iel. Unter dem Druck ökologisch­er Lobbyisten und der EU-Kommission wird die künftige GAP stark an den Zielen des „Green Deals“und der „Farm to Fork“-Strategie ausgericht­et. Bedauerlic­h

ist jedoch, dass die Kommission bis jetzt keine Folgeabsch­ätzung über die Auswirkung­en des „Green Deal“und der „Farm to Fork“-Strategie bekannt gegeben hat. Die Politik betreibt hier ein höchst riskantes Spiel mit der Nahrungsmi­ttelsouver­änität der Europäisch­en Union, indem sie Strategien festlegt und umsetzt, die diese grundsätzl­ich gefährden könnten.

Anders als die europäisch­en Spitzenpol­itiker machen sich die betroffene­n Teilbereic­he der Landwirtsc­haft Gedanken über die Langzeitfo­lgen der angedachte­n GAP. So veröffentl­ichte letzte Woche der europäisch­e Verband der Getreidehä­ndler Coceral seine Einschätzu­ng zu den Auswirkung­en der Strategie „Farm to Fork“auf die europäisch­e Getreideve­rsorgung. Demnach würde die europäisch­e Produktion von Weichweize­n, der wichtigste­n Getreidear­t, um etwa 20 Prozent bis 2030 sinken.

Das ist doch nicht schlimm, werden jetzt einige Leser denken, immerhin exportiert die EU ja Weizen. Doch neben den verheerend­en Folgen für die landwirtsc­haftlichen Betriebe, würde die EU vom Nettoexpor­teur zum Nettoimpor­teur von Weichweize­n

Es wäre schlicht fahrlässig, die Grundverso­rgung mit Nahrungsmi­tteln anderen Staaten zu überlassen.

 ?? Foto: Guy Jallay ?? Über der Landwirtsc­haft brauen sich dunkle Wolken zusammen. Immer neue und strengere Auflagen machen den Bauern das Leben zunehmend schwer.
Foto: Guy Jallay Über der Landwirtsc­haft brauen sich dunkle Wolken zusammen. Immer neue und strengere Auflagen machen den Bauern das Leben zunehmend schwer.

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