Landwirtschaft heute
Spagat zwischen Wunschdenken und Realität
Sie steht mit ihrer Kuhglocke genüsslich auf einer Alm, schaut selbstbewusst in die Kamera und wirbt für Schokolade. Der Blick gelingt ihr so gut, dass nicht wenige Leute nach einiger Zeit glauben, lila Kühe gäbe es wirklich.
Das Beispiel der lila Kuh zeigt, wie anfällig unsere Gesellschaft für Marketing ist. Lebensmittelkonzerne nutzen dies, um ihren potenziellen Kunden die perfekte Idylle im Zusammenhang mit dem umworbenen Produkt zu vermitteln. Für viele Mitmenschen war ihre Kinderzeit unbeschwert und harmonisch. Sie fühlen sich bei dem Gedanken daran sehr wohl und blenden unerfreuliche Geschehnisse unwissentlich aus. Wird den Konsumenten nun auch noch diese Idylle tagtäglich in Erinnerung gerufen, als wäre sie immer noch vorhanden, so darf man sich nicht wundern, wenn Otto Normalverbraucher der Überzeugung ist, die Landwirtschaft funktioniere noch immer so wie vor 30, 40 oder 50 Jahren.
Doch der technologische Fortschritt macht auch nicht vor der Landwirtschaft halt. GPS-gesteuerte Maschinen, Melkroboter, usw. sowie eine Unmenge an Sensoren erleichtern heute dem Landwirt die Arbeit erheblich, jedenfalls meistens. Der Verkaufspreis pro Liter Milch oder Kilo Getreide sowie der restlichen landwirtschaftlichen Erzeugnisse liegt allerdings nominal auf dem gleichen Niveau wie vor 30 bis 40 Jahren. Spezifische Beihilfen und Zulagen werden seit rund 30 Jahren nicht an die Inflation angepasst. Die Produktionsund auch die Lebenshaltungskosten des Landwirts sind aber ständig gestiegen. Gleicher Verkaufspreis bei steigenden Kosten drückt den Gewinn.
Um die Produktion wirtschaftlich zu gestalten, bleibt der Landwirtschaft nichts anders übrig, als produktiver zu Arbeiten. Dies zwingt die Betriebe zu einem kontinuierlichen Wachstum und einer intensiveren Bewirtschaftung ihrer Flächen. Größere Betriebe sind die unausweichliche Folge. Dies soll aber nicht heißen, dass „klein und bio“besser wäre als „groß und konventionell“oder umgekehrt. Die Landwirtschaft in Luxemburg erzeugt querfeldein erstklassige Grundnahrungsmittel.
Strengere und höhere Auflagen belasten die Landwirtschaft momentan zusätzlich. Das ständige Einführen von neuen Bestimmungen und Normen generiert zusätzliche laufende Kosten, welche die Produzenten hierzulande nicht über den Produktpreis vergütet bekommen. So wird der Kostendruck auf die Bauern weiter erhöht.
Auch die Landwirtschaft unterliegt wirtschaftlichen Gesetzen. Bei vom Verbraucher nicht honoriertem Mehraufwand schlägt die Kostendegression bei zunehmender Größe zu. Auch der überzeugteste Fürsprecher solcher Auflagen muss mit
Augenmaß vorgehen und aufpassen, dass gerade den Betrieben, die von der Gesellschaft gewünscht sind, nicht durch übermäßige und übertriebene Auflagen die wirtschaftliche Grundlage entzogen wird. Denn sonst sind es gerade diese, die sterben.
Die Reform als Roulette-Spiel
Vergangene Woche konnten sich die EU-Kommission, der Rat der Landwirtschaftsminister sowie das Europaparlament auf eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) einigen. Was dem ersten Anschein nach wie ein Erfolg aussieht, ähnelt bei näherer Betrachtung einem Roulettespiel. Unter dem Druck ökologischer Lobbyisten und der EU-Kommission wird die künftige GAP stark an den Zielen des „Green Deals“und der „Farm to Fork“-Strategie ausgerichtet. Bedauerlich
ist jedoch, dass die Kommission bis jetzt keine Folgeabschätzung über die Auswirkungen des „Green Deal“und der „Farm to Fork“-Strategie bekannt gegeben hat. Die Politik betreibt hier ein höchst riskantes Spiel mit der Nahrungsmittelsouveränität der Europäischen Union, indem sie Strategien festlegt und umsetzt, die diese grundsätzlich gefährden könnten.
Anders als die europäischen Spitzenpolitiker machen sich die betroffenen Teilbereiche der Landwirtschaft Gedanken über die Langzeitfolgen der angedachten GAP. So veröffentlichte letzte Woche der europäische Verband der Getreidehändler Coceral seine Einschätzung zu den Auswirkungen der Strategie „Farm to Fork“auf die europäische Getreideversorgung. Demnach würde die europäische Produktion von Weichweizen, der wichtigsten Getreideart, um etwa 20 Prozent bis 2030 sinken.
Das ist doch nicht schlimm, werden jetzt einige Leser denken, immerhin exportiert die EU ja Weizen. Doch neben den verheerenden Folgen für die landwirtschaftlichen Betriebe, würde die EU vom Nettoexporteur zum Nettoimporteur von Weichweizen
Es wäre schlicht fahrlässig, die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln anderen Staaten zu überlassen.