Duell der Gegensätze
England startet als haushoher Favorit ins EM-Viertelfinale gegen die Ukraine
England habe „viele richtig gute Spieler“, sagt Oleksandr Zinchenko, „die Ersatzbank kostet wahrscheinlich so viel wie drei ukrainische Teams“. Vor dem EM-Viertelfinale am Samstag in Rom (Anstoß um 21 Uhr) zwischen der Ukraine und den Three Lions sind die Rollen deutlich wie selten verteilt: hier der klare Außenseiter mit einem Team der weitgehend Namenlosen, dort die übermächtigen Engländer mit etlichen Stars aus der Premier League.
Dennoch, betont Zinchenko, selbst bei Manchester City unter Vertrag, trotzig: „Ich spüre, dass in diesem Leben alles möglich ist, und wir werden dafür alles geben. Es wird schwer für die Engländer, uns aufzuhalten.“
Doch genau diese Sensation, ja Blamage, wollen die Engländer unbedingt vermeiden. Für sie soll nach dem historischen Erfolg gegen Deutschland das Stadio Olimpico nur ein kurzer Zwischenstopp auf dem Rückweg in ihr Wohnzimmer Wembley werden, wo Halbfinale und Endspiel ausgetragen werden.
Entsprechend war das umjubelte 2:0 gegen das DFB-Team schnell abgehakt, Teammanager Gareth Southgate schärfte bei seinem Team um Raheem Sterling und Harry Kane sofort die Sinne.
„Wir haben unser Ziel noch nicht erreicht, daher ist jetzt nicht der Zeitpunkt, um zu sehr zu feiern“, sagte er und versprach den leidgeprüften Fans auf der Insel: „Wir werden alles dafür tun, nach Wembley zurückzukehren. Wir werden bereit sein.“
Selten war die Chance für England so groß wie jetzt, zumindest das Heim-Finale am 11. Juli zu erreichen. In der Runde der letzten Vier würde Dänemark oder Tschechien warten. „Jetzt haben die Jungs wieder die Chance, etwas Historisches zu schaffen“, unterstrich Southgate entsprechend.
Erst einmal stand der Weltmeister von 1966 überhaupt in einem EM-Halbfinale, das 1996 gegen Erzrivale Deutschland dramatisch im Elfmeterschießen verloren ging.
Große Sehnsucht nach dem Titel
In der Hauptrolle damals: Gareth Southgate. Doch der will jetzt als Teammanager diese unselige Geschichte vergessen machen und mit seinem Team die große Sehnsucht nach dem ersten Titel seit 55 langen Jahren stillen.
Doch die Ukrainer mit Trainer Andriy Shevchenko wollen diesen Traum der hoch begabten Three Lions zerstören – mit großer Leidenschaft und der Unterstützung des ganzen Landes. Die Euphorie ist riesig, es winkt seit dem Viertelfinaleinzug bei der WM 2006 der größte Erfolg der ukrainischen Fußball-Geschichte. Schon nach dem 2:1 nach Verlängerung im Achtelfinale gegen Schweden hatte der ukrainische Präsident Volodymyr Zelensky seinen Stolz auf die Mannschaft um Andriy Yarmolenko ausgedrückt. „Das war unglaublich cool. Jungs, Respekt – Ihr seid echte Kämpfer. Ruhm der Ukraine!“
Nachdem Ikone Oleg Blokhin nach einer mäßigen Vorrunde noch „Weltuntergangsstimmung“ in dem von Krieg geplagten Land ausmachte, hat sich die Lage nun gedreht. „Für die Ukraine ist dieses Viertelfinale wie der EM-Titel. Selbst wenn es in Rom schiefgeht, was soll's? Diese Jungs haben schon Geschichte geschrieben!“, schrieb die Zeitung „Tribuna“. Insgeheim hoffen aber alle auf den großen Coup. Shevchenko dachte indes nur an den Augenblick. „Wir müssen die Spieler physisch und mental wieder aufbauen. In diesem Kampf gegen Schweden haben sie sehr viel Energie gelassen“, sagte er. Das Wichtigste sei nun, „die richtige Taktik zu wählen. Wir werden versuchen, England zu überraschen“.
Die Ukraine setzt vor allem aber auf den psychologischen Effekt. „Über die Fähigkeiten der Engländer muss ich ja nichts erzählen“, sagte England-Profi Yarmolenko (West Ham): „Aber gleichzeitig haben wir jetzt so einen emotionalen Schub bekommen, dass es für sie nicht leicht wird.“sid