Luxemburger Wort

Die Dame vom Versandhan­del

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„Wir überlegen gerade, auch Mopeds mit ins Angebot zu nehmen“, warf Annie ein. „Ich weiß, ein Moped ist kein Auto, aber …“

Borgward nickte. „Was kostet ein Moped? Was ist überhaupt das teuerste Produkt bei Eulendorf? Ich fürchte, da haben Sie schon Ihre Antwort, und jetzt reden wir mal über den Preis, den ein solches Auto kosten dürfte, um es wirklich an den Mann – in diesem Fall ja an die Frau – bringen zu können, unabhängig von der Problemati­k, die ich beim Verkauf über den Versandhan­del sehe. Nicht wesentlich über fünftausen­d Mark, denke ich, das wäre zwar ein wenig über dem Käfer, aber wir bieten ja auch eine Menge mehr …“

Er griff nach einem Notizblock und begann zu rechnen, zwischen seinen Augenbraue­n bildete sich eine steile Falte, kopfschütt­elnd korrigiert­e er verschiede­ne Positionen, bevor er wieder aufblickte: „Kaum machbar, jedenfalls nicht, wenn wir an irgendeine­r Ecke noch einen Gewinn herausschl­agen wollen. Und Sie haben ebenso wie ich genügend Geschäftss­inn, um zu wissen, dass wir nichts zu verschenke­n haben. Wenn Sie eine ehrliche Antwort wollen: Das Risiko ist mir zu hoch. Ihre Idee ist großartig, aber womöglich ist die Zeit noch nicht reif dafür. Und es gibt einfach auch noch nicht genug Menschen in diesem Land, die das Geld haben, um sich ein zweites Auto leisten zu können, das ist die bittere Pille, die wir wohl schlucken müssen. Sie genauso wie ich.“

„Aber es werden immer mehr werden, wir sind mitten im Wirtschaft­swunder! Und immer mehr Frauen möchten unabhängig sein, auch mit Baby …“

„Alles richtig! Und ich weiß, ohne Risiko kein Preis, Ihre Firma ist das beste Beispiel dafür – wenn ich richtig informiert bin, haben Sie tatsächlic­h mal nur mit Fahrrädern angefangen, es ist beachtlich, was für ein Unternehme­n Sie da mittlerwei­le auf die Beine gestellt haben.“

„Mein Mann! Ich habe bislang nicht allzu viel dazu beigetrage­n.“

„Bislang, Sie sagen es! Und jemand mit Ihren Fähigkeite­n wird nicht auf Dauer die Füße stillhalte­n können. Dass Sie jetzt hier bei mir sitzen, sagt doch schon genug. – Aber obwohl ich Ihnen für heute eine Absage erteilen muss, so nehmen Sie es bitte nicht als Respektlos­igkeit, wenn ich ganz deutlich betonen möchte, dass Sie hier immer willkommen sind, und damit meine ich nicht als Gast, sondern ganz oben in der Firmenspit­ze. Ich könnte jemanden wie Sie an meiner Seite sehr wohl brauchen.“

Sein Angebot machte Annie für einen Moment sprachlos, dann reagierte sie mit einem verlegenen Lachen.

„Nichts für ungut, Herr Borgward, aber ganz ehrlich? Ich hab ja zu Hause schon einen kleinen Patriarche­n, das genügt mir eigentlich vollkommen. Da bin ich es jetzt also, die Ihnen einen Korb gibt. Aber ich danke Ihnen!“

„Schade.“Borgward drehte sich zum Zeichenbre­tt und riss die Seite mit der Skizze des Autos ab, um sie sorgfältig zusammenzu­rollen und Annie in die Hand zu drücken.

„Die schenke ich Ihnen, fangen Sie damit an, was Sie wollen. Es tut mir leid, dass ich Ihnen keine andere Antwort geben konnte, aber es hat mir Spaß gemacht, die Idee mit Ihnen durchzuspi­elen. Richten Sie Ihrem Gatten bitte meine allerbeste­n Grüße aus, er kann stolz auf Sie sein. Und ich würde mich freuen, Sie einmal beide zu treffen. Notfalls auch sonntags“, setzte er mit einem Augenzwink­ern

hinzu, bevor er ihr die Hand zum Abschied hinstreckt­e. „Fahren Sie vorsichtig, ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft, sowohl mit Ihrem kleinen Mädchen als auch im Geschäft.“

Annie war noch nicht mal enttäuscht, sie wusste, dass Borgwards Bedenken nicht aus der Luft gegriffen waren. Und das Gespräch war ja viel weiter gegangen, als sie überhaupt erwartet hatte. Alleine wäre sie gar nicht auf den Gedanken gekommen, ernsthaft über … ein Auto nach ihren Vorstellun­gen nachzudenk­en, geschweige denn über eine konkrete Möglichkei­t, ihre Idee in die Tat umzusetzen. Natürlich erfüllten sie auch Borgwards Kompliment­e mit Stolz, obwohl sie ganz sicher übertriebe­n gewesen waren. Aber zumindest hatte ihr das ungeplante Treffen mit ihm Mut gemacht und sie darin bestätigt, dass sie sehr wohl auch alleine als Geschäftsf­rau auftreten konnte, um ihre Interessen zu vertreten. Sie würde die Skizze von Borgward rahmen lassen und im Büro hinter ihrem Schreibtis­ch aufhängen, als ständige Erinnerung, dass es nichts geben durfte, woran man nicht weiter denken konnte, nur weil es für den Moment vielleicht noch nicht passte.

Es war schon dunkel, als Annie nach der stundenlan­gen Fahrt über die schmalen Landstraße­n mit den schwarz-weißen Kühen vor den Windmühlen und den vom Sturm krumm gebogenen Bäumen endlich erschöpft und restlos übermüdet den Fischerhaf­en von Neuharling­ersiel

erreichte. Die Sekretärin hatte ein Doppelzimm­er im Hotel „Rodenbäck“gleich an der Hafenmauer gebucht, Kurt hatte inzwischen schon mehrmals angerufen, wie ihr der Hotelbesit­zer jetzt mitteilte. Annie hatte Mühe, sein Plattdeuts­ch zu verstehen, erst als ihm seine Frau zu Hilfe kam, wurde es besser.

„Wir haben ein Kinderbett ins Zimmer gestellt, nur die Küche hat leider schon zu, ich kann Ihnen aber noch einen Teller frisch gepulte Krabben bringen, heute Nachmittag erst mit dem Kutter reingekomm­en.“

Während Annie auf ihr Abendessen wartete, versuchte sie vom Tresen aus Kurt zurückzuru­fen, aber er nahm den Hörer nicht ab. Für einen Moment hatte Annie die Befürchtun­g, dass er ins Auto gestiegen war, um ihr nachzufahr­en, bis ihr wieder einfiel, dass sie ja das Auto hatte. Sie hoffte, dass er sich keine allzu großen Sorgen um sie und Claudia machen würde, gleich darauf ärgerte sie sich über den Gedanken – schließlic­h war er daran schuld, dass sie am Morgen alleine aufgebroch­en war.

Die Krabben kamen mit einem Spiegelei auf einer Scheibe Brot. Es war das erste Mal, dass Annie Krabben aß, sie war sich nicht sicher, ob sie den Geschmack wirklich mochte.

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