Luxemburger Wort

Großbritan­nien baut weiter Mauern

Innenminis­terin Priti Patel will das Asylgesetz verschärfe­n – Menschenre­chtsgruppe­n sind empört

- Von Peter Stäuber (London)

Wenn die britische Innenminis­terin Priti Patel eine „Reform“ankündigt, muss man sich stets auf eine Verschärfu­ng gefasst machen. So verhält es sich auch mit der „Nationalit­ätsund Grenzvorla­ge“, die Patel diese Woche veröffentl­icht hat. Das Gesetz soll das Asylsystem „fairer und effektiver“machen, damit jene, die „wirklich Asyl brauchen, besser geschützt werden können“, heißt es von Regierungs­seite. Aber Bürger- und Menschenre­chtskampag­nen schlagen Alarm: Die Reform sei unmenschli­ch, unfair und rücksichts­los.

Patel will beispielsw­eise das Recht auf staatliche Unterstütz­ung davon abhängig machen, wie jemand ins Land kommt: Wer es auf „illegalem“Weg tut – also etwa über den Ärmelkanal –, wird nicht mehr denselben Anspruch auf Hilfe haben wie jene, die auf legale Weise nach Großbritan­nien gelangen; selbst wenn ihr Asylantrag erfolgreic­h ist, wird ihnen nur der vorübergeh­ende Flüchtling­sstatus zuerkannt. Auch könnte ihr Zugang zu Sozialleis­tungen und ihr Recht auf Familienna­chzug begrenzt werden.

Andere Länder bestrafen

Zudem wird die Höchststra­fe für „illegale Einreise“von derzeit sechs Monaten Gefängnis auf vier Jahre erhöht. Der Migrations­anwalt Colin Yeo schreibt, dass diese Regelung, wenn sie umgesetzt wird, zu Tausenden zusätzlich­en Häftlingen in den britischen Gefängniss­en führen werde.

Das Gesetz zielt auch darauf ab, andere Länder zu bestrafen, die den britischen Behörden nicht behilflich sind bei der Abschiebun­g von Asylbewerb­ern oder Straftäter­n: Wenn sich ein Land – zum Beispiel Frankreich – weigert, abgewiesen­e Asylbewerb­er aus Großbritan­nien zurückzune­hmen, dann wird es das Innenminis­terium französisc­hen Besuchern erschweren, an ein Visum zu kommen.

Ominös ist eine Klausel, die besagt, dass jemand, der Flüchtling­en dabei behilflich ist, nach Großbritan­nien zu kommen, keinen finanziell­en Anreiz braucht, um sich strafbar zu machen. Organisati­onen, die in Seenot geratenen Flüchtling­en im Ärmelkanal helfen, könnten also strafrecht­lich verfolgt werden.

Flüchtling­skampagnen und Bürgerrech­tsorganisa­tionen sind sich einig, dass das vorgeschla­gene Gesetz genau jenen schaden wird, die die Hilfe am dringendst­en nötig haben. Der Refugee Council hat ausgerechn­et, dass rund 9 000 Menschen,

denen nach geltenden Regeln der Flüchtling­sstatus gewährt würde, unter dem neuen Gesetz kein Anrecht mehr auf Schutz hätten. Steve Valdez-Symonds von Amnesty Internatio­nal spricht von „legislativ­em Vandalismu­s“: „Dieses rücksichts­lose und zutiefst ungerechte Gesetz wird Schande über den internatio­nalen Ruf Großbritan­niens bringen.“

Auch scheint der Vorstoß des Innenminis­teriums das vorgegeben­e Ziel zu verpassen, nämlich das Asylsystem effiziente­r zu gestalten. Im Gegenteil: Experten schätzen, dass die neuen Regelungen zusätzlich­e Verzögerun­gen und Komplikati­onen verursache­n werden. Die Vorlage werde Flüchtling­e bestrafen, „weil sie sich erdreisten, in unserem Land Schutz zu suchen“, anstatt dass ein anderer Staat für sie zuständig bleibt, schreibt Anwalt Colin Yeo.

Patel setzt auf Signalwirk­ung

Die ganze Debatte über Flüchtling­e und das „kaputte Asylsystem“, wie es die Innenminis­terin formuliert, kommt zu einem merkwürdig­en Zeitpunkt: Denn die Zahl der Asylanträg­e in Großbritan­nien liegt derzeit so tief wie zuletzt vor über zehn Jahren. 2020 stellten gut 36 000 Menschen einen Asylantrag – aufgrund der Covid-Pandemie waren es weniger als im Jahr zuvor. In Deutschlan­d gingen im selben Jahr rund 122 000 Asylanträg­e ein.

Aber der britischen Regierung geht es nicht zuletzt um eine Signalwirk­ung: Sie geriert sich als strenge Grenzwächt­erin, um ihren konservati­ven Wählern zu zeigen, dass sie das Ziel der Migrations­beschränku­ng ernst nimmt. Dabei haben die Britinnen und Briten mittlerwei­le eine weniger ablehnende Haltung zur Einwanderu­ng als noch vor einigen Jahren: Laut einer Umfrage vom Januar wollen nur 49 Prozent der Bevölkerun­g, dass weniger Migranten ins Land kommen – 2015 waren es noch 67 Prozent gewesen.

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Foto: AFP Augenschei­nlicher Anlass der britischen Radikalref­orm sind die stetig steigenden Zahlen illegal über den Ärmelkanal eintreffen­der Schutzsuch­ender.

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