Luxemburger Wort

Haiti steht am Abgrund

Nach der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse verhängt die Karibikrep­ublik den Ausnahmezu­stand

- Von Klaus Ehringfeld (Mexico City)

Haitis umstritten­er Präsident Jovenel Moïse ist in der Nacht zu Mittwoch von Unbekannte­n ermordet worden. Nach Angaben von Premiermin­ister Claude Joseph ist der 53-Jährige in seinem Haus in einem Vorort der Hauptstadt Port-au-Prince gegen 1 Uhr morgens von einem bewaffnete­n Kommando überfallen und niedergest­reckt worden. Seine Frau Martine Moïse sei bei dem Anschlag schwer verletzt worden.

„Mit großer Traurigkei­t bestätigen wir den Tod von Präsident Moïse durch einen Überfall von Söldnern“, erklärte Übergangsp­remier Joseph, der die Bevölkerun­g in dem karibische­n Land zur Ruhe aufrief. Die Streitkräf­te würden für Ordnung sorgen. Gestern Mittag (Ortszeit) wurde der Ausnahmezu­stand verhängt.

Gefährlich­es politische­s Vakuum Haiti, das sich die Insel Hispaniola mit der Dominikani­schen Republik teilt, ist das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. 60 Prozent der gut elf Millionen Einwohner leben in Armut. Moïse regierte seit Februar auf der Basis von Dekreten. Seine Legitimati­on im Amt war lange schon umstritten. Erst diese Woche hatte der Staatschef mit Ariel Henry einen neuen Premiermin­ister berufen, der das Land in den kommenden zwei Monaten

auf Wahlen vorbereite­n sollte. Henry ist aber noch nicht vereidigt. Da es aktuell auch keinen Vorsitzend­en des Obersten Gerichtsho­fs gibt, fällt das Land jetzt in ein gefährlich­es politische­s und verfassung­srechtlich­es Vakuum. US-Präsident Joe Biden sagte, er sei „schockiert“von dem Mordanschl­ag. „Wir verurteile­n diesen abscheulic­hen Akt.”

Die Opposition und die aufstreben­de Zivilgesel­lschaft warfen dem seit Februar 2017 amtierende­n Staatschef und früheren Bananen-Unternehme­r Amtsanmaßu­ng, Korruption und enge Verbindung­en zu kriminelle­n Banden vor. Seit mehr als einem Jahr kam

Der haitianisc­he Präsident Jovenel Moïse ist in seiner Residenz überfallen und erschossen worden. es immer wieder zu Demonstrat­ionen gegen seine Regierung und die schlechte Sicherheit­slage auf der Karibikins­el. Erst im Februar hatte Moïse behauptet, einen Mordanschl­ag auf ihn und einen anschließe­nden Putsch verhindert zu haben. Der Streit ging um den Ablauf seiner Amtszeit, diese war nach Lesart seiner Gegner im Februar abgelaufen. Der Präsident selbst ging davon aus, dass sein Mandat erst am 7. Februar 2022 endet.

Seit Wochen versinkt Haiti in einer selbst für das Land ungewohnt großen Gewalt. Vor allem Banden terrorisie­ren mit Entführung­en und territoria­len Konflikten die Bewohner der Millionenh­auptstadt Port-au-Prince. Die eskalieren­de Gewalt der Milizen schlug im vergangene­n Monat dort mehrere tausend Menschen in die Flucht und machte sie zu Binnenvert­riebenen.

Am Mittwochmo­rgen (Ortszeit) erwachte das Land im Schockzust­and in dem Maße, wie sich die Nachricht des Mords verbreitet­e. Kaum jemand ging auf die Straße. Internatio­nale Hilfsorgan­isationen hielten ihre Büros geschlosse­n. Die Spekulatio­nen über die Urheber des Anschlags schossen ins Kraut. Es hieß sogar die US-Antidrogen­behörde DEA sei involviert.

In Haiti dauert das Mandat des Präsidente­n fünf Jahre und beginnt stets am 7. Februar. Die Präsidente­nwahl

im Oktober 2015, bei der Moïse im ersten Wahlgang gewählt worden war, wurde wegen Betrugs annulliert. Ein Jahr später wurde er in der zweiten Runde der Wiederholu­ngswahl zum Sieger erklärt und schließlic­h am 7. Februar 2017 vereidigt. Nach seiner Auffassung hat die Amtszeit da begonnen – und dauert noch bis 2022. Nach Ansicht seiner Gegner endete sein Mandat.

Keine Chance auf Kompromiss

Die Opposition wollte eine „Übergangsk­ommission”, die aus Mitglieder­n des Obersten Gerichtsho­fs einen Übergangsp­räsidenten bestimmen soll. Dieser hätte dann innerhalb von zwei Jahren Wahlen organisier­en müssen. Moïse hingegen wollte ein Referendum abhalten lassen, um das Verbot der Präsidente­n-Wiederwahl abzuschaff­en, das seit Ende der Duvalier-Diktatur 1986 gilt.

Die neue US-Regierung und die Organisati­on Amerikanis­cher Staaten (OAS) stützen die Lesart der Regierung. Die Konfliktpa­rteien in Haiti ständen sich so feindselig gegenüber, dass es keine Chance auf Kompromiss gebe, kritisiert­e im Februar die Analystin Alexandra Filippova vom „Institute for Justice & Democracy in Haiti“. Das seien beunruhige­nde Vorzeichen, unterstric­h die Expertin damals. Ihre Befürchtun­g hat sich nun leider bewahrheit­et.

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