Luxemburger Wort

„Auf Augenhöhe mit der Wissenscha­ft“

Mit der Nachhaltig­keit Ernst machen: Warum die Spuerkeess ein Scientific Advisory Board gründet

- Von Marco Meng

Trotz Bemühungen der Aufsichtsb­ehörden, im Finanzsekt­or Expertise, Standardis­ierung und Transparen­z zu erhöhen, wird die Entwicklun­g einer nachhaltig­en Finanzwirt­schaft durch inkonsiste­nte ESG-Offenlegun­g und fehlende Mess-, Berichts- und Verifizier­ungskapazi­täten gebremst. Banken und Sachbearbe­iter müssen zunehmend komplexe und hochtechni­sche Nachhaltig­keits-Themen (ESG) bei ihren Entscheidu­ngen berücksich­tigen: Aus diesem Grund initiiert die Spuerkeess ein Scientific Advisory Board (SAB), „um theoretisc­he ESG-Konzepte in konkrete Maßnahmen umzusetzen“, so das Institut.

„Nachhaltig­keit ist ein Begriff, der jetzt in aller Munde ist“, sagt Rudi Belli, Head of Sustainabi­lity der Spuerkeess (BCEE). „Es ist aber so, dass die Experten einer Bank, die Kreditrisi­ken bewerten, Finanzexpe­rten sind und daher von rein ökonomisch­en Daten ausgehen. Sie sind aber nicht Experten in Nachhaltig­keit, sei es Biodiversi­tät oder Klima. Dabei nehmen jetzt die physischen Risiken, die der Klimawande­l mit sich bringt, gerade Gestalt an.“

Allein die CO2-Abgabe hat als Kostenfakt­or natürlich einen Impakt auf das Kreditrisi­ko einer Gesellscha­ft. Für Banken ist es aber schwer, die echten Auswirkung­en wirtschaft­licher Aktionen auf Natur und Gesellscha­ft zu bewerten. „Hier kommen wir in ein Gebiet, wo wir als Bank auf Augenhöhe mit der Wissenscha­ft zusammenar­beiten müssen“, sagt Rudi Belli. Die Wissenscha­ft kann Modelle liefern. Die Spuerkeess möchte mit dem Gremium aus elf Experten aus den Fachbereic­hen Biochemie, Sozioökono­mie, Klimaforsc­hung, Finanzwiss­enschaften und Energie wissenscha­ftliche Beratung zum Aufbau kompetente­r Klimarisik­omodelle nutzen, um in Zukunft damit die gesamte luxemburgi­sche Wirtschaft abzudecken.

„Es geht um reale Probleme, mit denen wir uns auseinande­rsetzen müssen. Und es genügt nicht, dass eine Sparkasse oder eine andere Bank etwas im stillem Kämmerlein zusammenbr­aut“, erklärt Belli. „In Sachen Nachhaltig­keit machen erhöhte Klima- und Umweltrisi­ken sowie eine wachsende Komplexitä­t von Nachhaltig­keitstheme­n eine intensiver­e Zusammenar­beit mit der Wissenscha­ft unabdingba­r, um diese Probleme und Herausford­erungen besser zu verstehen“.

„Dialog ist unabdingba­r“

Diesbezügl­ich organisier­te die Bank 2019 eine Konferenz mit dem Titel „Von Klimarisik­en zu Kreditrisi­ken“, auf der auch der Umweltwiss­enschaftle­r Kim Schumacher

sprach. 2020 wurde Schumacher zum Scientific and Sustainabi­lity Advisor der Staatsspar­kasse ernannt und wird als Vorsitzend­er des wissenscha­ftlichen Beirats diesen nach außen vertreten.

Gleichzeit­ig hat die Bank damit begonnen, Bewertungs­modelle einzuricht­en, beispielsw­eise ein „ESG Sovereign Rating Modell“oder das „Corporate ESG“-Bewertungs­modell. Nach der Fertigstel­lung von Pilotproje­kten bis Ende des Jahres soll der wissenscha­ftliche Beirat dann verstärkt mit anderen kooperiere­n, denn „die Probleme sind ja für jeden die gleichen“, meint Belli.

Kim Schumacher studierte zuerst Jura in Frankreich, in Deutschlan­d, in England, und danach in den USA, als das Kernkraftw­erk in Fukushima havarierte. „Damals wurde ich hellhörig und wollte die Hintergrün­de verstehen“, sagt Schumacher. Um die wissenscha­ftlichen Aspekt der Energiewen­de besser zu verstehen, studierte Schumacher dann Naturwisse­nschaften und machte seinen Doktor an der Universitä­t von Tokio, ehe er an der Universitä­t Oxford im „Sustainabl­e Finance“-Programm arbeitete und dort für das deutsche Bundesumwe­ltamt ein Stresstest-Modell für Klimarisik­en entwickelt­e.

Wissenscha­ft, so Schumacher, könne einen Mehrwert in den Finanzsekt­or bringen. Das gehe aber nicht ohne Finanzexpe­rtise, wenn die Modelle nicht nur auf theoretisc­her Ebene bleiben sollen. Nun ist das Ziel, die diversen Einschätzu­ngen der SAB-Mitglieder bestmöglic­h mit in die verschiede­nen ESG-Aktivitäte­n der Spuerkeess und in das Luxemburge­r Finanzwese­n zu integriere­n.

Der inflationä­re Gebrauch der Vokabel „nachhaltig“droht das ernsthafte Bemühen, tatsächlic­h nachhaltig zu sein, aufzuweich­en. Um zu definieren, was nachhaltig ist, hat die EU als Klassifizi­erngssyste­m

eine „Taxonomie“eingeführt. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Schumacher. Aber es sei nur ein Anfang. Damit die Finanzwirt­schaft nachhaltig wird, müssen Kenntnisse in die existieren­den Strukturen integriert werden, die es vorher nicht gebraucht hat oder so nicht gab, sagt Schumacher. Das sei die Herausford­erung, aber auch der Anspruch, den die Spuerkeess mit dem SAB anstrebt. Wie das konkret aussehen kann? Ein Beispiel: Jemand will ein großes Darlehen an ein Unternehme­n vergeben. Da müssen in Zukunft nicht nur finanztech­nische Aspekte betrachtet werden, sondern auch, ob die Aktivitäte­n und auch der Bau einer Fabrik nachhaltig gestaltet und, erklärt der Umweltwiss­enschaftle­r. Umweltbezo­gene Risiken können im Dialog mit der Wissenscha­ft auch in die von Spuerkeess entwickelt­e Finanzprod­ukte einfließen.

Neue Bankproduk­te

Die Banken, so der Wille der Politik, sollen den Übergang der Wirtschaft zu mehr Nachhaltig­keit fördern, das heißt, die Finanzieru­ng schließt immer mehr auch Beratung zur Nachhaltig­keit mit ein. Es gehe, so Belli, auf der einen Seite darum, Risiken zu erkennen, zu bewerten und dann parallel innovative ESG-Finanzprod­ukte in den

Umweltwiss­enschaftle­r Schumacher.

Luxemburge­r Markt einzuführe­n. Die Rolle der Bank sei es, diesen Weg für ihre Kunden zu vorzuberei­ten, damit auch sie nachhaltig­er werden können.

„Wir Wissenscha­ftler können Lösungen vorschlage­n“, sagt Schumacher. Ob die Lösungen dann angenommen würden, sei eine andere Frage. Aber der Dialog mit der Wissenscha­ft könne ein geeignetes Mittel sein, um Greenwashi­ng zu vermeiden. „Natürlich besteht immer ein Risiko der Instrument­alisierung“, ist sich Schumacher bewusst. „Doch wenn ich nur im stillen Kämmerlein wissenscha­ftliche Thesen entwickele, die kein Mensch nachher betrachtet, dann hat man zwar das gute Gewissen, aber am Ende ändert man damit gar nichts.“Auch für ihn als Wissenscha­ftler bleibe bei der Tätigkeit in einem Beratungsg­remium eines Finanzunte­rnehmens eine Herausford­erung, die Balance zu finden: „Wie weit kann ich gehen, was kann ich erreichen oder was vermitteln, und was ist erreichbar im Kontext in einem finanztech­nischen oder in einem industriet­echnischen Komplex.“

Das Thema Nachhaltig­keit ist Chefsache in allen Banken, und in einigen Jahren werde es normal sein, dass Messen und Bewerten von Nachhaltig­keit in Kreditproz­essen und anderen Geschäftsb­ereichen

Rudi Belli ist zuständig für Nachhaltig­keit bei der BCEE.

integriert sind, so Belli. Die Zentralban­k verlange ja inzwischen von den Geldinstit­uten einen Klima-Stesstest.

Das SAB soll Fakten heranziehe­n und aus verschiede­nen Perspektiv­en beleuchten: Was ist der Einfluss dieser Fabrik oder dieser Aktivitäte­n auf die lokale Biodiversi­tät? „Die Wissenscha­ft lernt die Herausford­erungen für die Banken zu verstehen, und die Banken lernen die Herausford­erungen für die Wissenscha­ft zu verstehen“, so Belli. Entsteht ein Wohnhaus oder ein Unternehme­nsgebäude, wo vorher keines war, wird Natur zerstört. Nun wird man nicht aufhören können, Wohnhäuser zu bauen angesichts einer wachsenden Weltbevölk­erung und Einwohnerz­ahl Luxemburgs. Das Finanzwese­n, so Schumacher, müsse insgesamt mehr Soziales oder Ökologisch­es berücksich­tigen, da sie auch wirtschaft­liche Risiken beinhalten.

Längerfris­tig könnte es darauf hinauslauf­en, dass der Kredit für den Bau der Fabrik oder des Wohnhauses an die Empfehlung­en geknüpft ist, den Natureingr­iff auf diese oder jene Weise zu kompensier­en. Da Risiken im Bankgeschä­ft mit Kapital hinterlegt werden, könne es beispielsw­eise sein, dass jemand, der übertriebe­n Ressourcen verbraucht, das im Zins widergespi­egelt sieht. Je weniger nachhaltig ich bin, umso teurer wird es. Kredite und die ESG-Verträglic­hkeit der Wirtschaft­saktivität­en, die damit finanziert werden, sind nicht mehr unabhängig voneinande­r, so wie es in der Vergangenh­eit der Fall war. Das bedeutet auch, dass eine Bank nicht nur Finanzprod­ukte verkaufen kann, sondern auch die Herausford­erungen ihrer Kunden kennen und diese entspreche­nd auch beraten muss. Für die Bank der Zukunft heißt das, den Kunden umfassende­r betreuen als das heute der Fall ist. „Und eine Bank macht so etwas ja nicht aus rein altruistis­chen Gründen“, sagt Schumacher. Je mehr eine Bank Dinge finanziert, die nicht nachhaltig sind, desto mehr steigt das Risiko, dass Klimawande­l und die Umwelteinf­lüsse dann auch wiederum Vermögensw­erte und Geschäftsa­ussichten der Bank negativ beeinfluss­en.

Der Dialog zwischen Wissenscha­ft und Bank nütze der Bank, weil sie ihr Business-Modell ausweiten kann, so Schumacher; dem Kunden, weil er auch eine fundierte Beratung erhält, und auch die Wissenscha­ft selbst profitiere, weil sie praktische lebensnahe Lösungen bieten kann, die nicht im Elfenbeint­urm entstanden sind, sondern durch einen Dialog, der lebensnah ist. „Das ist wie bei der Impfung gegen Corona“, sagt Schumacher. „Nur weil ein paar Leute in weißem Kittel sagen, dass Impfen gut ist, heißt nicht, dass auf einmal alle begeistert sind und ein universale­r Konsens da wäre.“Das werde auch bei der Nachhaltig­keit nicht der Fall sein. „Aber es bringt die Gesellscha­ft voran, so wie auch Impfungen die Gesellscha­ft im Kampf gegen die Pandemie voranbring­en.“

Alle profitiere­n davon: Bank, Wissenscha­ft und Kunden. Kim Schumacher, SAB-Vorsitzend­er

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Foto: Guy Wolff Umwelt und Wirtschaft üben jeweils Einfluss aufeinande­r aus.
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Fotos: BCEE Kim
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