„Auf Augenhöhe mit der Wissenschaft“
Mit der Nachhaltigkeit Ernst machen: Warum die Spuerkeess ein Scientific Advisory Board gründet
Trotz Bemühungen der Aufsichtsbehörden, im Finanzsektor Expertise, Standardisierung und Transparenz zu erhöhen, wird die Entwicklung einer nachhaltigen Finanzwirtschaft durch inkonsistente ESG-Offenlegung und fehlende Mess-, Berichts- und Verifizierungskapazitäten gebremst. Banken und Sachbearbeiter müssen zunehmend komplexe und hochtechnische Nachhaltigkeits-Themen (ESG) bei ihren Entscheidungen berücksichtigen: Aus diesem Grund initiiert die Spuerkeess ein Scientific Advisory Board (SAB), „um theoretische ESG-Konzepte in konkrete Maßnahmen umzusetzen“, so das Institut.
„Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der jetzt in aller Munde ist“, sagt Rudi Belli, Head of Sustainability der Spuerkeess (BCEE). „Es ist aber so, dass die Experten einer Bank, die Kreditrisiken bewerten, Finanzexperten sind und daher von rein ökonomischen Daten ausgehen. Sie sind aber nicht Experten in Nachhaltigkeit, sei es Biodiversität oder Klima. Dabei nehmen jetzt die physischen Risiken, die der Klimawandel mit sich bringt, gerade Gestalt an.“
Allein die CO2-Abgabe hat als Kostenfaktor natürlich einen Impakt auf das Kreditrisiko einer Gesellschaft. Für Banken ist es aber schwer, die echten Auswirkungen wirtschaftlicher Aktionen auf Natur und Gesellschaft zu bewerten. „Hier kommen wir in ein Gebiet, wo wir als Bank auf Augenhöhe mit der Wissenschaft zusammenarbeiten müssen“, sagt Rudi Belli. Die Wissenschaft kann Modelle liefern. Die Spuerkeess möchte mit dem Gremium aus elf Experten aus den Fachbereichen Biochemie, Sozioökonomie, Klimaforschung, Finanzwissenschaften und Energie wissenschaftliche Beratung zum Aufbau kompetenter Klimarisikomodelle nutzen, um in Zukunft damit die gesamte luxemburgische Wirtschaft abzudecken.
„Es geht um reale Probleme, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Und es genügt nicht, dass eine Sparkasse oder eine andere Bank etwas im stillem Kämmerlein zusammenbraut“, erklärt Belli. „In Sachen Nachhaltigkeit machen erhöhte Klima- und Umweltrisiken sowie eine wachsende Komplexität von Nachhaltigkeitsthemen eine intensivere Zusammenarbeit mit der Wissenschaft unabdingbar, um diese Probleme und Herausforderungen besser zu verstehen“.
„Dialog ist unabdingbar“
Diesbezüglich organisierte die Bank 2019 eine Konferenz mit dem Titel „Von Klimarisiken zu Kreditrisiken“, auf der auch der Umweltwissenschaftler Kim Schumacher
sprach. 2020 wurde Schumacher zum Scientific and Sustainability Advisor der Staatssparkasse ernannt und wird als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats diesen nach außen vertreten.
Gleichzeitig hat die Bank damit begonnen, Bewertungsmodelle einzurichten, beispielsweise ein „ESG Sovereign Rating Modell“oder das „Corporate ESG“-Bewertungsmodell. Nach der Fertigstellung von Pilotprojekten bis Ende des Jahres soll der wissenschaftliche Beirat dann verstärkt mit anderen kooperieren, denn „die Probleme sind ja für jeden die gleichen“, meint Belli.
Kim Schumacher studierte zuerst Jura in Frankreich, in Deutschland, in England, und danach in den USA, als das Kernkraftwerk in Fukushima havarierte. „Damals wurde ich hellhörig und wollte die Hintergründe verstehen“, sagt Schumacher. Um die wissenschaftlichen Aspekt der Energiewende besser zu verstehen, studierte Schumacher dann Naturwissenschaften und machte seinen Doktor an der Universität von Tokio, ehe er an der Universität Oxford im „Sustainable Finance“-Programm arbeitete und dort für das deutsche Bundesumweltamt ein Stresstest-Modell für Klimarisiken entwickelte.
Wissenschaft, so Schumacher, könne einen Mehrwert in den Finanzsektor bringen. Das gehe aber nicht ohne Finanzexpertise, wenn die Modelle nicht nur auf theoretischer Ebene bleiben sollen. Nun ist das Ziel, die diversen Einschätzungen der SAB-Mitglieder bestmöglich mit in die verschiedenen ESG-Aktivitäten der Spuerkeess und in das Luxemburger Finanzwesen zu integrieren.
Der inflationäre Gebrauch der Vokabel „nachhaltig“droht das ernsthafte Bemühen, tatsächlich nachhaltig zu sein, aufzuweichen. Um zu definieren, was nachhaltig ist, hat die EU als Klassifizierngssystem
eine „Taxonomie“eingeführt. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Schumacher. Aber es sei nur ein Anfang. Damit die Finanzwirtschaft nachhaltig wird, müssen Kenntnisse in die existierenden Strukturen integriert werden, die es vorher nicht gebraucht hat oder so nicht gab, sagt Schumacher. Das sei die Herausforderung, aber auch der Anspruch, den die Spuerkeess mit dem SAB anstrebt. Wie das konkret aussehen kann? Ein Beispiel: Jemand will ein großes Darlehen an ein Unternehmen vergeben. Da müssen in Zukunft nicht nur finanztechnische Aspekte betrachtet werden, sondern auch, ob die Aktivitäten und auch der Bau einer Fabrik nachhaltig gestaltet und, erklärt der Umweltwissenschaftler. Umweltbezogene Risiken können im Dialog mit der Wissenschaft auch in die von Spuerkeess entwickelte Finanzprodukte einfließen.
Neue Bankprodukte
Die Banken, so der Wille der Politik, sollen den Übergang der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit fördern, das heißt, die Finanzierung schließt immer mehr auch Beratung zur Nachhaltigkeit mit ein. Es gehe, so Belli, auf der einen Seite darum, Risiken zu erkennen, zu bewerten und dann parallel innovative ESG-Finanzprodukte in den
Umweltwissenschaftler Schumacher.
Luxemburger Markt einzuführen. Die Rolle der Bank sei es, diesen Weg für ihre Kunden zu vorzubereiten, damit auch sie nachhaltiger werden können.
„Wir Wissenschaftler können Lösungen vorschlagen“, sagt Schumacher. Ob die Lösungen dann angenommen würden, sei eine andere Frage. Aber der Dialog mit der Wissenschaft könne ein geeignetes Mittel sein, um Greenwashing zu vermeiden. „Natürlich besteht immer ein Risiko der Instrumentalisierung“, ist sich Schumacher bewusst. „Doch wenn ich nur im stillen Kämmerlein wissenschaftliche Thesen entwickele, die kein Mensch nachher betrachtet, dann hat man zwar das gute Gewissen, aber am Ende ändert man damit gar nichts.“Auch für ihn als Wissenschaftler bleibe bei der Tätigkeit in einem Beratungsgremium eines Finanzunternehmens eine Herausforderung, die Balance zu finden: „Wie weit kann ich gehen, was kann ich erreichen oder was vermitteln, und was ist erreichbar im Kontext in einem finanztechnischen oder in einem industrietechnischen Komplex.“
Das Thema Nachhaltigkeit ist Chefsache in allen Banken, und in einigen Jahren werde es normal sein, dass Messen und Bewerten von Nachhaltigkeit in Kreditprozessen und anderen Geschäftsbereichen
Rudi Belli ist zuständig für Nachhaltigkeit bei der BCEE.
integriert sind, so Belli. Die Zentralbank verlange ja inzwischen von den Geldinstituten einen Klima-Stesstest.
Das SAB soll Fakten heranziehen und aus verschiedenen Perspektiven beleuchten: Was ist der Einfluss dieser Fabrik oder dieser Aktivitäten auf die lokale Biodiversität? „Die Wissenschaft lernt die Herausforderungen für die Banken zu verstehen, und die Banken lernen die Herausforderungen für die Wissenschaft zu verstehen“, so Belli. Entsteht ein Wohnhaus oder ein Unternehmensgebäude, wo vorher keines war, wird Natur zerstört. Nun wird man nicht aufhören können, Wohnhäuser zu bauen angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und Einwohnerzahl Luxemburgs. Das Finanzwesen, so Schumacher, müsse insgesamt mehr Soziales oder Ökologisches berücksichtigen, da sie auch wirtschaftliche Risiken beinhalten.
Längerfristig könnte es darauf hinauslaufen, dass der Kredit für den Bau der Fabrik oder des Wohnhauses an die Empfehlungen geknüpft ist, den Natureingriff auf diese oder jene Weise zu kompensieren. Da Risiken im Bankgeschäft mit Kapital hinterlegt werden, könne es beispielsweise sein, dass jemand, der übertrieben Ressourcen verbraucht, das im Zins widergespiegelt sieht. Je weniger nachhaltig ich bin, umso teurer wird es. Kredite und die ESG-Verträglichkeit der Wirtschaftsaktivitäten, die damit finanziert werden, sind nicht mehr unabhängig voneinander, so wie es in der Vergangenheit der Fall war. Das bedeutet auch, dass eine Bank nicht nur Finanzprodukte verkaufen kann, sondern auch die Herausforderungen ihrer Kunden kennen und diese entsprechend auch beraten muss. Für die Bank der Zukunft heißt das, den Kunden umfassender betreuen als das heute der Fall ist. „Und eine Bank macht so etwas ja nicht aus rein altruistischen Gründen“, sagt Schumacher. Je mehr eine Bank Dinge finanziert, die nicht nachhaltig sind, desto mehr steigt das Risiko, dass Klimawandel und die Umwelteinflüsse dann auch wiederum Vermögenswerte und Geschäftsaussichten der Bank negativ beeinflussen.
Der Dialog zwischen Wissenschaft und Bank nütze der Bank, weil sie ihr Business-Modell ausweiten kann, so Schumacher; dem Kunden, weil er auch eine fundierte Beratung erhält, und auch die Wissenschaft selbst profitiere, weil sie praktische lebensnahe Lösungen bieten kann, die nicht im Elfenbeinturm entstanden sind, sondern durch einen Dialog, der lebensnah ist. „Das ist wie bei der Impfung gegen Corona“, sagt Schumacher. „Nur weil ein paar Leute in weißem Kittel sagen, dass Impfen gut ist, heißt nicht, dass auf einmal alle begeistert sind und ein universaler Konsens da wäre.“Das werde auch bei der Nachhaltigkeit nicht der Fall sein. „Aber es bringt die Gesellschaft voran, so wie auch Impfungen die Gesellschaft im Kampf gegen die Pandemie voranbringen.“
Alle profitieren davon: Bank, Wissenschaft und Kunden. Kim Schumacher, SAB-Vorsitzender