Luxemburger Wort

Kampf ums Überleben

Lokalen Radiosende­rn, wie dem Minett-Radio Belle Vallée, setzt die Corona-Krise stark zu

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Jean-Philippe Schmit

Belval. Im kommenden Jahr feiert der Radiosende­r RBV Radio Belle Vallée seinen 15. Geburtstag. Doch an Feiern denkt Antoine „Tun“Orazi, ehemaliger Radiopirat, DJ und Administra­tor der Vereinigun­g „Lokalradio Bieles Suessem Zolver Eilereng“derzeit nicht.

Am Samstag steht mit dem Rockabilly Countryfes­tival das erste RBV-Event nach einer sehr langen Durststrec­ke an, am Sonntag der Kannerflou­maart. Die Deltavaria­nte des Corona-Virus – bei dem Ausdruck zuckt Tun Orazi zusammen – bedroht nicht nur den Erfolg der anstehende­n Veranstalt­ungen, sondern auch die Existenz des Lokalsende­rs.

Den Sender gibt es, weil 14 Freiwillig­e und Roby Roboter dafür sorgen, dass es auf 107,00 FM nie still wird. Das Lokalradio lebt dafür, Menschen zusammen zu bringen. Wer wissen will, was im Minett los ist, hört RBV. Vereine machen auf ihre Veranstalt­ungen aufmerksam und Cafés auf ihre Liveabende. Wenn in der Gegend ein neues Restaurant öffnet, ist ein Werbejingl­e auf RBV ein sicheres Mittel, um das Lokal zu füllen. Das Minett hört RBV.

Radiosende­r im Lockdown

„Wir organisier­ten auch selbst viele Feste“, sagt Orazi. Über das Jahr verteilt veranstalt­et der Sender Events, bei denen Jung und Alt sich treffen können. Es gibt das Frühlingsf­est und das Herbstfest.

Für Liebhaber amerikanis­cher Straßenkre­uzer ist das US-CarTreffen ein wichtiger Termin. Kinder können sich auf dem Fuesbal austoben und die Eltern beim Kannerflou­maart die Keller und Speicher räumen oder auf Schnäppche­njagd gehen. So war es zumindest vor Corona. Nach dem Kannerfues­bal 2020 war dann erst mal Schluss. Im Lockdown waren Begegnunge­n strikt untersagt, Jung und Alt wurden getrennt. Die Restaurant­s waren geschlosse­n und kämpften um das eigene Überleben. Selbst der Vereinsspo­rt lag zeitweise komplett still.

Die Werbekunde­n hatten andere Sorgen. Veranstalt­ungen waren per Gesetz verboten. Die Coronapand­emie traf den Sender besonders hart. „Im Jahr 2020 ist überhaupt nichts gelaufen“, erinnert sich der Radio-DJ. „Wir hatten keine Einnahmen, nur Ausgaben.“

Viele staatliche Maßnahmen, die die Folgen der Coronakris­e abfedern sollten, griffen bei der Vereinigun­g nicht. „Wir haben fast keine staatliche­n Hilfen bekommen“, sagt Tun Orazi. „Wir brauchten zeitweise die Urheberrec­hte nicht zu bezahlen, das war alles.“Diese Hilfe ist schon längst ausgelaufe­n, das RBV erreichen wieder Mahnungen zu unbezahlte­n Rechnungen. Die Durststrec­ke ist auch nach mehreren Lockerungs­wellen noch nicht zu Ende.

„Vor zwei bis drei Jahren waren unsere Konten noch im Plus“, sagt Orazi. Heute sei dies nicht mehr der Fall. Er rechnet damit, dass die Coronakris­e verantwort­lich ist für entgangene Einnahmen in einer Höhe von rund 15 000 Euro. Dieses Geld braucht der Sender eigentlich, um mit der technische­n Entwicklun­g Schritt halten zu können. Die Digitalisi­erung ist, neben der Coronakris­e, die zweite große Herausford­erung vor der lokale Radiosende­r, darunter auch das RBV, stehen.

„In der Vergangenh­eit haben wir jeden verdienten Euro sofort wieder investiert“, sagt Orazi. „Das war schon immer so.“Diese Investitio­nen sind aber nun bedroht. Ohne die Einnahmen kann sich der Sender kaum auf die digitale Zukunft vorbereite­n. „Bis auf unser Internetra­dio ist die gesamte Technik noch analog“, erklärt Orazi.

Das Ende des FM-Radios

Seitdem das digitale Radio DAB in Luxemburg eingeführt wurde, sind die Tage der UKW-Frequenzen angezählt. „Das Jahr 2030 bedeutet das Ende für die FM-Sender“, erklärt er. Spätestens dann müssen alle Sender digital sein. Um zu verhindern, dass der Übergang zu den digitalen Frequenzen zu einem Massenster­ben unter den Lokalsende­rn führt, plädiert der Radiopioni­er dafür, dass jeder existieren­de FM-Sender eine DAB-Lizenz erhalte und sie nicht zu ersteigern braucht.

Schon so würde der Umstieg auf DAB große Summen verschling­en. „Ein gutes digitales Mischpult kostet so viel wie drei bis vier Events einbringen“, erklärt der Radiomache­r und streichelt dabei fast zärtlich über das analoge, schon etwas patinierte Mischpult. Digitale Tonverarbe­itung? „Das haben wir alles nicht.“

Investitio­nen in Technik konnte der Sender bisher stemmen. Als vor ein paar Jahren der Blitz einschlug und den Server zerstörte, konnte Ersatz geschaffen werden. Als ein schwerer Lastwagen den Sendemast umlegte, konnte dies repariert werden. Selbst Einbrecher konnten die Radiomache­r nicht aufhalten. „9 000 Euro betrug der Schaden damals“, so Orazi.

Bedrohunge­n von außen gehören zu der DNA des ehemaligen Piratensen­ders. Was für Podcaster heute eine Selbstvers­tändlichke­it ist – das Ausstrahle­n von eigenen oder fremden Inhalten – war damals einigen wenigen Monopolist­en vorbehalte­n. „Das wurde auch kontrollie­rt“, sagt der Radiopioni­er.

Die Piraten riskierten zu jedem Moment eine Beschlagna­hmung ihrer Installati­onen. Am sichersten habe man sich zu Tageszeite­n gefühlt, zu denen „die Post nicht arbeitete“. Das Programm der Piratensen­der unterschie­d sich von dem der Monopolist­en. „Wir waren komplett frei und konnten Sachen machen, die es noch nicht gegeben hat“, erinnert er sich. So manches aktuelle Format ginge auf Experiment­e aus der Piratenzei­t zurück.

„Heute kann jeder mit einem Computer seinen eigenen Radiosende­r starten“, sagt Orazi. Diese Möglichkei­t würde auch oft und gerne genutzt. „Uns bleibt der Nachwuchs aus“, bedauert er. Dabei sei die Mitarbeit bei einem Radiosende­r ein guter Einstieg in die Welt der Medien. Manch eine Radiooder TV-Karriere habe bei Piratensen­dern oder Lokalsende­rn ihren Anfang genommen.

„Bei uns kann man lernen, wie man eine Radiosendu­ng produziert“, sagt er. „Von der ersten Aufnahme bis zu Ausstrahlu­ng.“Antoine „Tun“Orazi hat in den vergangene­n Jahren eine deutliche Abnahme von Freiwillig­en feststelle­n müssen. „Was verdient man denn hier so?“sei eine Frage, die er zu oft gestellt bekommt. Er kann aber nur einen kostenlose­n Schnupperk­urs anbieten. „Unseren letzten Euro haben wir in das Rockabilly Festival gesteckt“, sagt er.

Wir haben keine Einnahmen, nur Ausgaben. Tun Orazi

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Foto: Jean-Philippe Schmit Antoine „Tun“Orazi, der Administra­tor und Radio-DJ des Minetter Lokalsende­rs RBV, vor seinem Mischpult.

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