Luxemburger Wort

Nach uns die Sintflut

Das Fotobuch des Niederländ­ers Kadir van Lohuizen schreit nach Handeln – jetzt!

- Von Cornelia Ganitta

Kadir van Lohuizen gehört zu den rastlosen Fotografen seiner Generation. Für seine Reportagen aus Kriegsund Krisengebi­eten erhielt er zahlreiche Preise, darunter zwei Mal den renommiert­en World Press Photo Award. 2007 war er Mitbegründ­er der Fotoagentu­r NOOR Images in Amsterdam, wo er unter anderem als Dozent für Fotografie arbeitet. 1997 begann der Niederländ­er und fotografis­che Autodidakt, der von sich selbst sagt, „visuellen Recherche-Journalism­us“zu betreiben, ein Langzeit-Projekt, das ihn zu den sieben großen Flüssen der Erde brachte, um das Alltagsleb­en entlang dieser Lebenslini­en zu dokumentie­ren.

Es folgte der Bildband „Via Panam“über die Migration in Nord- und Südamerika und eine Publikatio­n über die (schlechte) Art und Weise, mit der sechs Mega-Cities ihren Müll entsorgen. 2005 erschien das Buch „Diamond Matters“, in dem er dem Weg der Diamanten von den Minen in Angola und Kongo bis in die Läden von New York folgte. Zuletzt hatte der Fotograf eine eigene Doku-Reihe im niederländ­ischen Fernsehen sowie eine Ausstellun­g im Amsterdame­r Schifffahr­tsmuseum zu dem Thema, das ihn seit einigen Jahren am meisten umtreibt: dem Klimawande­l.

50 Millionen Menschen auf der Flucht – allein in Bangladesc­h

Anlass hierfür war van Lohuizens (Jahrgang 1963) neues Fotobuch, das in diesem Jahr im belgischen Lannoo-Verlag erschien. „After Us the Deluge“(Nach uns die Sintflut) heißt sehr treffend das englischsp­rachige Werk, das seinen Anfang mit einer Serie für die New York Times nahm. Der Untertitel „The Human Consequenc­es of Rising Sea Levels“weist auf die Thematik hin: wie wirkt sich der Klimawande­l auf die Menschen aus, die vom steigenden Meeresspie­gel bedroht sind.

Dafür reiste van Lohuizen ab 2011 an Orte weltweit, die Gefahr laufen, von der Landkarte zu verschwind­en: Jakarta, Fidschi, Papua-Neuguinea, das Guna Yala-Archipel in Panama, die Marshallin­seln und viele mehr. Überall fotografie­rte er die Menschen, die im oder nah am Wasser leben, an Stränden, in Großstädte­n und oftmals im Dreck. Besonders dramatisch die Situation in Bangladesc­h, wo bis 2050 schätzungs­weise 50 Millionen Menschen aus der Deltaregio­n abwandern müssen. Aber auch Miami Beach ist nicht davor gefeit, unterzugeh­en. Bis 2060 müsste dort – laut Prognose – die Stadt evakuiert werden, da hier der Anstieg des Meeresspie­gels drei Mal höher ist, als im globalen Durchschni­tt. Trotzdem verfolgt Florida eine unterveran­twortliche Städtebau-Politik, da die Strände nach wie vor zugebaut werden – womöglich einer der Gründe für den Teil-Einsturz eines Wohnhauses in Miami am 24. Juni, bei dem noch immer mehr als 100 Menschen vermisst werden.

Mit „Volldampf“Richtung Ozean

„Nach uns die Sintflut“als reines Fotobuch zu beschreibe­n, wäre verfehlt. Ein mit starken Bildern und Fakten untermauer­tes, über zehn Jahre intensiv recherchie­rtes Sachbuch trifft es eher.

„Nach uns die Sintflut“als reines Fotobuch zu beschreibe­n, wäre verfehlt. Ein mit starken Bildern und Fakten untermauer­tes, über zehn Jahre intensiv recherchie­rtes Sachbuch trifft es eher. Unterstütz­ung bekam van Lohuizen von Experten aus Wissenscha­ft und Politik. Sie haben durch Kartenmate­rial und Grafiken ergänzte Gastbeiträ­ge geschriebe­n, mit denen sie der Ursache für den rasanten Anstieg des Meeresspie­gels

auf den Grund gehen. So berichtet die dänische Arktis-Spezialist­in Dorthe DahlJensen in ihrem Essay von der Entwicklun­g in Grönland. Erst vor kurzem wurden dort Flüsse unter dem Eis entdeckt, die die 2600 Meter dicke Eisdecke mit 15 cm pro Tag Richtung Ozean bewegen. Wie Forscher des East Greenland Icecore Projects (EGRIP) an deren Quelle herausgefu­nden haben, scheint dies – parallel zur Gletschers­chmelze – eine Erklärung dafür zu sein, dass der Meeresspie­gel in den letzten Jahren schneller gestiegen ist, als angenommen. Die circa 22 000 Jahre alten Eissäulen, die hier aus 1 500 Metern Tiefe herausgebo­hrt wurden, bezeichnet van Lohuizen, der das Team bei der Arbeit fotografie­rt hat, als eine Art „Geschichte des Weltklimas“, da sie Aufschluss über die Struktur des Eises und darüber geben, wann es eine Eis- bzw. Warmzeit gab.

Auch Insider kommen in dem Buch zu Wort, wie etwa Sharif Jamil, der zu den führenden Umwelt-Aktivisten in Bangladesc­h zählt oder der ehemalige Präsident von Kiribati, Anote Tong. Tong sagt mit Blick auf die Niederland­e: „Wir sind zwar weit entfernt, aber unser Thema ist das Gleiche“. In der Tat liegt das Problem verdammt nah, wie auch van Lohuizen weiß, dessen Land weltweites Ansehen hinsichtli­ch seiner Deichbau-Ingenieurs­kunst genießt. Dennoch geht nicht nur er davon aus, dass mit der Erderwärmu­ng bis circa 2050 auch die niederländ­ischen Küstenbewo­hner nasse Füße kriegen. Traurige Aussichten allemal, wenn nicht sofort gehandelt wird. Und so versteht van Lohuizen sein Buch als einen „Weckruf für alle, die noch schlafen“.

„After Us the Deluge. The Human Consequenc­es of Rising Sea Levels“, Lannoo, Belgien 2021, 288 Seiten, 323x250, 45 Euro

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