Literarischer Weltumsegler
Das Wiener Literaturmuseum präsentiert die Schau „Stefan Zweig Weltautor“.
Er war ein Phänomen in der Literaturwelt, ein Autor, dessen Werk sowohl quantitativ als auch qualitativ herausragte. Als er 50 Jahre alt war, lag in Russland – mit einem Vorwort von Maxim Gorki – bereits eine erste Gesamtausgabe seiner Werke vor, er galt 1930 als der in die meisten Sprachen übersetzte lebende Schriftsteller. Bis heute gehört er zu den weltweit meistgelesenen deutschsprachigen Autoren. Zum 140. Geburtstag würdigt ihn das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien mit der Ausstellung „Stefan Zweig -Weltautor“.
Stefan Zweig wurde am 28. November 1881 in Wien als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Textilunternehmers geboren. Seine Familie war nicht religiös, er empfand sich als „Jude aus Zufall“. Er wuchs im Zentrum der Stadt auf, absolvierte das Gymnasium in der Wasagasse, studierte an der Universität Wien und wurde 1904 zum Doktor der Philosophie promoviert. Schon ab 1897 erschienen Gedichte von ihm in Zeitschriften. 1901 wurde der Gedichtband „Silberne Saiten“veröffentlicht, 1904 seine erste Novelle „Die Liebe der Erika Ewald“.
Zweig konnte sich einen großbürgerlichen Lebensstil leisten, viel reisen und dabei zahlreiche Kontakte mit anderen Schriftstellern und Übersetzern knüpfen. So entstand ein Netzwerk, das ihm später – vor allem auch nach seiner Emigration – sehr nützlich war. Dank seines brillanten Stils fand Zweig bereits früh mit Essays und Erzählungen sowie als Übersetzer Anerkennung. Der Durchbruch gelang ihm 1927 mit den „Sternstunden der Menschheit“, einer Sammlung von – anfangs fünf, zuletzt vierzehn – historischen Miniaturen, in denen er Ereignisse von Weltbedeutung – etwa die Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen oder das Wettrennen zwischen Amundsen und Scott zum Südpol – ungeheuer packend und dramatisch schilderte.
Der Erste Weltkrieg veränderte Zweig. Sein Tagebuch von 1914 und eine patriotische Feldpostkarte an den Dichter Anton Wildgans sprechen noch eine andere Sprache als sein späteres Bekenntnis zum Pazifismus in einem Brief an die Journalistin Berta Zuckerkandl. Nach dem Krieg heiratete Zweig und bezog mit seiner Frau Friderike eine große Villa auf dem
gens in der Hauptrolle verfilmte „Schachnovelle“und sein Abgesang auf das alte Europa und das untergegangene Habsburgerreich: „Die Welt von Gestern“.
Essenziell für sein Schaffen waren seine Reisen
Die Schau im Literaturmuseum präsentiert zahlreiche Aussagen über Zweig, eine auffallende stammt von Erich Fried: „Stefan Zweigs am schlechtesten geschriebenes Buch, ,Die Welt von Gestern‘, war vielleicht sein wichtigstes, weil es unheimlich ehrlich und schutzlos die Strukturen und Schwächen dieser Welt, auch ihre Untergangsreife, aufdeckte.“Thomas Mann sagte 1952, zum 10. Todestag, über Zweig: „Sein literarischer Ruhm reichte bis in den letzten Winkel der Erde.“Mann trifft die Feststellung, seit Erasmus von Rotterdam sei kein Schriftsteller so berühmt gewesen wie Stefan Zweig.
Was Zweig geleistet hat, belegen die zahlreichen Objekte der Ausstellung: Buchausgaben von einst und jetzt, Notiz- und Tagebücher, Briefe, Ansichtskarten, Fotografien, Filmausschnitte, Filmprogramme und -plakate, Tonaufnahmen, interaktive Stationen, informative Schautafeln. Einzelne Dokumente halten öffentliche Auftritte Zweigs als Vortragender fest.
Noch im 21. Jahrhundert haben sich Filmregisseure von Zweigs Leben und Werk inspirieren lassen. 2005 löste die Xu Jinglei mit ihrer Version von „Brief einer Unbekannten“in China eine unglaubliche Zweig-Begeisterung aus. Wes Anderson orientierte sich im Oscar-gekrönten Film „The Grand Budapest Hotel“(2014) an Werken von Zweig. Maria Schraders Filmbiografie „Vor der Morgenröte“greift Zweigs letzte Jahre im Exil auf. Im September 2021 soll eine Neuverfilmung der „Schachnovelle“in der Regie von Philipp Stölzl herauskommen.
Zweig war nicht nur ein großer Autor, sondern auch ein blendender Manager und Vermarkter seines Schaffens. Originell sind seine 1912 in einer Karnevalsausgabe veröffentlichten Ratschläge für junge Schriftsteller unter dem Titel „Die zehn Wege zum deutschen Ruhm“, von denen einer lautet: „Sei eine Zeitlang verkannt, oder scheine es, das macht Freunde. Hast du mit einem Buch viele Auflagen, so verschweige sie. Es gilt sonst als schlecht.“In einem riesigen „Hauptbuch“hielt Zweig minutiös alle Übersetzungen seiner Werke, die Verleger, die Honorare, die Übersetzer sowie Anfragen und Anmerkungen zu den einzelnen Ausgaben fest.
Die beiden Kuratoren der Ausstellung, Bernhard Fetz, Direktor des Literaturmuseums, und Arturo Larcati, Leiter des Stefan-Zweig-Zentrums der Universität Salzburg und Germanistik-Professor an der Universität Verona, heben Zweigs Bedeutung als „Weltautor“hervor. Zweig trat ja auch als Herausgeber von Werken der Weltliteratur mit dem Projekt „Bibliotheca mundi“in Erscheinung.
Essenziell für sein eigenes Schaffen waren seine Reisen – in Europa, nach Indien, nach Nordafrika, nach Nord- und Südamerika. Er fand seine Schauplätze in aller Welt, auch in Ländern, die er gar nicht bereist hatte, wie das heutige Indonesien (damals Niederländisch-Indien), wo seine packende Novelle „Der Amokläufer“spielt.
Zweig, den ein starkes psychologisches Einfühlungsvermögen in seine Figuren, auch in weibliche Charaktere, auszeichnete, widmete sich mit Vorliebe großen Entdeckern, Weltereignissen und Weltideen. Vorgeworfen wurde und wird ihm nicht selten eine unkritische Sicht des Kolonialismus, sein nicht gerade von Gedanken der Emanzipation geprägtes Frauenbild. Ein ständiges Thema bei ihm war das Spannungsfeld von Macht und Moral, zum Beispiel in seinem während der Französischen Revolution angesiedelten Drama „Adam Lux“.
Von seinen vielen lesenswerten Biografien ist jene des portugiesischen Seefahrers Magellan besonders signifikant. Die von Magellan angestrebte Weltumseglung gelang, aber er selbst verlor unterwegs sein Leben. Stefan Zweig war ein literarischer Weltumsegler, frei von jedem Nationalismus. Um Kriege, die er zutiefst ablehnte, zu vermeiden, trat er für ein vereinigtes Europa ein und sah in der Habsburgermonarchie ein Modell für das Zusammenleben unterschiedlicher Völker. Die Verwirklichung seiner Idee hat er nicht erlebt.
Stefan Zweigs literarischer Ruhm reichte bis in den letzten Winkel der Erde. Thomas Mann