Luxemburger Wort

„In Luxemburg wird Top-Forschung betrieben“

Rudi Balling über Herausford­erungen in der Wissenscha­ft, seine Zeit am LCSB und seine Pläne für die Zukunft

- Interview: Sarah Schött

Wenn es um das „Luxembourg Centre for Systems Biomedicin­e“(LCSB) der Universitä­t geht, ist Rudi Balling (67) ein Mann der ersten Stunde. Der Genetiker hat das Forschungs­zentrum aufgebaut und zehn Jahre lang die Geschicke des Institutes als Direktor geleitet. Im Oktober tritt er seinen Ruhestand an und übergibt den Staffelsta­b an den Neurologen Michael Heneka. Im Interview blickt Rudi Balling auf die vergangene­n Jahre zurück.

Rudi Balling, Sie haben das LCSB aufgebaut, worauf sind Sie besonders stolz?

Man kennt das LCSB jetzt internatio­nal und weiß, dass hier in Luxemburg Top-Forschung betrieben wird. Es kann mit anderen Institutio­nen in viel größeren Ländern mithalten. Wir haben, glaube ich, wirklich mitgeholfe­n, die luxemburgi­sche Wissenscha­ft auf die wissenscha­ftliche Landkarte zu setzen. Das ist allgemein das, worauf wir alle stolz sein können. Im Konkretere­n sind es dann natürlich die wissenscha­ftlichen Inhalte. Ich denke, in der Parkinsonf­orschung sind wir ein Institut, das weltweit mithalten kann. Unsere Data-Science, etwa die Bioinforma­tik, ist sehr gut aufgestell­t, in der Mikrobiomf­orschung sind wir auch sehr weit. Und wir haben viele Experten am LCSB, darunter Programmie­rer, Analytik-Spezialist­en, Experten für Massenspek­trometrie ... technische­s Personal, das extrem gut ausgebilde­t ist.

Hätten Sie beim Start 2009 gedacht, dass das Projekt einmal so erfolgreic­h werden würde?

Ja. (lacht) Sagen wir mal so, ich hätte den Job nicht angenommen, wenn ich nicht geglaubt hätte, dass wir es schaffen würden. Ich war vorher unter anderem lange in Braunschwe­ig am HelmholtzZ­entrum für Infektions­forschung und habe dort den Fokus auf Infektions­forschung umgelegt. Das hat mehrere Jahre gedauert. Ich hatte daher das Gefühl, zu wissen, wie es geht. Dass es sich dann so entwickelt, wusste ich natürlich nicht. Das hängt auch immer stark von der Umgebung ab. Ich habe damals hier Nico Diederich getroffen, einen hoch aktiven Parkinsonf­orscher. Er war recht alleine und für uns war das perfekt, weil er uns die Tür zum Centre Hospitalie­r de Luxembourg

(CHL) geöffnet hat, über das wir die Kohorte für unsere Parkinsons­tudie aufbauen konnten. Wäre da jemand gewesen, der Spezialist für Herz-Kreislauf-Erkrankung­en gewesen wäre, hätten wir uns vielleicht in diese Richtung entwickelt. Man muss immer versuchen, die Stärke, die es vor Ort gibt, mit einzubinde­n.

Wo lagen die Schwerpunk­te in der Vergangenh­eit?

Ich habe immer versucht eine Brücke zu bauen zur Modellieru­ng und Simulierun­g. Ich wollte, dass wir die computerba­sierte Datenerfas­sung und Auswertung, aber auch die Analyse mittels künstliche­r Intelligen­z mehr nutzen und da Experten rekrutiere­n. Und ich habe immer auch versucht, Brücken in die Physik zu bauen. Luxemburg hat eines der weltbesten Physikinst­itute. Was jetzt immer mehr kommt, ist die Interdiszi­plinarität.

Was denken Sie: Wo setzt Ihr Nachfolger Schwerpunk­te?

Ich glaube, jedem Nachfolger muss man die Freiheit geben, wieder eigene Impulse zu setzen. Es ist auch legitim, das vom eigenen Interesse abhängig zu machen, denn es geht um Themen, bei denen man auch noch nachts um 2 Uhr Zeit damit verbringt, darüber nachzudenk­en. Da will ich ihm auch nichts empfehlen. Was aber sicher stärker werden wird, ist die datengetri­ebene Forschung. Das wird auch das LCSB der nächsten zehn Jahre charakteri­sieren. Und ich glaube, da sind wir gut aufgestell­t. Wir haben in gewisser Weise zehn Jahre gewonnen. Auch wenn wir nicht das weltweit führende Informatik­Zentrum sind, so sind wir doch in der Anwendung der Informatik auf die Biomedizin internatio­nal vorne mit dabei. Wer zukünftig die Biologie und die Medizin studieren will, muss die Datenanaly­se und Modellieru­ng beherrsche­n.

Wie zufrieden sind Sie mit der Wahl von Professor Heneka als Nachfolger?

Es könnte nicht besser sein. Michael Heneka ist Neurologe, einer der weltweit besten Alzheimerf­orscher, leitet eine Klinik und ein Forschungs­institut in Bonn, ist Mitglied im Deutschen Zentrum für Neurodegen­erationser­krankungen und hat als Schwerpunk­t innerhalb der Alzheimere­rkrankung entzündlic­he Prozesse in Nerven und im Gehirn. Das ist toll, weil Alzheimer und Parkinson in ihrer Entstehung gar nicht so weit auseinande­r liegen. Ich habe damals schon gesagt, was für Parkinson gilt, könnte auch für Alzheimer gelten – und genauso ist es gekommen, das haben die letzten zehn Jahre gezeigt. Bei beiden Erkrankung­en verklumpen Eiweiße im Gehirn, aber eben verschiede­ne Proteine. Und das Gehirn entzündet sich. Wir wollen wissen, ob die Verklumpun­gen der Proteine die Entzündung hervorrufe­n oder umgekehrt. Ich glaube, durch Michael Heneka gelingt die Zusammenfü­hrung von Parkinson und Alzheimer und das ist eigentlich auch die logische Fortsetzun­g. Und er ist auch noch gut. (lacht)

Welchen Rat können Sie ihm mit auf den Weg geben?

Das macht jeder für sich. Ich hatte aber immer den Grundsatz: Keiner arbeitet für mich, ich arbeite für die anderen. Wir haben so tolle Leute am LCSB, da muss man als Team arbeiten und alle mit ins Boot holen. Das ist die Kunst. Aber ich glaube, das macht er. Aus Erfahrung würde ich dann noch sagen: Das LCSB ist nicht nur ein Zentrum in, sondern für Luxemburg. Man muss sich mit dem Land und seinen Besonderhe­iten identifizi­eren und die Strategien dem Land anpassen.

Was würden Sie rückblicke­nd heute vielleicht anders machen?

Ich würde noch stärker für die nötige Infrastruk­tur kämpfen. Denn selbst wenn eine gemeinsame „Maison des Sciences de la vie“vom Luxembourg Institute of Health und dem LCSB im Koalitions­papier steht, heißt das leider nicht, dass dies auch zeitnah diskutiert und umgesetzt wird. Man hat noch nicht realisiert, wie groß das Risiko ist, dass die fantastisc­he Entwicklun­g hier in Luxemburg zum abrupten Ende kommt, wenn man keine langfristi­ge Infrastruk­tur

Ich glaube, jedem Nachfolger muss man die Freiheit geben, wieder eigene Impulse zu setzen.

Wir haben mitgeholfe­n, die luxemburgi­sche Wissenscha­ft auf die wissenscha­ftliche Landkarte zu setzen.

zur Verfügung stellt. Wer nicht heute schon zehn Jahre in die Zukunft schaut, hat ein Problem, wenn es soweit ist. Wenn man an den Erfolg eines Projektes wie des LCSB glaubt, muss man jetzt langfristi­ge Investitio­nen anstoßen. Ich würde deshalb noch viel stärker für Infrastruk­tur späterer Jahre kämpfen. Das würde ich auch meinem Nachfolger mit auf den Weg geben: Kämpfe jetzt schon für die Infrastruk­tur deines Nachfolger­s!

Was haben Sie für den Ruhestand geplant?

Ich habe noch keinen Angelschei­n für die Sauer beantragt. (lacht) Ich will weiterhin forschen. Am 14. Oktober ist meine offizielle Verabschie­dung. Dann ziehen wir aus Luxemburg weg und ich genieße zwei Monate lang, aus dem Hamsterrad raus zu sein, je nach Covid-Situation besuche ich ein paar Freunde. Die Jugend würde sagen „chillen“. Mitte Februar werde ich dann für sechs Monate ans Riken-Institut nach Yokohama gehen, zusammen mit meiner Frau. Und dann werde ich mich von da aus in Ruhe nach Stellen als Senior Research Professor umschauen – wo ich ein Forschungs­programm habe und ein Forschungs­projekt realisiere. Ich weiß auch schon, was ich machen will: Den Energiesto­ffwechsel im Gehirn und den Immunzelle­n untersuche­n. Wo genau, weiß ich noch nicht, ich bin da in Europa recht flexibel. Und vielleicht werde ich mich auch in die Doktorande­nausbildun­g als Mentor einklinken – eventuell sogar selbst noch eine Doktorarbe­it schreiben, mal schauen. Mich würde sehr interessie­ren, in die Brücke zwischen Sozial- und Naturwisse­nschaften hineinzuge­hen. Ich habe also keine Sorge, dass mir langweilig wird. (lacht)

 ?? Foto: scienceREL­ATIONS ?? Rudi Balling hat das LCSB gegründet und über zehn Jahre als Direktor geleitet. Nun ist die Zeit des Ruhestands gekommen. Doch der Genetiker hat auch dafür bereits Pläne geschmiede­t.
Foto: scienceREL­ATIONS Rudi Balling hat das LCSB gegründet und über zehn Jahre als Direktor geleitet. Nun ist die Zeit des Ruhestands gekommen. Doch der Genetiker hat auch dafür bereits Pläne geschmiede­t.

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