Selbst die „Untergangsuhr“tickt nicht mehr
Im Iran protestieren die Menschen nicht nur gegen anhaltende Stromausfälle – sondern auch gegen Revolutionsführer Chamenei
In Teheran ist in den vergangenen Tagen eine Uhr ausgefallen, die den Countdown der von Ali Chamenei angekündigten „endgültigen Vernichtung Israels“anzeigen sollte. Der iranische Revolutionsführer hatte 2015 prophezeit, dass der jüdische Staat im Jahr 2040 nicht mehr existieren würde. Der Ausfall der sogenannten „Untergangsuhr“hat bei den Kritikern und Feinden der Islamischen Republik nachvollziehbare Schadenfreude ausgelöst.
Anstelle von Atomwaffen hätten sich die Iraner lieber auf die Entwicklung erneuerbarer Energien konzentrieren sollen, twitterte der ehemalige israelische UNBotschafter Danny Danon. Für die meisten Iraner ist der Stillstand der „Untergangsuhr“lediglich ein weiterer Beweis für die Unfähigkeit des Regimes, die seit Jahren schwelende Energiekrise trotz der vorhandenen Ressourcen zu bewältigen. So lange wie in diesem Sommer sei der Strom noch nie ausgefallen. Bis zu acht Stunden oder sogar länger sitzen die Menschen in Millionenstädten wie Teheran und Schiraz jeden Tag im Dunkeln. Noch schlimmer sei es in einigen ländlichen Regionen. Die häufigen Stromsperren, berichtete die regierungsnahe Nachrichtenagentur ISNA zu Wochenbeginn, führten zu Wasserausfällen in den Wohnungen. Fleisch und Geflügel verderbe in den Kühlschränken. In Hühnerfarmen erstickten nach dem Ausfall der Klimaanlagen die Tiere.
„Ausfälle“von bis zu 90 Prozent werden auch von den Fischfarmen gemeldet, die auf regelmäßige Sauerstoffversorgung angewiesen sind. Die sich zuspitzende Energiekrise hat inzwischen zahlreiche Demonstrationen ausgelöst. Diese werden auch in den sozialen Netzwerken dokumentiert. Dabei richtet sich die Wut der Iraner nicht nur gegen den „inkompetenten“
Energieminister, dessen Rücktritt gefordert wird.
Vor allem während der nächtlichen Stromsperren, also in der totalen Finsternis, gehen die Iraner auf ihre Terrassen und Balkone, um mit lauter Stimme „Tod Chamenei“oder „Tod dem Diktator“zu skandieren. Dass die vielen Stromausfälle „Probleme und Qualen“verursachen, hat zu Wochenbeginn auch Hassan Ruhani zugegeben. Der Anfang August aus dem
Amt scheidende iranische Präsident entschuldigte sich sogar beim „lieben iranischen Volk“. Gleichzeitig sprach er jedoch das Teheraner Energieministerium von jeglicher Verantwortung frei.
Ein „Staat im Staate“
Alles was man gegenwärtig tun könne, sagte Ruhani, sei „zu versuchen, die Stromsperren etwas zu verkürzen“. Als Grund für die Ausfälle nennt die Regierung den „übermäßigen Stromverbrauch der Iraner bei hohen Temperaturen“. So habe die Nachfrage in den vergangenen Tagen 66 Gigawatt erreicht. Das sind 20 Prozent mehr, als im Iran produziert werden kann. Für viele Iraner ist dagegen das sogenannte Mining von Kryptowährungen – wie beispielsweise Bitcoins – für die zahlreichen Stromausfälle verantwortlich.
Wegen der gegen Iran verhängten Sanktionen wurde das Mining im vergangenen Jahr sogar gefördert, weil es der angeschlagenen iranischen Wirtschaft jährlich über eine Milliarde Dollar einbringen soll. Für die Profite wurde die Überlastung des Stromnetzes solange in Kauf genommen, bis Präsident Ruhani Ende Mai dieses Jahres alle Mining-Operationen für illegal erklärte. Befolgt wurden seine Direktiven freilich nicht.
Wie gut informierte Quellen aus dem Iran berichten, wird ein Großteil des Bitcoin-Minings unter der Schirmherrschaft der Revolutionsgardisten durchgeführt. Sie haben eine Art „Staat im Staate“gebildet, gegen den sich verhältnismäßig liberale Politiker wie Ruhani niemals durchsetzen konnten.
Ob dies unter dem Hardliner Ebrahim Raisi, der in drei Wochen das Präsidentenamt übernimmt, anders werden wird, bleibt abzuwarten. Am angeblich „übermäßigen“Stromverbrauch der Iraner wird sich bis dahin jedenfalls nichts ändern. Der August ist auch im Iran der heißeste Monat des Jahres.
Bis zu acht Stunden oder sogar länger sitzen die Menschen in Millionenstädten wie Teheran und Schiraz jeden Tag im Dunkeln.