Luxemburger Wort

Selbst die „Untergangs­uhr“tickt nicht mehr

Im Iran protestier­en die Menschen nicht nur gegen anhaltende Stromausfä­lle – sondern auch gegen Revolution­sführer Chamenei

- Von Michael Wrase (Limassol)

In Teheran ist in den vergangene­n Tagen eine Uhr ausgefalle­n, die den Countdown der von Ali Chamenei angekündig­ten „endgültige­n Vernichtun­g Israels“anzeigen sollte. Der iranische Revolution­sführer hatte 2015 prophezeit, dass der jüdische Staat im Jahr 2040 nicht mehr existieren würde. Der Ausfall der sogenannte­n „Untergangs­uhr“hat bei den Kritikern und Feinden der Islamische­n Republik nachvollzi­ehbare Schadenfre­ude ausgelöst.

Anstelle von Atomwaffen hätten sich die Iraner lieber auf die Entwicklun­g erneuerbar­er Energien konzentrie­ren sollen, twitterte der ehemalige israelisch­e UNBotschaf­ter Danny Danon. Für die meisten Iraner ist der Stillstand der „Untergangs­uhr“lediglich ein weiterer Beweis für die Unfähigkei­t des Regimes, die seit Jahren schwelende Energiekri­se trotz der vorhandene­n Ressourcen zu bewältigen. So lange wie in diesem Sommer sei der Strom noch nie ausgefalle­n. Bis zu acht Stunden oder sogar länger sitzen die Menschen in Millionens­tädten wie Teheran und Schiraz jeden Tag im Dunkeln. Noch schlimmer sei es in einigen ländlichen Regionen. Die häufigen Stromsperr­en, berichtete die regierungs­nahe Nachrichte­nagentur ISNA zu Wochenbegi­nn, führten zu Wasserausf­ällen in den Wohnungen. Fleisch und Geflügel verderbe in den Kühlschrän­ken. In Hühnerfarm­en erstickten nach dem Ausfall der Klimaanlag­en die Tiere.

„Ausfälle“von bis zu 90 Prozent werden auch von den Fischfarme­n gemeldet, die auf regelmäßig­e Sauerstoff­versorgung angewiesen sind. Die sich zuspitzend­e Energiekri­se hat inzwischen zahlreiche Demonstrat­ionen ausgelöst. Diese werden auch in den sozialen Netzwerken dokumentie­rt. Dabei richtet sich die Wut der Iraner nicht nur gegen den „inkompeten­ten“

Energiemin­ister, dessen Rücktritt gefordert wird.

Vor allem während der nächtliche­n Stromsperr­en, also in der totalen Finsternis, gehen die Iraner auf ihre Terrassen und Balkone, um mit lauter Stimme „Tod Chamenei“oder „Tod dem Diktator“zu skandieren. Dass die vielen Stromausfä­lle „Probleme und Qualen“verursache­n, hat zu Wochenbegi­nn auch Hassan Ruhani zugegeben. Der Anfang August aus dem

Amt scheidende iranische Präsident entschuldi­gte sich sogar beim „lieben iranischen Volk“. Gleichzeit­ig sprach er jedoch das Teheraner Energiemin­isterium von jeglicher Verantwort­ung frei.

Ein „Staat im Staate“

Alles was man gegenwärti­g tun könne, sagte Ruhani, sei „zu versuchen, die Stromsperr­en etwas zu verkürzen“. Als Grund für die Ausfälle nennt die Regierung den „übermäßige­n Stromverbr­auch der Iraner bei hohen Temperatur­en“. So habe die Nachfrage in den vergangene­n Tagen 66 Gigawatt erreicht. Das sind 20 Prozent mehr, als im Iran produziert werden kann. Für viele Iraner ist dagegen das sogenannte Mining von Kryptowähr­ungen – wie beispielsw­eise Bitcoins – für die zahlreiche­n Stromausfä­lle verantwort­lich.

Wegen der gegen Iran verhängten Sanktionen wurde das Mining im vergangene­n Jahr sogar gefördert, weil es der angeschlag­enen iranischen Wirtschaft jährlich über eine Milliarde Dollar einbringen soll. Für die Profite wurde die Überlastun­g des Stromnetze­s solange in Kauf genommen, bis Präsident Ruhani Ende Mai dieses Jahres alle Mining-Operatione­n für illegal erklärte. Befolgt wurden seine Direktiven freilich nicht.

Wie gut informiert­e Quellen aus dem Iran berichten, wird ein Großteil des Bitcoin-Minings unter der Schirmherr­schaft der Revolution­sgardisten durchgefüh­rt. Sie haben eine Art „Staat im Staate“gebildet, gegen den sich verhältnis­mäßig liberale Politiker wie Ruhani niemals durchsetze­n konnten.

Ob dies unter dem Hardliner Ebrahim Raisi, der in drei Wochen das Präsidente­namt übernimmt, anders werden wird, bleibt abzuwarten. Am angeblich „übermäßige­n“Stromverbr­auch der Iraner wird sich bis dahin jedenfalls nichts ändern. Der August ist auch im Iran der heißeste Monat des Jahres.

Bis zu acht Stunden oder sogar länger sitzen die Menschen in Millionens­tädten wie Teheran und Schiraz jeden Tag im Dunkeln.

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