Unser aller Verantwortung
Überlegungen, wie das Miteinander von Landwirtschaft und Ernährung funktionieren kann
In den letzten Wochen und Monaten stand die Landwirtschaft wieder verstärkt im Mittelpunkt, dies anlässlich der Debatte zum Agrarhaushalt 2021-2027 und der Ausrichtung der EUAgrarpolitik. Die EU-Agrarreform, die auch dieses Mal keine wirkliche Reform darstellt, steckt für sieben Jahre den rechtlichen Rahmen ab, was in den Mitgliedsstaaten subventioniert werden darf. Umweltorganisationen und kritische Agrarverbände sehen in dem jetzigen Kompromiss zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und EU-Ministerrat nicht den Paradigmenwechsel, den wir angesichts der Klima- und Biodiversitätskrise und für den Erhalt unserer Agrarkultur unbedingt bräuchten. Der angekündigte Green Deal der EU und die „Farm to Fork“-Strategie, welche den Rahmen für eine zukunftsfähige Wirtschaft und Gesellschaft in Europa abstecken sollen, finden in dieser Agrarreform kaum Widerhall.
Geldflüsse verfehlen ihren Zweck Die EU-Agrarreform wird auch die weiteren Planungen unseres Landwirtschaftsministers beeinflussen. Dabei stehen ihm etwa 45 Millionen Euro pro Jahr aus dem EU-Topf zur Verfügung. Zusätzlich kann Romain Schneider mit nationalen Mitteln noch großzügig auf 100 Millionen Euro aufrunden. Umfangreiche und präzise wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahre haben auch für Luxemburg gezeigt, dass die staatlichen Gelder, die in die Landwirtschaft fließen, bislang ihren Zweck verfehlt haben und, wenn nichts bedeutend Innovatives passiert, alles beim Alten bleiben wird: Es gibt immer weniger Bäuerinnen und Bauern, die Verschuldung der Betriebe ist hoch, die Biodiversität ist an einem dramatischen Tiefpunkt angelangt, unsere Gewässer sind mit Pestiziden und Nährstoffen belastet und durch die intensive Milchviehhaltung ist der Ausstoß an Klimagasen und Ammoniak gestiegen.
Dies sind soweit die Fakten, die wissenschaftlich belegt sind und die dringend nach Maßnahmen rufen, um die vielschichtigen Probleme zu lösen. Das kann die Landwirtschaft alleine nicht stemmen, es ist eine gesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe, weswegen die öffentlichen Gelder für die Landwirtschaft auch gerechtfertigt sind. Technische und biotechnische Maßnahmen bestimmen den Ablauf in einem landwirtschaftlichen Betrieb und haben ihn auch in eine große Abhängigkeit von Konzernen und Finanzstrukturen gebracht: Der Bauer bewegt sich auch außerhalb seines Perimeters, um sich Saatgut, Zuchttiere, Futter- und Düngemittel, Pestizide, Technik und Kapital zu besorgen. Und diese Produktionsmittel werden von Menschen entwickelt, die weit weg sind von dem, was die
Landwirtschaft eigentlich von Natur aus sein kann und sein soll. Diese Art von Arbeitsteilung und Spezialisierung ist nicht per se schlecht, jedoch ist die Selbstbestimmung bei den wesentlichen Entscheidungen im Sinne einer ökologischen, resilienten Landwirtschaft abhanden gekommen. Konkurrenz am Markt lässt kein zukunftsträchtiges Wirtschaften zu. Im Kern haben die Veränderungen genau hier zu beginnen.
Vorbild für Kreislaufwirtschaft
Die landwirtschaftliche Produktion – wie auch andere technische Prozesse – funktioniert nach naturwissenschaftlichen Vorgaben, die wir nicht verändern können. Aus diesem Sachverhalt heraus hat der Landbau eine herausragende Rolle in unserer Ökonomie und Gesellschaft: Er ist der einzige Produktionszweig innerhalb der Wirtschaft, der aus der Sonnenenergie und den natürlichen Ressourcen Boden, Wasser und Luft in einem geschlossenen Kreislauf und ohne Zerstörung etwas Neues, ein Produkt wie zum Beispiel Lebensmittel, herstellen kann. Moderne Industriedesigner und fortschrittliche Ökonomen nehmen die biologische Landwirtschaft daher auch gerne als Vorbild für eine Kreislaufwirtschaft und als Leitbild für eine neue Ökonomie.
Die Wirtschaft im Allgemeinen hat den Vorteil, dass sie keine Natur- sondern eine Sozialwissenschaft ist und von Menschen gemacht ist. Demnach ist sie auch von uns Menschen veränderbar, wir müssen es nur wollen. Es ist nun eine gesellschaftliche Aufgabe einen nachhaltigen Weg für unsere zukünftige
Ernährung in die Wege zu leiten. Der in Bearbeitung befindliche nationale Strategieplan muss den möglichen nationalen Gestaltungsfreiraum in vollen Zügen nutzen. Warum sollen wir als EU-Mitgliedstaat nicht die Ambition haben, auch Vorreiter in einer modernen, nachhaltigen Landwirtschaft zu sein? Viele hunderte luxemburgische Betriebe sind gar nicht so weit entfernt von einer ökologischen Betriebsweise. Mit einem mäßigen, an das verfügbare Land angepassten Tierbestand, eventuell einem weiteren Betriebszweig auf dem frei werdenden Land, verfügbaren Gebäuden sowie auch neuen Kooperationsmodellen kann ein neuer Weg beschritten werden. Für gute, innovative Projekte müssen ausreichende Geldmittel und kompetente Beratung zur Verfügung stehen. Ein Teil der Bevölkerung, der die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Biodiversität und Ökonomie versteht, ist bereit lokale, ökologische Produkte zu kaufen. Davon muss es mehr geben. Wir müssen aber aufhören, alles was in Luxemburg und auf gepachteten Flächen in unseren Nachbarländern produziert wird, automatisch als besser und nachhaltiger zu bewerten, nur weil es von hier kommt. Es gibt ausreichend wissenschaftliche Belege, die eine differenzierte Betrachtung verlangen. Gebetsmühlenartiges Wiederholen, dass alles gut ist, macht dies nicht automatisch zur Realität.
Verantwortung der Produzenten
Den Produzenten obliegt demnach eine große Mitverantwortung für eine resiliente Nahrungsmittelproduktion. Die Politik muss bereit sein, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für diese Produzenten zu schaffen, aber ebenso für ein selbstverantwortliches Konsumverhalten. Der Weg zu einer klima- und naturfreundlichen Gesellschaft ist machbar, bedeutet aber auch viel Veränderung. Der Umgang mit der Ressource Land betrifft uns alle. Dort wo früher Kühe geweidet haben oder Getreide gewachsen ist, befinden sich heute Wohnungen, Industriegebiete, Straßen. Nicht bebaute Flächen werden zu Tode gemäht oder versteinert. Wie gehen wir als Bürger mit dem Land und unserem Boden um? Mit derselben Haltung wie früher die Feudalherren, die es nicht notwendig fanden, ihre Ländereien um ihre Schlösser herum für Nahrungsmittel zu nutzen. Es ist zu verstehen, wenn Bäuerinnen und Bauern einen Groll und Zorn gegenüber ignoranten Menschen hegen, die jede freie Entscheidung individuell ohne direkte Konsequenzen treffen können: beim Einkauf vor vollen Regalen, im Urlaub und bei der Freizeitgestaltung. Dabei wird übersehen, dass es den zu schützenden Raum zusammen mit der Landwirtschaft als Ganzes zu erhalten gilt. Eine gute Agrar- und Gesellschaftspolitik ist demnach die, welche die städtische Bevölkerung,
die die Landschaft und Landwirtschaft eher als Kulisse betrachtet, wieder an die elementaren Prozesse der Lebensmittelproduktion, Biodiversität und dem Gebrauch der natürlichen Ressourcen heranführt.
Es geht nicht um Almosen
Mit dieser Haltung muss unser Landwirtschaftsminister nun in den nächsten Monaten einen breiten, konzentrierten Diskussionsprozess führen und Entscheidungen treffen. Er sowie seine Beamten müssen die Fakten wahrnehmen und möglichst unkomplizierte und effiziente Förderungsprogramme entwickeln. Die Bäuerinnen und Bauern müssen ermutigt werden, die Subventionen als Leistungen für mehr Artenvielfalt, Wasser-, Boden- und Klimaschutz anzunehmen. Es sind keine Almosen. Der Staat verfolgt damit keine skurrile Ideologie. Natürlich sollen sie weiterhin gesunde Produkte auf ihren Feldern wachsen lassen, aber auch mit blühenden Randstreifen, weniger chemischen Düngemitteln und wann immer möglich biologisch. Ihre Tiere sollen weitestgehend mit hofeigenem Futter gefüttert werden und sollen Auslauf und Weidegang haben. Für die Landwirtschaft, unsere Ernährung und unsere zukünftigen Generationen können wir einen wichtigen Beitrag leisten, wenn die Politik nun endlich den richtigen Weg einschlägt und auch Budgetmittel dafür vorsieht. Weitere sieben Jahre warten bis zur nächsten Agrarreform wäre eine Katastrophe.
Es ist nun eine gesellschaftliche Aufgabe, einen nachhaltigen Weg für unsere zukünftige Ernährung in die Wege zu leiten.
Der Autor ist Agrar-Ingenieur, Direktor von Greenpeace Luxemburg und Mitbegründer der Plattform „Meng Landwirtschaft“