Die Stunde der Wahrheit
Heute präsentiert Jeannot Waringo den Bericht zu den Altenheimen
Wenn das Parlament montagmorgens um 8 Uhr antritt, dann geht es um mehr als um ein paar Schönwetterreden: Heute stellt Jeannot Waringo, als Generalkoordinator der Arbeitsgruppe, die die Situation in den Alten- und Pflegeheimen während der Pandemie untersucht, seinen Bericht vor. Waringo und sein Team haben im Auftrag der Regierung überprüft, ob in den Seniorenheimen alles getan wurde, um die Bewohner vor einer Infektion zu schützen.
Auslöser sind die vielen Toten unter den Bewohnern. Erste Berichte über Cluster in verschiedenen Häusern sickern Anfang März durch. Besonders schlimm ist die Situation „Um Lauterbann“in Niederkorn. Die ersten Fälle tauchen Mitte Februar auf, bis Anfang März gibt es insgesamt 92 Corona-Infektionen – 67 unter den Bewohnern und 25 unter den Mitarbeitern. Zwischen dem 17. Februar und dem 2. April sind 22 Tote zu beklagen. Auch andere Häuser erwischt es schwer, etwa „Ste. Elisabeth“in der Hauptstadt, wo sich zwischen Mitte Januar und Anfang März 41 Bewohner und 40 Mitarbeiter infizieren, 13 Personen haben die Infektion nicht überlebt.
Familienministerin in der Kritik
Die Politik reagiert spät. Erst als der CSV-Abgeordnete Michel Wolter sich als Käerjenger Bürgermeister mit den vielen Todesfällen im Altersheim „Um Lauterbann“konfrontiert sieht, nimmt die Debatte Fahrt auf. Dabei gerät Familienministerin Corinne Cahen (DP) zunehmend unter Druck, sogar in den eigenen Reihen. Zum einen wird ihr vorgeworfen, dass sie als zuständige Ministerin keine verbindlichen Corona-Regeln für die Alten- und Pflegeheime ausgegeben hat und die Häuser im Regen stehen ließ.
Der Bericht von Generalkoordinator Jeannot Waringo wird mit Spannung erwartet.
Zum anderen wird sie wegen ihrer Informationspolitik kritisiert. Besonders heftig fallen die Reaktionen aus, als sie erklärt, sie habe nicht kommuniziert, weil sie die Häuser nicht unnötig unter Druck setzen wollte.
Für die CSV steht damit fest, dass Cahen die Infektionsherde unter den Teppich kehren will. Am 25. März setzt Wolter, unterstützt von Martine Hansen und Claude Wiseler, bei einer Pressekonferenz zum Frontalangriff an: Die Regierung habe keine einheitliche Covid-Politik, keinen nationalen Strategieplan mit verbindlichen Regeln für Seniorenheime und keine klaren Prozeduren. Corinne Cahen schiebe die Verantwortung stets auf andere, mal auf die Santé, mal auf die Häuser. Außerdem seien die Statistiken nicht korrekt. Der Hauptvorwurf aber lautet, dass anders als in den Krankenhäusern kein „cordon sanitaire“um die Alten- und Pflegeheime gezogen wurde, der es ermöglicht hätte, das ganze Personal prioritär zu impfen.
Den Rücktritt der Familienministerin fordert die CSV zu dem Zeitpunkt noch nicht. Déi Lénk gehen einen Schritt weiter. Ihr damaliger Abgeordneter Marc Baum wirft Cahen „zwölf Monate Inaktivismus“vor und hält sie für nicht mehr tragbar.
Opposition fordert Rücktritt
Am 1. April beschäftigt sich schließlich das Parlament mit dem Thema. Ausgangspunkt ist eine Motion aus der Feder von Michel Wolter, in der er neben einer unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung der Ereignisse in den Seniorenheimen auch ein externes Audit über die sanitären Maßnahmen in den Strukturen, die Prozeduren im Familienministerium und die Schaffung eines „Comité de pilotage“fordert. Die Mehrheitsparteien lehnen dies ab und bringen eine eigene Motion ein, die sich auf die wissenschaftliche Untersuchung beschränkt, ein externen Audit aber nicht in Betracht zieht. Diese Motion wird mit 31 Stimmen angenommen.
Daraufhin verlangt die Opposition geschlossen den Rücktritt von Familienministerin Corinne Cahen. Die entsprechende Motion wird mit den Stimmen der Mehrheitsparteien am Ende einer über weite Strecken sehr ruppig und unsachlich geführten Debatte verworfen. Cahen selbst geht in ihrer gut 20-minütigen Rede übrigens nicht auf die Vorwürfe ein. Sie trägt stattdessen vor, welche Maßnahmen wann und von wem ergriffen wurden.
Waringo soll es richten
Am 20. April betraut die Regierung schließlich den langjährigen Direktor der Generalinspektion der Finanzen Jeannot Waringo mit der Aufarbeitung. Er soll als Generalkoordinator die Arbeitsgruppe leiten, die die Infektionsherde in den Altersheimen untersucht. Waringo ist unumstritten, auch die Opposition ist mit der Personalie einverstanden. 2019 hatte er bereits im Auftrag der Regierung die Situation am großherzoglichen Hof untersucht.