Paradigmenwechsel
Die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer beschließen eine globale Steuerreform
Venedig. Die großen Industrie- und Handelsländer haben sich am Samstag darauf verständig, weltweit Steueroasen auszutrocknen und von großen digitalen Unternehmen mehr Steuern zu verlangen. Die Reform soll ein System umkrempeln, das nach rund 100 Jahren nicht mehr zeitgemäß ist.
In den vergangenen Jahrzehnten waren die Staaten weltweit gefangen in einem Wettrennen nach unten: Im Kampf um die Ansiedlung großer Firmen senkten sie ihre Unternehmensteuern immer weiter. „Das ist ein Rennen, das niemand gewonnen hat“, sagt USFinanzministerin Janet Yellen. Stattdessen habe es den Ländern Ressourcen genommen, die sie eigentlich besser in die Bürger und in Infrastruktur, also in Schulen, Krankenhäuser oder in die Rente gesteckt hätten.
Letztlich zahlten global agierende Konzerne – besonders große Digitalunternehmen wie Amazon und Google – oft kaum Steuern, weil sie Gewinne in Steueroasen verschoben oder mit Tricks Milliarden sparten. Das ist unfair im Vergleich zum kleinen Handwerksbetrieb oder dem Buchladen um die Ecke.
Lösung mit zwei Säulen
Geplant sind nun zwei Neuerungen: Alle international tätigen Unternehmen sollen – egal wo sie ihren Sitz haben – mindestens 15 Prozent Steuern zahlen. Dabei wird keinem Staat ein Steuersatz vorgeschrieben. Aber zahlt ein Unternehmen mit seiner Tochterfirma im Ausland weniger Steuern, kann der Heimatstaat die Differenz einkassieren. Es würde sich also nicht mehr lohnen, Gewinne in Steueroasen zu verlagern. In elf EU-Ländern gibt es laut EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni derzeit Unternehmensteuern von unter 15 Prozent.
Beim zweiten Teil der Reform geht es um die Verteilung des Steuerkuchens unter den Ländern. Große und hochprofitable Unternehmen sollen nicht mehr nur in ihrem Mutterland besteuert werden, sondern auch da, wo sie gute Gewinne machen. Das betrifft unter anderem die Digitalkonzerne, die durch Internetverkäufe oder Werbeklicks auch dort hohe Gewinne machen, wo sie gar keine Niederlassung haben. Nach den bisherigen Regeln müssen sie dort keine Steuern zahlen. Das soll sich ändern – an der genauen Formel für die Verteilung wird aber noch gearbeitet.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) rechnet allein durch die Mindeststeuer mit 150 Milliarden Dollar Steuer-Mehreinnahmen weltweit. Die Umverteilung könnte den sogenannten
Marktstaaten nochmal mehr als 100 Milliarden bringen.
131 der 139 OECD-Staaten haben bereits auf Arbeitsebene zugestimmt, darunter auch bekannte Steueroasen wie die CaymanInseln. Die drei EU-Staaten Irland, Estland und Ungarn dagegen verweigern sich bisher – wohl auch, weil niedrige Unternehmensteuern ihr Geschäftsmodell sind. Irlands Finanzminister Paschal Donohoe fürchtet, sein Land könne ein Fünftel seiner Unternehmensteuereinnahmen verlieren.
Nach dem Beschluss der G20Staaten sollen jetzt Detailfragen geklärt werden. Unter anderem wird noch darum gerungen, wie genau man Unternehmensgewinne definiert. Einige Länder wie Frankreich hätten außerdem gern einen höheren Mindeststeuersatz. Für die neuen Verteil-Regeln soll ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag geschlossen werden. Die Mindeststeuer muss in den Staaten einzeln umgesetzt werden.
Stolperfallen und Schlupflöcher
Doch nicht nur die drei EU-Abweichler könnten ein Problem werden, auch eine klare Mehrheit des US-Kongresses ist nicht ausgemacht. Ein größeres Problem aber könnten nationale Digitalsteuern sein, die es zum Beispiel in Frankreich, Spanien und Italien gibt. Für einen sauberen Deal müssten sie zurückgenommen werden. Yellen hat das in Venedig auch angemahnt. Wirtschaftskommissar Gentiloni aber will an EUPlänen für eine Digital-Abgabe festhalten, wie er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte. „Wir werden den Vorschlag dazu in Kürze vorlegen“, versprach er und betonte: „Unser Plan richtet sich nicht gegen amerikanische Konzerne.“
Ob die Reform den Wettkampf um die Ansiedlung großer Unternehmen wirklich ausbremsen kann, ist ungewiss. Denn niemand verbietet es den Staaten, Firmen mit anderen Erleichterungen zu locken. Denkbar wären zum Beispiel geringere Sozialabgaben, niedrigere Grundsteuern oder hohe Forschungszulagen und Ansiedlungszuschüsse. dpa