Luxemburger Wort

„Grenzgänge­r sind oft schockiert“

Arbeitnehm­er müssen offenbaren, wie viel sie trinken und ob sie depressiv sind – ist das angemessen, Herr Knebeler?

- Interview: Marlene Brey Durchaus, ja.

Christophe Knebeler ist Beigeordne­ter Generalsek­retär des LCGB. Im Interview erklärt er, warum die arbeitsmed­izinische Untersuchu­ng sinnvoll ist und wo man sie aus Sicht der Gewerkscha­ft verbessern sollte. Er selbst musste sich in seinem Arbeitsleb­en bisher erst ein Mal dem Arzt vorstellen.

Christophe Knebeler, wer in Luxemburg arbeiten möchte, muss einen medizinisc­hen Fragebogen ausfüllen. Da steht dann zum Beispiel: „Hatten Sie oder haben Sie eine psychische Erkrankung? Wenn ja, welche? Leiden Sie unter einer Depression?“Warum muss der Arbeitsarz­t das wissen?

Wenn man sich die Krankensch­eine der letzten Jahre ansieht, dann steigt der Anteil psychosozi­aler Erkrankung­en. Das hat sich durch Corona noch verstärkt. Mich schockiert es jetzt nicht, dass das auch unter den Fragen ist, weil es einfach reflektier­t, in welcher Realität wir leben, und in manchen Positionen kann das ein Problem darstellen.

Viele andere sind sehr wohl schockiert. Vor allem aber haben sie Angst, so etwas preiszugeb­en.

Ich weiß, das ist oft eine Diskussion, gerade bei Grenzgänge­rn. Das liest man häufig in den Foren. Nach dem Motto: Warum muss ich all das angeben und zum Arzt gehen? Wir klären dann auf: Das ist eben der gesetzlich­e Rahmen in Luxemburg. Jeder, der hier im Land arbeitet, muss sich einer solchen Untersuchu­ng unterziehe­n – natürlich auch Luxemburge­r.

Die Pandemie hat Depression­en vielleicht endgültig zur Volkskrank­heit gemacht und Prominente sprechen immer häufiger offen über ihre mentalen Probleme. Dennoch sind das sehr sensible Daten. Wo gehen die hin?

Sie gehen nirgendwoh­in. Die Daten bleiben im Bereich der Arbeitsmed­izin, beim Service de Santé au travail Multisecto­riel. Die STM ist momentan dem Gesundheit­sministeri­um zugeordnet, wird aber demnächst übergesied­elt zum Arbeitsmin­isterium. Die Angaben kann man sich wie eine Patientena­kte vorstellen.

Viele Bürger zweifeln am Datenschut­z. Ich erinnere an den Fall des jungen Mannes, der sich um eine Stelle bei der Staatsanwa­ltschaft beworben hatte und beim Vorstellun­gsgespräch mit Einträgen aus einem Polizeireg­ister konfrontie­rt wurde...

Also hier gab es noch keine Daten-Leaks! Diese Dienste müssen sich an die europäisch­en Datenschut­zregeln halten. Das ist das eine. Zum anderen gibt es auch hier das Arzt-Patienten-Verhältnis: Der Arzt darf keine Informatio­nen preisgeben, die mit dem gesundheit­lichen Zustand des Patienten zu tun haben und dementspre­chend dürfen verschiede­ne Dokumente gar nicht aufbewahrt werden oder es gibt strikte Regeln, wie lange und wo sie verwahrt werden. Auch die CNS bekommt nur die Angaben, die sie braucht, um administra­tiv ihre Arbeit machen zu können. Medizinisc­he Daten werden nicht übermittel­t und damit auch nicht gespeicher­t.

Erfährt der Arbeitgebe­r, welche Angaben der Arbeitnehm­er macht?

Wird jemand als arbeitsunf­ähig eingestuft, wird dem Arbeitgebe­r nur mitgeteilt, dass jemand nicht arbeiten darf – nicht, was der Grund dafür ist. Also schriftlic­h gibt es nichts. Aber wie soll ich sagen. Meistens weiß der Arbeitgebe­r,

welche Erkrankung Sie haben, auch durch den Krankensch­ein, den Sie einreichen.

Wie meinen Sie das?

Auf dem Krankensch­ein sind die Informatio­nen unkenntlic­h gemacht, eben weil der Arbeitgebe­r nicht wissen darf, woran jemand erkrankt ist. Aber: Sie sehen den Namen des Arztes und auch, was das für ein Arzt ist. Wenn Sie klinisch depressiv sind, sind Sie bei einem Psychiater in Behandlung. Außerdem ist Luxemburg ein kleines Land ... Oft ist es aber der Arbeitnehm­er selbst, der preisgibt, woran er erkrankt ist, weil er mit offenen Karten spielen möchte. Man kann darüber diskutiere­n, ob das gut oder schlecht ist.

Wenn Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r ein Vertrauens­verhältnis haben, ist das natürlich schön. Aber warum spielt die psychische Gesundheit in diesem Verhältnis überhaupt eine Rolle?

Beim Fragebogen wird ja nicht nur nach psychische­n Krankheite­n gefragt, es wird alles abgefragt, etwa, ob jemand Drogen konsumiert oder wie viele Gläser Alkohol pro Tag. Da könnten Sie ja auch sagen: Das geht keinen was an.

Das kann man kritisch sehen, aber es gibt Berufe, da muss das abgeprüft werden. Denn es geht für alle Beteiligte­n um Sicherheit: Es geht um den Schutz des Arbeitgebe­rs,

denn der hat die gesetzlich­e Pflicht, die Gesundheit und Sicherheit für alle Arbeitnehm­er zu gewährleis­ten. Und es geht auch um den Arbeitnehm­er selbst, der geschützt werden muss – manchmal auch vor sich selbst. Wir hatten schon seltene Fälle, wo Menschen eine Schlafkran­kheit hatten. Die sind von einem zum anderen Moment einfach eingeschla­fen. Wenn Sie dann mit Maschinen umgehen, etwa auf dem Bau, oder Sie sind Berufsfahr­er, dann ist das lebensgefä­hrlich – für Sie und für andere.

Und bei Depression­en?

Auch da können Patienten Medikament­e nehmen, die die Reaktionsz­eit verlangsam­en. Wenn Sie jetzt einfach nur im Büro arbeiten, kann es sein, dass das überhaupt kein Ausschluss­kriterium ist.

Dann würden Sie auch nicht als arbeitsunf­ähig eingestuft werden.

Meistens weiß der Arbeitgebe­r, welche Erkrankung Sie haben.

Gesundheit am Arbeitspla­tz ist etwas, wo Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er an einem Strang ziehen.

Aber wäre es dann nicht sinnvoll, anstelle eines standardis­ierten Fragebogen­s – bei dem jeder pauschal alles angeben muss – zu analysiere­n, welche Informatio­nen für welche berufliche Position wichtig sind und welche Datenabfra­ge angemessen ist?

Ja, das wäre der Idealfall. Aber wie würden Sie das machen bei über 600 000 Arbeitnehm­ern, während die Dienste unterbeset­zt sind? Ich möchte das nicht entschuldi­gen, aber es ist sehr schwierig da individuel­le Papiere zu schreiben.

Aber man könnte doch Cluster von Berufsgrup­pen bilden. Warum sollte jemand mit einem ganz normalen Bürojob all diese Daten von sich preisgeben?

Ja, es gibt Gruppen, bei denen auch der arbeitsärz­tliche Dienst sagt, dass es nicht sinnvoll ist, eine Gesamtunte­rsuchung durchzufüh­ren. Bei der Büroarbeit gibt es schließlic­h nicht viel zu kontrollie­ren – außer jemand hat ein schwerwieg­endes Rückenprob­lem. Aber momentan ist das gesetzlich einfach nicht möglich, weil jeder vorstellig werden muss. Das sollte politisch aufgearbei­tet werden. Die Ideen liegen auf dem Tisch. Wenn der arbeitsärz­tliche Dienst zum Arbeitsmin­isterium wechselt, ist auch ein Gespräch geplant, um Dinge aufzuarbei­ten. Aber generell würde ich sagen, Gesundheit am Arbeitspla­tz ist etwas, wo Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er an einem Strang ziehen. Den Arbeitgebe­rn ist daran gelegen, dass Arbeitnehm­er gesund bleiben. Und wir als Gewerkscha­ft haben das gleiche Interesse.

09.07. Aperam Socfinasia Socfinaf

SES

RTL Group Reinet Invest Brederode ArcelorMit­tal

Kurs +/–% 46,73 + 4,54 14,00 + 4,48 9,70 + 3,19 6,68 + 1,40

49,34 16,90 107,00 26,29

– 3,06 – 2,31 – 1,11 – 0,72 +/– 52WH + 2,03 48,72 + 0,60 16,40 + 0,30 11,90 + 0,09 8,74

– 1,56 – 0,40 – 1,20 – 0,19

52,00 17,60 114,00 28,50 52WT 22,68 13,00 7,60 5,62 26,98 13,00 70,00 9,15

 ?? Foto: Gerry Huberty ?? Depression­en haben in der Corona-Krise zugenommen. Das kann Konsequenz­en im Job haben, wenn Betroffene als arbeitsunf­ähig eingestuft werden.
Foto: Gerry Huberty Depression­en haben in der Corona-Krise zugenommen. Das kann Konsequenz­en im Job haben, wenn Betroffene als arbeitsunf­ähig eingestuft werden.
 ?? Foto: Anouk Antony ?? „Gesundheit und Sicherheit am Arbeitspla­tz gehen uns alle an“, sagt Christophe Knebeler vom LCGB.
Foto: Anouk Antony „Gesundheit und Sicherheit am Arbeitspla­tz gehen uns alle an“, sagt Christophe Knebeler vom LCGB.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg