Ein Zuhause in der Ferne
Seit 15 Jahren organisiert Lisel Aktivitäten für Studierende, die aus dem dem Ausland kommen
Luxemburg. „You are our mum in Luxembourg“(Du bist unsere Mutter in Luxemburg). Wenn Edith Weber-Sinner diesen Satz hört, dann ist er für sie das größte Kompliment, das sie für ihre Arbeit bekommen kann – und ein Zeichen dafür, dass die 55-Jährige alles richtig gemacht hat. Die Gemeindereferentin ist seit September 2013 Leiterin des „Lieu d'initiatives et de services des étudiants au Luxembourg“– kurz Lisel. Seit nunmehr 15 Jahren kümmert die Organisation sich um junge Erwachsene, die für ihr Studium aus dem Ausland nach Luxemburg kommen: Jeden Freitag finden gemeinsame Abende statt, normalerweise jeden zweiten Samstag Ausflüge in und um Luxemburg herum – in Corona-Zeiten wurden sie allerdings wöchentlich angeboten.
Gegen die soziale Isolation
Gegründet wurde Lisel kurz nach der Etablierung der Universität. „Zu dieser Zeit kamen viele Leute aus dem Ausland, weil die Uni auf internationale Studierende fokussiert war“, so Edith Weber-Sinner. Die ausländischen Studierenden seien aber etwas verloren gewesen. „Sie kannten niemanden und wussten nicht, was sie machen sollten.“Um der sozialen Isolation entgegenzuwirken, wurde daher Lisel gegründet – vom Erzbistum, der „Association Saint François Xaver“, der „Communauté de Vie Chrétienne“, der „Fondation Caritas Luxemburg“und dem „Foyer de L'ALUC“. Ziel war es, den Studierenden einen Platz zu geben, an dem sie sich zuhause fühlen und sich untereinander besser kennenlernen können.
Offen ist die Organisation für jeden, der dazukommen möchte. Auch Studierende aus Luxemburg sind herzlich eingeladen, selbst wenn sie nicht die eigentliche Zielgruppe sind. „Vor dem Hintergrund, dass das Land so klein ist, sind die allermeisten hier nicht aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen, sie gehen hier zur Uni und hier in ihren Fußball- oder Musikverein. Da ist kein Schnitt“, erklärt die Gemeindereferentin.
Welche Aktivitäten oder Fahrten anstehen, wird vorab über die sozialen Medien veröffentlicht. Kommen kann jeder, auch ohne Anmeldung – es sei denn, es handelt sich um Ausflüge mit Übernachtung. Grundsätzlich nutzt die Gruppe öffentliche Verkehrsmittel und zur Verpflegung bringt jeder sein Picknick mit – so ist maximale Freiheit in der Planung gewährleistet. Diese Freiheit ist für Edith Weber-Sinner ein wichtiger Aspekt. „Ich versuche nie Stress zu machen, die Teilnehmer haben oft Stress genug mit Fristen und Daten. Wenn etwas nicht funktioniert, funktioniert es eben anders.“
Neben dem stressfreien Arbeiten ist die Lisel-Leiterin vor allem stolz auf die gute Kommunikation. „Es ist ein unkomplizierter Umgang miteinander. Die Stimmung ist so, dass jeder merkt, dass er da sein und sich wohlfühlen kann.“Auch Edith Weber-Sinner lernt bei den Treffen mit den Studierenden
Die beiden Volontäre Bogdan Kovyazin (l.) und Bogdan Toma.
immer wieder Neues – und sieht daher in ihrer Arbeit auch eine persönliche Bereicherung. „Sie unterhalten sich hier über etwas und ich denke, oh, darüber hast du noch nie nachgedacht. Die Horizonterweiterung ist interessant. Das, was wir in unserem kleinen Kopf als normal ansehen, ist für den nebenan überhaupt nicht normal, die einfachsten Sachen. Und das auch zu vermitteln. Wir haben junge Leute aus Syrien oder Afghanistan, die waren nie im Ausland und haben gesagt, dass sie in ihrem Land noch nie einen Ausländer gesehen haben. Da die Balance zu finden, dass jeder sich gut fühlt und miteinander spricht. Ich denke, sie sind auch froh, dass man da Brücken baut. Und es ist gut zu merken, dass ihnen das guttut.“
Für die kommenden Wochenenden stehen voraussichtlich noch eine Fahrt nach Cochem mit Burgbesichtigung, der Besuch eines Bauernhofs, auf dem die Studierenden etwas bauen, und eine Wanderung mit Stauseebesuch in Luxemburg auf dem Programm. Im August ist dann Pause, bevor es im September mit neuer Motivation, neuen Studierenden und neuen Freiwilligen weitergeht.
Eine lohnende Erfahrung
Denn ein wichtiger Aspekt in der Arbeit von Lisel sind die sogenannten „Volontaires européens“. Jeweils von September bis Juli arbeiten zwei von ihnen gemeinsam mit der Lisel-Leiterin an den Aktivitäten. Aktuell übernehmen diese Aufgabe zwei junge Erwachsene gleichen Vornamens: Bogdan Kovyazin aus Russland und Bogdan Toma aus Rumänien.
Beide sind sich sicher, dass sie ihr freiwilliges Jahr noch einmal bei Lisel verbringen würden. „Großartig an der Arbeit ist die Offenheit, die gesunde Art zu kommunizieren und dass man sich selbst und seine Ideen verwirklichen kann. Hier zu arbeiten macht Spaß und ist eine lohnende Erfahrung“, so Kovyazin.
„Ich kann hier ich selbst sein“, meint Toma. „Lisel wächst mit jedem neuen Freiwilligenpaar und das macht es so besonders – abgesehen von der großartigen Koordinatorin Edith.“
Jedes neue Volontärspaar bringt nämlich eigene Schwerpunkte und Erfahrungen mit, so dass sich die Angebote von Lisel – auch wenn sie sich im Grunde nicht ändern – doch immer neu ausrichten. „Wenn einer der Volontäre gerne Musik macht und da etwas anbieten möchte, dann kann er das tun“so die Koordinatorin. Wichtig sei, vor allem in den ersten beiden Wochen nach Beginn des Freiwilligendienstes eine gute gemeinsame Basis zu schaffen, auf der man zusammen arbeiten kann. „Wir müssen als Team funktionieren – ohne gute Kommunikation geht das nicht“, so Edith Weber-Sinner.
Was für die Arbeit im Team gilt, gilt auch für die Wohngemeinschaften, die Lisel in Beggen und Bettemburg zur Verfügung stellt. Auch wenn es dort Probleme zwischen den jungen Leuten gibt, setzt die Gemeindereferentin auf Gespräche. Und auch sonst ist sie in allen Belangen für sie da – wenn jemand Hilfe braucht, kann er einfach zu den Öffnungszeiten im Büro vorbeikommen.
Die Studierenden wiederum wissen die Arbeit von Lisel zu schätzen, das wird deutlich, wenn man sie nach ihren Erfahrungen fragt: „Lisel öffnet Türen, nicht nur im eigentlichen Sinn – Hilfe bei der Wohnungssuche – sondern auch abstrakt: Türen zu neuen Freundschaften, zu mehr Selbstbewusstsein und gegenseitiger Unterstützung. Und es eröffnet Wege in andere Städte – zusammen zu reisen ist immer interessanter“, heißt es da. Oder: „Ich mochte immer die Idee, dass Heimat kein Ort, sondern ein Gefühl ist – und Lisel lässt mich daran glauben.“
www.lisel.lu