Die Verfassung als Sündenbock
54 Prozent der Befragten sprechen sich im rezenten Politmonitor von „Luxemburger Wort“und RTL für ein Verfassungsreferendum aus. Gleichzeitig sagen aber auch 70 Prozent, dass sie nicht wissen, worum es bei der Revision des Grundgesetzes eigentlich geht.
Diese Diskrepanz offenbart einerseits, dass das Parlament, das für die Reform verantwortlich zeichnet, die Bürger nicht genug, um nicht zu sagen gar nicht in die Diskussion um die neue Verfassung eingebunden hat. Es blieb in all den vielen Jahren bei einigen „Alibiveranstaltungen“. Die Initiative „Är Virschléi“, auf die sich die Mitglieder der Institutionenkommission heute so gerne berufen, war seinerzeit eher eine Angelegenheit für einige wenige Insider, die die Debatte eh schon seit Jahren aufmerksam verfolgen. Und die bislang einzige „große“Informationsversammlung im
Tramsschapp kam viel zu spät. Zu allem Übel wurde sie von der ADR für ihre eigenen parteipolitischen Ziele missbraucht. Dass die Impfgegner aus den Reihen der Marche blanche ihrerseits die Reformpartei vor ihren Karren spannten, spricht Bände.
Diese doppelte Vereinnahmung zeigt, dass es bei der Diskussion längst nicht mehr um die Verfassung geht. Das Grundgesetz ist zur Nebensache geworden. Es geht einerseits um schnöde Parteiund Machtpolitik – das gilt auch für die CSV. Andererseits ist das Grundgesetz für die nach anderthalb Jahren Pandemie steigende Zahl der unzufriedenen und verunsicherten Bürger zum idealen Vehikel geworden, um ihrem allgemeinen Unmut Luft zu machen. Ihr Ärger hätte sich an jedem anderen Gesetz entladen können, das gerade spruchreif ist und Raum für Kontroverse bietet.