Polens Sicht der Dinge
Überraschend schaltet Warschau den Auslandssender TVP World früher frei als geplant
TVP World heißt Polens englischsprachiger Auslandssender, der überraschend jetzt schon freigeschaltet wurde. Angeblich sollen die Bürger und Bürgerinnen im Ausland erfahren, was „wirklich“in Polen passiert – von polnischen Journalisten. Auslandskorrespondenten – egal für welches Land sie berichten – werden von Polens regierenden Nationalpopulisten immer wieder diffamiert, wenn sie kritisch über die Regierung in Warschau und ihre vielen publizistischen Claqueure berichten.
Gegen diese „Feindpropaganda“soll nun also TVP World Abhilfe schaffen. Geplant ist ein 24-Stunden-Nachrichtensender in mehreren Sprachen – beginnend mit einem englischsprachigen Kanal.
Polen werde die NATO-Staaten auf Basis von Artikel 4 des Nordatlantik-Pakts zu Konsultationen einberufen, heißt die Hauptnachricht am ersten Sendetag von TVP World. Dazu sind Bilder eines „Kampfes“von einigen Dutzend „Angreifern“zu sehen, die am geschlossenen Grenzübergang Kuznica Steine und Erdklumpen von der belarussischen Seite auf die polnische schleuderten. Aus weiter Entfernung zeigten dann Luftbilder, wie sich „die Polen“wehrten. Drei Wasserwerfer schlugen bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt die „Migranten“in die Flucht.
Was aus den Bildern und Kommentaren nicht hervorgeht, hatten zuvor Journalisten der Sender BBC und CNN von der anderen Seite aus berichtet. Flüchtlinge und belarussische Sicherheitskräfte sind ganz leicht auseinanderzuhalten. Die einen tragen graue Kapuzenpullover, die anderen meist mehrere Pullover übereinander und knielange Parkas. Dem englischsprachigen TVP World-Kanal zufolge waren die Angreifer aber „aggressive Migranten“.
Frauen und Kinder kommen kaum ins Bild, auch keine Nahaufnahmen von verzweifelten Geflüchteten. Nur ein kilometerlanger Stacheldrahtzaun, hinter dem inzwischen fast 20.000 polnische Sicherheitskräfte stehen, um Polen und die ganze EU „heldenhaft, pflichtbewusst und patriotisch“gegen den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko und seinen hybriden Krieg gegen Europa zu verteidigen.
Unabhängige Journalisten dürfen schon seit fast drei Monaten nicht mehr von der belarussischpolnischen Grenze berichten. Polens Nationalpopulisten von der
Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) richteten entlang der 400 Kilometer langen Grenze eine drei Kilometer breite NachrichtenSperrzone ein, aus der nur Bilder und Informationen des Innen- und Verteidigungsministeriums sowie der Geheimdienste an die Öffentlichkeit dringen sollen.
Angst vor „Feindpropaganda“Das funktionierte so lange, wie auch Lukaschenko keine unabhängigen Journalisten an die Grenze ließ. Als dort aber BBC- und CNNReporter auftauchten, waren plötzlich weltweit Bilder von der Grenze im Umlauf, die die PiS-Politiker
bislang als „Feindpropaganda“diskreditiert hatten. Genau diese haben offenbar Polens Regierung dazu veranlasst, den Start von TVP World vorzuziehen.
Gesendet werden sollen Informationen aus Polen und der Welt, zunächst vor allem über die belarussisch-polnische Grenze im Stil des von der PiS kontrollierten Staatssenders TVP Info. Der Hauptmoderator ist hier wie dort Michal Rachon. Doch während sich die Zuschauer in Polen bereits daran gewöhnt haben, dass er die Nachrichten im Stil einer skurrilen Late-Night-Show präsentiert, wird er sich beim internationalen
Publikum erst noch gegen die unfreiwillig hervorgerufenen Lachsalven durchsetzen müssen.
Der erste Interviewpartner, den sich Rachon in seine Premierensendung eingeladen hatte, war der Abgeordnete Nicolaus Fest von der Alternative für Deutschland (AfD) im EU-Parlament. Er hatte zusammen mit zwei anderen Autoren einen Bericht zur EU-Migrationspolitik vorgelegt, kritisierte den angeblich hohen Lebensstandard von Flüchtlingen in Deutschland und machte Kanzlerin Angela Merkel für die „Magnet-Wirkung Deutschlands auf die Armen der ganzen Welt“verantwortlich.