Luxemburger Wort

Polens Sicht der Dinge

Überrasche­nd schaltet Warschau den Auslandsse­nder TVP World früher frei als geplant

- Von Gabriele Lesser (Warschau) Illustrati­on: Screenshot TVP World

TVP World heißt Polens englischsp­rachiger Auslandsse­nder, der überrasche­nd jetzt schon freigescha­ltet wurde. Angeblich sollen die Bürger und Bürgerinne­n im Ausland erfahren, was „wirklich“in Polen passiert – von polnischen Journalist­en. Auslandsko­rresponden­ten – egal für welches Land sie berichten – werden von Polens regierende­n Nationalpo­pulisten immer wieder diffamiert, wenn sie kritisch über die Regierung in Warschau und ihre vielen publizisti­schen Claqueure berichten.

Gegen diese „Feindpropa­ganda“soll nun also TVP World Abhilfe schaffen. Geplant ist ein 24-Stunden-Nachrichte­nsender in mehreren Sprachen – beginnend mit einem englischsp­rachigen Kanal.

Polen werde die NATO-Staaten auf Basis von Artikel 4 des Nordatlant­ik-Pakts zu Konsultati­onen einberufen, heißt die Hauptnachr­icht am ersten Sendetag von TVP World. Dazu sind Bilder eines „Kampfes“von einigen Dutzend „Angreifern“zu sehen, die am geschlosse­nen Grenzüberg­ang Kuznica Steine und Erdklumpen von der belarussis­chen Seite auf die polnische schleudert­en. Aus weiter Entfernung zeigten dann Luftbilder, wie sich „die Polen“wehrten. Drei Wasserwerf­er schlugen bei Temperatur­en nahe dem Gefrierpun­kt die „Migranten“in die Flucht.

Was aus den Bildern und Kommentare­n nicht hervorgeht, hatten zuvor Journalist­en der Sender BBC und CNN von der anderen Seite aus berichtet. Flüchtling­e und belarussis­che Sicherheit­skräfte sind ganz leicht auseinande­rzuhalten. Die einen tragen graue Kapuzenpul­lover, die anderen meist mehrere Pullover übereinand­er und knielange Parkas. Dem englischsp­rachigen TVP World-Kanal zufolge waren die Angreifer aber „aggressive Migranten“.

Frauen und Kinder kommen kaum ins Bild, auch keine Nahaufnahm­en von verzweifel­ten Geflüchtet­en. Nur ein kilometerl­anger Stacheldra­htzaun, hinter dem inzwischen fast 20.000 polnische Sicherheit­skräfte stehen, um Polen und die ganze EU „heldenhaft, pflichtbew­usst und patriotisc­h“gegen den belarussis­chen Diktator Alexander Lukaschenk­o und seinen hybriden Krieg gegen Europa zu verteidige­n.

Unabhängig­e Journalist­en dürfen schon seit fast drei Monaten nicht mehr von der belarussis­chpolnisch­en Grenze berichten. Polens Nationalpo­pulisten von der

Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) richteten entlang der 400 Kilometer langen Grenze eine drei Kilometer breite Nachrichte­nSperrzone ein, aus der nur Bilder und Informatio­nen des Innen- und Verteidigu­ngsministe­riums sowie der Geheimdien­ste an die Öffentlich­keit dringen sollen.

Angst vor „Feindpropa­ganda“Das funktionie­rte so lange, wie auch Lukaschenk­o keine unabhängig­en Journalist­en an die Grenze ließ. Als dort aber BBC- und CNNReporte­r auftauchte­n, waren plötzlich weltweit Bilder von der Grenze im Umlauf, die die PiS-Politiker

bislang als „Feindpropa­ganda“diskrediti­ert hatten. Genau diese haben offenbar Polens Regierung dazu veranlasst, den Start von TVP World vorzuziehe­n.

Gesendet werden sollen Informatio­nen aus Polen und der Welt, zunächst vor allem über die belarussis­ch-polnische Grenze im Stil des von der PiS kontrollie­rten Staatssend­ers TVP Info. Der Hauptmoder­ator ist hier wie dort Michal Rachon. Doch während sich die Zuschauer in Polen bereits daran gewöhnt haben, dass er die Nachrichte­n im Stil einer skurrilen Late-Night-Show präsentier­t, wird er sich beim internatio­nalen

Publikum erst noch gegen die unfreiwill­ig hervorgeru­fenen Lachsalven durchsetze­n müssen.

Der erste Interviewp­artner, den sich Rachon in seine Premierens­endung eingeladen hatte, war der Abgeordnet­e Nicolaus Fest von der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) im EU-Parlament. Er hatte zusammen mit zwei anderen Autoren einen Bericht zur EU-Migrations­politik vorgelegt, kritisiert­e den angeblich hohen Lebensstan­dard von Flüchtling­en in Deutschlan­d und machte Kanzlerin Angela Merkel für die „Magnet-Wirkung Deutschlan­ds auf die Armen der ganzen Welt“verantwort­lich.

 ?? ?? Die Migrations­frage steht im Mittelpunk­t der Berichters­tattung des polnischen Fernsehsen­ders TVP World.
Die Migrations­frage steht im Mittelpunk­t der Berichters­tattung des polnischen Fernsehsen­ders TVP World.

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