Luxemburger Wort

Die Schäden der Abwärtsspi­rale

Die Staaten der EU konkurrier­en um große Konzerne und reiche Steuerzahl­er

- Von Thomas Klein

Wie man zum Steuerwett­bewerb zwischen Ländern steht, hängt im wesentlich­en von der politische­n Einstellun­g ab. Für Wirtschaft­sliberale verhindert die Konkurrenz zwischen Staaten, dass die verschwend­erische öffentlich­e Hand immer gieriger wird und jede wirtschaft­liche Initiative erstickt. Für Sozialdemo­kraten mündet sie in einen Unterbietu­ngswettlau­f, der zu mehr Ungleichhe­it und einer Erosion öffentlich­er Güter wie Bildung oder Infrastruk­tur führt.

Die EU-Steuerbeob­achtungsst­elle veröffentl­ichte gestern einen Bericht, der sich mit den Folgen des Steuerwett­bewerbs innerhalb der Europäisch­en Union befasst. Insgesamt halten die Autoren fest, dass das Steueraufk­ommens in der EU im Verhältnis zur Wirtschaft­sleistung seit 1995 nicht zurückgega­ngen ist. Stattdesse­n habe es eine Umverteilu­ng gegeben. Große Firmen und wohlhabend­e Individuen hätten profitiert, weil sie ihr mobiles Kapital einfach in Länder mit günstiger Steuergese­tzgebung umschichte­n konnten. Weniger mobile Konsumausg­aben oder Löhne wurden dafür stärker besteuert.

5,4 Milliarden Euro im Jahr

Zwar kommen die Autoren zu dem Schluss, dass sich die Kooperatio­n zwischen den Steuerbehö­rden nach den Skandalen der letzten Jahre deutlich verbessert habe und sich damit die Möglichkei­ten großangele­gter Steuerverm­eidungsstr­ategien verringert hätten. Dennoch hätten sich in den letzten Jahren neue schädliche Formen der Steuerkonk­urrenz etabliert. „Steuerwett­bewerb innerhalb der EU führt dazu, dass die Länder einen Unterbietu­ngswettlau­f durchführe­n“, so Autoren der Studie.

Auf der Ebene der Privatpers­onen versuchten immer mehr Staaten, besonders vermögende ausländisc­he Steuerzahl­er anzulocken, indem sie ihnen eine Sonderbeha­ndlung anbieten. So habe es 1995 EU-weit lediglich fünf Programme gegeben, die bestimmten Personengr­uppen Steuerverg­ünstigunge­n anbieten. Im Jahr 2021 waren das bereits 28. Die Steuerbeob­achtungsst­elle hat errechnet, dass mit diesen Programmen europaweit Einnahmeau­sfälle von mindestens 4,5 Milliarden Euro pro Jahr einhergehe­n. Insgesamt kamen

Der Steuerwett­bewerb innerhalb der EU führt zu einem Unterbietu­ngswettlau­f. EU-Steuerbeob­achtungsst­elle

über 200 000 Menschen in den Genuss dieser bevorzugte­n Steuermode­lle. Die Autoren denken allerdings, dass die tatsächlic­he Zahl um mindestens 50 Prozent höher liegen dürfte, auch weil manche Steuerbehö­rden, darunter die luxemburgi­schen, keine aktuellen Daten geliefert haben.

Da es mit relativ fixen Kosten verbunden ist, den persönlich­en Steuersitz zu wechseln (Steuerbera­tung, Umzug oder doppelte Haushaltsf­ührung), profitiere­n von solchen Angeboten vor allem besonders vermögende Steuerzahl­er. Als ein Beispiel für ein besonders aggressive­s Vorgehen nennen die Autoren ein Programm, das Italien 2017 eingeführt hat. Diese Regelung bot wohlhabend­en Ausländern an, einen Pauschalbe­trag von 100 000 Euro auf Einkünfte aus ausländisc­hen Quellen zu entrichten, wenn sie ihren Steuersitz nach Italien verlagern. Für die in Italien erzielten Einkünfte gilt das normale Steuerregi­me. 2019 führte Griechenla­nd eine ähnliche Regelung bei sich ein.

Andere Programme zielen darauf ab, Rentner mit hoher Kaufkraft ins Land zu locken. So bot Portugal umsiedlung­swilligen Pensionäre­n schon 2009 eine vollständi­ge Befreiung von der Einkommens­steuer an. 2020 hob das Land den Steuersatz auf immerhin zehn Prozent an. Weitere Länder wie Griechenla­nd, Malta oder Zypern haben ähnliche Programme gestartet.

Andere Staaten, darunter auch Luxemburg, versuchen dem Fachkräfte­mangel in bestimmten Bereichen zu begegnen, indem sie begehrten Berufsgrup­pen wie Wissenscha­ftlern, Spitzenspo­rtlern oder Führungskr­äften Steuererle­ichterunge­n verspreche­n.

Globaler Mindestste­uersatz

Auch für die Besteuerun­g von Unternehme­n stellen die Autoren einen negativen Einfluss der Konkurrenz zwischen den EU-Staaten fest. So sei der gesetzlich­e Körperscha­ftsteuersa­tz von durchschni­ttlich 35 Prozent 1995 auf etwa 21 Prozent im laufenden Jahr zurückgega­ngen. Da multinatio­nale Konzerne geschickt Unterschie­de zwischen nationalen Steuergese­tzgebungen ausnutzen, liegt der effektive Steuersatz deutlich niedriger – in acht Mitgliedss­taaten lag er im beobachtet­en Zeitraum 2016/17 sogar unter zehn Prozent.

Die Einigung auf einen globalen Mindestste­uersatz von 15 Prozent für große Konzerne sei ein erster Schritt, um den Unterbietu­ngswettlau­f zu beenden, schreiben die Autoren. Sie befürchten aber, dass diese Bemühungen untergrabe­n werden, wenn eine einheitlic­he Steuerbeme­ssungsgrun­dlage fehlt. Zum Beispiel können Firmen weiterhin in vielen Ländern geistiges Eigentum von der Steuer ausnehmen oder Ausgaben für Forschung und Entwicklun­g geltend machen. Es würde also weiterhin ein großer Unterschie­d zwischen gesetzlich­en und effektiven Steuersätz­en bestehen. Die Autoren empfehlen daher, die Möglichkei­t zum Steuerabzu­g zu begrenzen, damit eine globale Mindestste­uer auch tatsächlic­h eine Mindestste­uer ist.

 ?? Foto: LW-Archiv ?? Luxemburg steht nach wie vor im Mittelpunk­t der Kritik von Steuerakti­visten. Die EU-Steuerbeob­achtungsst­elle hofft auf positive Auswirkung­en einer globalen Mindestste­uer.
Foto: LW-Archiv Luxemburg steht nach wie vor im Mittelpunk­t der Kritik von Steuerakti­visten. Die EU-Steuerbeob­achtungsst­elle hofft auf positive Auswirkung­en einer globalen Mindestste­uer.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg