Die Schäden der Abwärtsspirale
Die Staaten der EU konkurrieren um große Konzerne und reiche Steuerzahler
Wie man zum Steuerwettbewerb zwischen Ländern steht, hängt im wesentlichen von der politischen Einstellung ab. Für Wirtschaftsliberale verhindert die Konkurrenz zwischen Staaten, dass die verschwenderische öffentliche Hand immer gieriger wird und jede wirtschaftliche Initiative erstickt. Für Sozialdemokraten mündet sie in einen Unterbietungswettlauf, der zu mehr Ungleichheit und einer Erosion öffentlicher Güter wie Bildung oder Infrastruktur führt.
Die EU-Steuerbeobachtungsstelle veröffentlichte gestern einen Bericht, der sich mit den Folgen des Steuerwettbewerbs innerhalb der Europäischen Union befasst. Insgesamt halten die Autoren fest, dass das Steueraufkommens in der EU im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung seit 1995 nicht zurückgegangen ist. Stattdessen habe es eine Umverteilung gegeben. Große Firmen und wohlhabende Individuen hätten profitiert, weil sie ihr mobiles Kapital einfach in Länder mit günstiger Steuergesetzgebung umschichten konnten. Weniger mobile Konsumausgaben oder Löhne wurden dafür stärker besteuert.
5,4 Milliarden Euro im Jahr
Zwar kommen die Autoren zu dem Schluss, dass sich die Kooperation zwischen den Steuerbehörden nach den Skandalen der letzten Jahre deutlich verbessert habe und sich damit die Möglichkeiten großangelegter Steuervermeidungsstrategien verringert hätten. Dennoch hätten sich in den letzten Jahren neue schädliche Formen der Steuerkonkurrenz etabliert. „Steuerwettbewerb innerhalb der EU führt dazu, dass die Länder einen Unterbietungswettlauf durchführen“, so Autoren der Studie.
Auf der Ebene der Privatpersonen versuchten immer mehr Staaten, besonders vermögende ausländische Steuerzahler anzulocken, indem sie ihnen eine Sonderbehandlung anbieten. So habe es 1995 EU-weit lediglich fünf Programme gegeben, die bestimmten Personengruppen Steuervergünstigungen anbieten. Im Jahr 2021 waren das bereits 28. Die Steuerbeobachtungsstelle hat errechnet, dass mit diesen Programmen europaweit Einnahmeausfälle von mindestens 4,5 Milliarden Euro pro Jahr einhergehen. Insgesamt kamen
Der Steuerwettbewerb innerhalb der EU führt zu einem Unterbietungswettlauf. EU-Steuerbeobachtungsstelle
über 200 000 Menschen in den Genuss dieser bevorzugten Steuermodelle. Die Autoren denken allerdings, dass die tatsächliche Zahl um mindestens 50 Prozent höher liegen dürfte, auch weil manche Steuerbehörden, darunter die luxemburgischen, keine aktuellen Daten geliefert haben.
Da es mit relativ fixen Kosten verbunden ist, den persönlichen Steuersitz zu wechseln (Steuerberatung, Umzug oder doppelte Haushaltsführung), profitieren von solchen Angeboten vor allem besonders vermögende Steuerzahler. Als ein Beispiel für ein besonders aggressives Vorgehen nennen die Autoren ein Programm, das Italien 2017 eingeführt hat. Diese Regelung bot wohlhabenden Ausländern an, einen Pauschalbetrag von 100 000 Euro auf Einkünfte aus ausländischen Quellen zu entrichten, wenn sie ihren Steuersitz nach Italien verlagern. Für die in Italien erzielten Einkünfte gilt das normale Steuerregime. 2019 führte Griechenland eine ähnliche Regelung bei sich ein.
Andere Programme zielen darauf ab, Rentner mit hoher Kaufkraft ins Land zu locken. So bot Portugal umsiedlungswilligen Pensionären schon 2009 eine vollständige Befreiung von der Einkommenssteuer an. 2020 hob das Land den Steuersatz auf immerhin zehn Prozent an. Weitere Länder wie Griechenland, Malta oder Zypern haben ähnliche Programme gestartet.
Andere Staaten, darunter auch Luxemburg, versuchen dem Fachkräftemangel in bestimmten Bereichen zu begegnen, indem sie begehrten Berufsgruppen wie Wissenschaftlern, Spitzensportlern oder Führungskräften Steuererleichterungen versprechen.
Globaler Mindeststeuersatz
Auch für die Besteuerung von Unternehmen stellen die Autoren einen negativen Einfluss der Konkurrenz zwischen den EU-Staaten fest. So sei der gesetzliche Körperschaftsteuersatz von durchschnittlich 35 Prozent 1995 auf etwa 21 Prozent im laufenden Jahr zurückgegangen. Da multinationale Konzerne geschickt Unterschiede zwischen nationalen Steuergesetzgebungen ausnutzen, liegt der effektive Steuersatz deutlich niedriger – in acht Mitgliedsstaaten lag er im beobachteten Zeitraum 2016/17 sogar unter zehn Prozent.
Die Einigung auf einen globalen Mindeststeuersatz von 15 Prozent für große Konzerne sei ein erster Schritt, um den Unterbietungswettlauf zu beenden, schreiben die Autoren. Sie befürchten aber, dass diese Bemühungen untergraben werden, wenn eine einheitliche Steuerbemessungsgrundlage fehlt. Zum Beispiel können Firmen weiterhin in vielen Ländern geistiges Eigentum von der Steuer ausnehmen oder Ausgaben für Forschung und Entwicklung geltend machen. Es würde also weiterhin ein großer Unterschied zwischen gesetzlichen und effektiven Steuersätzen bestehen. Die Autoren empfehlen daher, die Möglichkeit zum Steuerabzug zu begrenzen, damit eine globale Mindeststeuer auch tatsächlich eine Mindeststeuer ist.