Luxemburger Wort

Die Brandstift­er

- Von Maximilian Richard

Odin hat eine Wut im Bauch. „Hat as och op menger lescht“(sic!), schreibt er in einer öffentlich­en impfkritis­chen Telegram-Gruppe. Mit „Hat“(sic!) meint er eine Journalist­in, deren Meinung er nicht teilt. Odin, wie er sich nennt, ist aber nicht nur wütend. Wie alle Autoren von hasserfüll­ten Kommentare­n ist er feige und ein gefährlich­er Brandstift­er. Die Aussagen dürfen nicht verharmlos­t werden. Denn Hass und das Corona-Virus sind sich sehr ähnlich. Sie sind ansteckend und können tödliche Folgen haben. Um dies zu verhindern, ist die gesamte Gesellscha­ft gefordert.

Längst haben Verschwöru­ngstheoret­iker einer neuen Form von Hass den Weg geebnet. Im Netz verbreiten sie falsche Informatio­nen, behaupten, eine Elite nutze die Pandemie als Vorwand, um eine neue totalitäre Weltordnun­g zu etablieren. Sie gießen Öl ins Feuer, verwandeln Ängste zu Hass. Unter den stillen Verunsiche­rten finden sie in allen Gesellscha­ftsteilen neue Anhänger. So deutete Odin selbst an, Mitarbeite­r des Chancengle­ichheitsmi­nisteriums zu sein ...

Aussagen wie die des vermeintli­chen nordischen Göttervate­rs machen deutlich: Politiker, Wissenscha­ftler und Journalist­en gelten in den Kreisen als Feindbilde­r. Immer wieder kommt es zu Entgleisun­gen. Jede von ihnen verrückt die Grenze des Zumutbaren – bis zur Eskalation. Bilder von Wohnhäuser­n von Politikern und Aufrufe zur Gewalt kursieren bereits im Netz. Anhänger der Verschwöru­ngsmythen sprechen offen von einem Krieg. Die Szene ist eine Zeitbombe. Im September wurde in Idar-Oberstein (D) bereits deutlich, welche Auswirkung­en die Lügen auf instabile Personen haben können, als ein Mann einen Tankstelle­nangestell­ten erschoss, der ihn auf die Maskenpfli­cht hingewiese­n hatte.

Die Regierung klammert die Entwicklun­gen in der Szene in ihrer Corona-Politik weitgehend aus. Dabei bräuchte es in diesem kritischen Zeitpunkt der Pandemie von den Verantwort­lichen mehr Entschloss­enheit – und eine klare Sprache: Ein deutliches bis Hierhin und nicht weiter. Stattdesse­n dürfen Verschwöru­ngstheoret­iker weitgehend ungehinder­t ihr Gift versprühen und die Radikalisi­erung schreitet voran. Strafermit­tlungsbehö­rden können daran nur bedingt etwas ändern. Denn das Verbreiten von Lügen ist nur in Ausnahmefä­llen, etwa bei der Holocaustl­eugnung, strafbar. Die Behörden sind vielmehr mit den Folgen befasst. Und auch da setzt das Strafgeset­zbuch Grenzen. Nicht jede beängstige­nde Aussage ist strafbar.

Gerade deshalb liegt es auch in der Verantwort­ung eines jeden zu entscheide­n, wo die Grenzen des Zumutbaren sind. Feuer darf nicht mit Feuer bekämpft werden.

Dem Hass und den Falschinfo­rmationen muss mit Aufklärung und einer Gegenposit­ion begegnet werden. Ganz so wie es Ärzte und Krankenpfl­eger heute mit der Schweigemi­nute der Blouses blanches tun – eine Gegenbeweg­ung zu den von Verschwöru­ngstheoret­ikern organisier­ten Marches blanches silencieus­es. Die Pandemie lässt sich nicht überwinden, wenn die Unentschlo­ssenen einer lauten Minderheit überlassen werden. Es geht aber auch darum, den Schaden zu begrenzen, den die abstrusen Theorien innerhalb der Gesellscha­ft bereits angerichte­t haben. Denn dieser lässt sich nicht ohne Weiteres beheben.

Längst haben Verschwöru­ngstheorie­n einer neuen Form von Hass den Weg geebnet.

Kontakt: maximilian.richard@wort.lu

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