Die Brandstifter
Odin hat eine Wut im Bauch. „Hat as och op menger lescht“(sic!), schreibt er in einer öffentlichen impfkritischen Telegram-Gruppe. Mit „Hat“(sic!) meint er eine Journalistin, deren Meinung er nicht teilt. Odin, wie er sich nennt, ist aber nicht nur wütend. Wie alle Autoren von hasserfüllten Kommentaren ist er feige und ein gefährlicher Brandstifter. Die Aussagen dürfen nicht verharmlost werden. Denn Hass und das Corona-Virus sind sich sehr ähnlich. Sie sind ansteckend und können tödliche Folgen haben. Um dies zu verhindern, ist die gesamte Gesellschaft gefordert.
Längst haben Verschwörungstheoretiker einer neuen Form von Hass den Weg geebnet. Im Netz verbreiten sie falsche Informationen, behaupten, eine Elite nutze die Pandemie als Vorwand, um eine neue totalitäre Weltordnung zu etablieren. Sie gießen Öl ins Feuer, verwandeln Ängste zu Hass. Unter den stillen Verunsicherten finden sie in allen Gesellschaftsteilen neue Anhänger. So deutete Odin selbst an, Mitarbeiter des Chancengleichheitsministeriums zu sein ...
Aussagen wie die des vermeintlichen nordischen Göttervaters machen deutlich: Politiker, Wissenschaftler und Journalisten gelten in den Kreisen als Feindbilder. Immer wieder kommt es zu Entgleisungen. Jede von ihnen verrückt die Grenze des Zumutbaren – bis zur Eskalation. Bilder von Wohnhäusern von Politikern und Aufrufe zur Gewalt kursieren bereits im Netz. Anhänger der Verschwörungsmythen sprechen offen von einem Krieg. Die Szene ist eine Zeitbombe. Im September wurde in Idar-Oberstein (D) bereits deutlich, welche Auswirkungen die Lügen auf instabile Personen haben können, als ein Mann einen Tankstellenangestellten erschoss, der ihn auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte.
Die Regierung klammert die Entwicklungen in der Szene in ihrer Corona-Politik weitgehend aus. Dabei bräuchte es in diesem kritischen Zeitpunkt der Pandemie von den Verantwortlichen mehr Entschlossenheit – und eine klare Sprache: Ein deutliches bis Hierhin und nicht weiter. Stattdessen dürfen Verschwörungstheoretiker weitgehend ungehindert ihr Gift versprühen und die Radikalisierung schreitet voran. Strafermittlungsbehörden können daran nur bedingt etwas ändern. Denn das Verbreiten von Lügen ist nur in Ausnahmefällen, etwa bei der Holocaustleugnung, strafbar. Die Behörden sind vielmehr mit den Folgen befasst. Und auch da setzt das Strafgesetzbuch Grenzen. Nicht jede beängstigende Aussage ist strafbar.
Gerade deshalb liegt es auch in der Verantwortung eines jeden zu entscheiden, wo die Grenzen des Zumutbaren sind. Feuer darf nicht mit Feuer bekämpft werden.
Dem Hass und den Falschinformationen muss mit Aufklärung und einer Gegenposition begegnet werden. Ganz so wie es Ärzte und Krankenpfleger heute mit der Schweigeminute der Blouses blanches tun – eine Gegenbewegung zu den von Verschwörungstheoretikern organisierten Marches blanches silencieuses. Die Pandemie lässt sich nicht überwinden, wenn die Unentschlossenen einer lauten Minderheit überlassen werden. Es geht aber auch darum, den Schaden zu begrenzen, den die abstrusen Theorien innerhalb der Gesellschaft bereits angerichtet haben. Denn dieser lässt sich nicht ohne Weiteres beheben.
Längst haben Verschwörungstheorien einer neuen Form von Hass den Weg geebnet.
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