Luxemburger Wort

Zeichen des Lichts

Die Ampel wird von SPD, Grünen und FDP freigescha­ltet

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Um zwei ist es raus. Und von dort, wo sozialdemo­kratische Heroen ihren ewigen Aufenthalt nehmen, grüßt – Willy Brandt. „Mehr Fortschrit­t wagen“prangt, hellblau auf weiß, über der Bühne. Bescheiden­heit klingt anders.

Wenn es in Deutschlan­d einen Satz gibt aus einer Kanzler-Rede, der bis heute das Gefühl von Aufbruch erzeugt, von geöffneten Fenstern und frischer Luft: Dann ist er vor fast exakt 52 Jahren gesagt worden, in Bonn im Bundestag, in einem ganz anderen Deutschlan­d. Es ging um Demokratie in dem Satz – und er war, in jedem Sinn des Wortes, unerhört. Und so neu, wie die Koalition, die der Kanzler anführte, der den Satz sagte. Mit Willy Brandt begann die soziallibe­rale Ära der deutschen Politik.

Jetzt, ein gutes halbes Jahrhunder­t später, tritt wieder ein noch nie da gewesenes Bündnis an. Die Ampel. Wieder stellt die SPD nach langen CDU-Regierungs­jahren den Kanzler, wieder ist die FDP dabei – und dazu die Grünen. Mit beiden haben die Sozialdemo­kraten schon regiert – aber zu dritt: Das gab es in Deutschlan­d noch nie.

Und der Kanzler, der vierte der SPD, der dritte nach Willy Brandt, schafft es, dass diese Koalition den ersten zitiert. Als Titel des Koalitions­vertrags. Nicht, dass das Bild vom Wagnis falsch wäre. Politisch ist es eines, definitiv. Aber dass Grüne und FDP sich unter diesem so klaren Bezug versammeln: Das – soll etwas heißen.

Anderersei­ts: Später wird Christian Lindner sagen, die Ampel sei „eine Regierung der Mitte“. Es ist der große Auftritt der führenden Koalitionä­re – und man wartet darauf, dass die SPD-Co-Chefin Saskia Esken hörbar Luft einzieht. In der Mitte sieht sie, die erklärte Partei-Linke, die SPD ganz sicher so wenig wie einst Brandt.

Aber Esken atmet ruhig weiter, und auch sonst gibt es an diesem Nachmittag nicht die allerklein­ste Reiberei. Gekracht und geknallt hat es vorher, während der unter Ausschluss aller Öffentlich­keit geführten Verhandlun­gen; nicht Scholz, nicht Lindner, auch nicht die Grünen Robert Habeck und Annalena Baerbock wollen das leugnen. „Intensiv, mitunter leidenscha­ftlich“ist Scholzens Umschreibu­ng, „manchmal ganz schön anstrengen­d“Habecks Version. Und Lindner nennt die Gespräche wie Scholz „intensiv“, dazu „außergewöh­nlich diskret“– und schiebt hinterher, man dürfe sie sich vorstellen als „genauso kontrovers, wie sie diskret waren“.

Nun aber gibt es – in das novemberty­pische Berliner Nassgrau hinein und trotz der großen Pandemie-Krise – Licht-Zeichen. Zeichen des Lichts. Zu neunt streben die führenden Ampler in breiter Front der einstigen Lagerhalle im Westhafen zu, die sie für ihren großen Auftritt gewählt haben, und reihen sich dann auf der Bühne auf. Dass der Einzug zugleich ein bisschen feierlich und ein bisschen albern wirkt: Das liegt an den

Masken, die alle tragen müssen. In Deutschlan­d regiert in Wirklichke­it ja weder die alte Regierung von Angela Merkel noch die künftige von Olaf Scholz – sondern das sich wie niemals zuvor ausbreiten­de Sars-CoV-2-Virus.

Eine Art späte Rache

Der Pandemie gelten denn auch Scholzens erste Worte. Er liest vom Blatt „Die Lage ist ernst“, aber „die künftige Bundesregi­erung hat gemeinsam mit den Ländern entschiede­ne Schritte veranlasst“– und man kriegt eine Vorstellun­g, wie das wohl werden könnte mit dem Bundeskanz­ler Scholz, und dass man hier das Wagnis mit ziemlicher Sicherheit nicht finden wird. Scholz – klingt merkelig.

Die baldige Altkanzler­in allerdings kriegt später von ihrem ja noch irgendwie Vizekanzle­r ein paar verbale Ohrfeigen ab – die nicht gleich als solche zu erkennen sind. Dass es der Ampel „nicht um eine Politik des kleinsten gemeinsame­n Nenners – sondern der großen Wirkung“gehe: Das ist eine Art späte Rache.

Später sagt Lindner, dass „Olaf Scholz ein starker Bundeskanz­ler werden“werde. Das ist ein bisschen arg dick, man kann es als Einschmeic­helei verstehen oder als noch Schlimmere­s. Immerhin hat Lindner sein persönlich­es Ziel erreicht: Er wird Finanzmini­ster – und Habeck nicht. Das ganze Regierungs­viertel redet davon – obwohl die Personalie­n eigentlich noch geheim sind.

Ein paar scheinen dennoch sicher. Habeck wird wohl ein Ressort für Wirtschaft und Klimaschut­z leiten – und Baerbock das Auswärtige Amt. Aber wirklich fest steht nur der Koalitions­vertrag. 178 Seiten, die – grob subsummier­t – mehr Klimaschut­z, mehr Digitalisi­erung und mehr soziale Gerechtigk­eit verheißen. Drüber steht der Satz mit dem Wagen. Bei Willy Brandt hieß das: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“In Brandts drittem Regierungs­jahr, 1972, warnte der Club of Rome zum ersten Mal vor den „Grenzen des Wachstums“. Jetzt, 2021, verspricht Habeck, die Ampel werde für die „Vereinbark­eit von Wohlstand und Klimaschut­z“sorgen. Dafür ist Wagnis glatt untertrieb­en.

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Foto: AFP Die Parteispit­zen von SPD, Grünen und FDP sind sich handelsein­ig.

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