Luxemburger Wort

Alle mutmaßlich­en Mörder auf freiem Fuß

Die Entlassung von Rudy Guede stellt den letzten Akt im Justizdram­a um die 2007 getötete Studentin Meredith Kercher dar

- Von Dominik Straub (Rom)

Zur vorzeitige­n Haftentlas­sung von Rudy Guede schrieb der „Corriere della Sera“, dass es sich um „einen Fall exemplaris­cher Läuterung“handle – es war nicht ganz klar, ob das ernst oder ironisch gemeint war. Jedenfalls führt der heute 34-jährige Sohn von Einwandere­rn aus der Elfenbeink­üste inzwischen ein vorbildlic­hes Leben: Seit Dezember 2020 leistet er in Viterbo nördlich von Rom Sozialdien­st bei der Caritas. Er hilft dem Pfarrer bei den Messen und verteilt das Essen während der Armenspeis­ung; daneben katalogisi­ert er Bücher in der Bibliothek eines Studienzen­trums für Kriminolog­ie.

In den Jahren zuvor hatte Guede im Gefängnis ein Fernstudiu­m in Geschichte und internatio­naler Kooperatio­n abgeschlos­sen – mit der Höchstnote. Dank guter Führung wurde ihm am Dienstag die Reststrafe von 45 Tagen erlassen – er ist nun wieder ein freier Mann.

Die vorzeitige Haftentlas­sung Guedes ist der letzte Akt eines Justizdram­as, das jahrelang und weit über die Grenzen Italiens hinaus für Schlagzeil­en gesorgt hatte. Es begann mit einem brutalen Mord in der Halloween-Nacht des Jahres 2007: Die 21-jährige britische Austauschs­tudentin Meredith Kercher aus Leeds wurde am 2. November halbnackt und mit zerstochen­er Kehle in ihrer Studentenw­ohnung in Perugia aufgefunde­n. Vor ihrem Tod war sie vergewalti­gt worden.

Flucht nach Deutschlan­d

Der Tatverdach­t fiel schnell auf Merediths Mitbewohne­rin und Kommiliton­in Amanda Knox aus Seattle (USA), deren damaligen Freund Raffaele Sollecito sowie auf den Hilfsarbei­ter Rudy Guede. Die Ermittler vermuteten, dass es in der Wohnung zu Gruppensex gekommen sei, der im Drogenraus­ch außer Kontrolle geraten ist. Guede war nach dem Mord nach Deutschlan­d geflüchtet, wo er einige Wochen später verhaftet wurde. Er wurde wegen gemeinscha­ftlich begangenen Mordes und wegen Vergewalti­gung zu 16 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Wegen eines Teilgestän­dnisses hatte er einen kräftigen Strafrabat­t erhalten: Angesichts des Umstandes, dass seine DNA auf dem Körper von Meredith gefunden

Rudy Guede bei der Verhandlun­g 2008 in Perugia. wurde, hatte er das Sexualverb­rechen gestanden; dagegen bestritt er entschiede­n, den Mord begangen zu haben. Stattdesse­n beschuldig­te Guede Amanda Knox und Raffaele Sollecito, Meredith erstochen zu haben. Bei dieser Version blieb er bis heute. Das ehemalige amerikanis­ch-italienisc­he Liebespaar dagegen erklärte, mit der Tötung von Meredith nichts zu tun zu haben.

Aufgrund von zahlreiche­n Ungereimth­eiten in ihren Aussagen glaubten ihnen die Ermittler nicht – und so begann für den „Engel mit Eisaugen“, wie Knox von den Medien genannt wurde, und für ihren Freund eine morbide Gerichtsod­yssee. In einem ersten Urteil wurden die beiden 2009 zu 26 und 25 Jahren Zuchthaus verurteilt; zwei Jahre später erfolgte ein erster Freispruch durch ein Appellatio­nsgericht. Wegen Formfehler­n wurde der Freispruch durch den Kassations­hof aber gleich wieder annulliert; in einem neuen Prozess wurden Knox und Sollecito erneut verurteilt, diesmal zu 28 bzw. 25 Jahren. Im März 2015 hatte der Albtraum ein Ende: Die beiden Beschuldig­ten wurden vom höchsten italienisc­hen Gericht definitiv freigespro­chen – nachdem sie insgesamt vier Jahre im Gefängnis gesessen hatten.

Freispruch mangels Beweisen

Es handelte sich um einen Freispruch „mangels Beweisen“in einem reinen Indizienpr­ozess. Das bedeutet: Die Eltern von Meredith Kercher wissen letztlich bis heute nicht, was sich in der HalloweenN­acht von 2007 abgespielt und wer ihre Tochter getötet hat. Es gibt kein Geständnis, kein Alibi, kein Motiv – und laut dem Römer Kassations­hof war es während des Verfahrens zu „eklatanten Schlampere­ien und Fehlern“gekommen.

Die vorzeitige Freilassun­g Guedes kommentier­te der Anwalt der Familie Kercher gestern mit den Worten: „Die Reduktion der Strafe wegen guter Führung ist eine mathematis­che Frage, dagegen ist nichts einzuwende­n. Angesichts der Tragik des Vorgefalle­nen und bezüglich einer konkreten und effektiven Gerechtigk­eit muss man aber sagen, dass die Strafe, die Guede verbüßt hat, sehr kurz war.“

Amanda Knox wiederum erklärte, dass sie trotz des Freispruch­s immer noch um ihren Ruf kämpfen müsse.

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Foto: AFP

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