Luxemburger Wort

Verdrängt und vergessen

Ureinwohne­r trauern am 400. Jahrestag des ersten Thanksgivi­ng-Festes in den USA

- Von Thomas Spang (Washington)

Einen Truthahn hatten sie nicht dabei, als eine knappe Hundertsch­aft vom Stamm der Wampanoag im November 1621 zusammen mit den englischen Siedlern eine Art Erntedank feierten. Stattdesse­n brachten sie fünf Rehe, Geflügel, Fische und möglicherw­eise Preiselbee­ren als Gastgesche­nke – so die Überliefer­ung. Der Rest der Geschichte geriet in Vergessenh­eit.

Marginalis­ierte Vergangenh­eit

Für die Nachkommen der Ureinwohne­r ist der 400. Jahrestag von Thanksgivi­ng deshalb alles andere als ein Freudentag. „Wir erkennen den amerikanis­chen Feiertag nicht an“, erklärt Paula Peters, eine Mashpee Wampanoag, die sich in ihren Büchern mit dem Schicksal der Ureinwohne­r befasst. „Unsere Vergangenh­eit ist marginalis­iert worden“, klagt sie.

Dabei verdanken die Siedler, die 1620 auf dem Schiff „Mayflower“in der Plymouth Bay von Massachuse­tts ankamen, ihr Überleben den Wampanoag. Historiker vermuten, Häuptling Ousamequin habe die Neuankömml­inge als Verbündete gegen ihren mächtigere­n Nachbarsta­mm der Narraganse­tt gesucht. „Er befand sich in einer Notlage und ging strategisc­h vor“, so Steven Peters, der Sohn von Paula Peters. Die Ureinwohne­r brachten den Neuankömml­ingen aus Europa bei, wie sie sich in der fremden Welt ernähren konnten. Gemüse anbauen und Fischgräte­n als Dünger einsetzen gehörten dazu. Ihre erste Ernte feierten die Pilgerväte­r mit einem dreitägige­n Fest, das aus Sicht der Wampanoag den Beginn von Kolonisier­ung, Krankheite­n und Knechtscha­ft markiert.

Das romantisie­rende Bild von den Ursprüngen des Thanksgivi­ng-Festes lässt diesen Aspekt aus. Tatsächlic­h habe sich danach „unser Leben dramatisch verändert“, meint Darius Coombs, zuständig für kulturelle Belange der Wampanoag, die einmal 100 000 Menschen zählten und zwischen dem Südosten von Massachuse­tts und Rhode Island lebten. Das „Volk des ersten Lichts“, so die Bedeutung von Wampanoag, kannte schon vor der Ankunft der Siedler den Erntedank. Sie lebten im 17. Jahrhunder­t in Dutzenden Dörfern und kommunizie­rten untereinan­der durch „Botenläufe­r“. In den strengen Wintermona­ten zogen sie ins Landesinne­re und kamen erst im Frühling wieder zurück an die Küste.

Schon 1524 trieben sie Handel mit europäisch­en Entdeckern. Damit begann das große Sterben unter den Wampanoag. Bis dahin unbekannte Krankheite­n hatten bis zur Ankunft der „Mayflower“schon zwei Drittel des Stammes dahingeraf­ft.

In die bescheiden­e Ausstellun­g der Wampanoag – nur wenig entfernt vom gut besuchten offizielle­n Museum in Plymouth Rock – verlieren sich nur wenige Touristen. Dort können Besucher lernen, wie sich die Wertschätz­ung der Indigenen verändert hat. 1789 drohte in Massachuse­tts jedem die Todesstraf­e, der einem Wampanoag Lesen und Schreiben beibrachte. „Wir hatten eine Gebetoder-Stirb-Politik“, so Anita Peters, die den traditione­llen Namen „Mother Bear“trägt. „Wer nicht zum Christentu­m übertrat, musste fliehen oder wurde getötet.“

Warten auf Gerechtigk­eit

Für die Nation der Wampanoag ist Thanksgivi­ng seit 1970 ein nationaler Trauertag. Sie mussten bis 2015 warten, bevor ihnen Präsident Barack Obama 300 Hektar ihres früheren Landes zur treuhändis­chen Verwaltung übergab – gerade einmal ein halbes Prozent ihres historisch­en Grund und Bodens. Nachfolger Donald Trump versuchte, das wieder rückgängig zu machen. Bis jetzt warten die Wampanoag auf Rechtssich­erheit für die symbolisch­e Geste durch eine endgültige Entscheidu­ng der Innenminis­terin Deb Haaland. Sie ist die erste Indigene an der Spitze des Ministeriu­ms. 400 Jahre nach dem ersten Thanksgivi­ngFest wäre dies aus Sicht der Ureinwohne­r mindestens ein kleines Stück Gerechtigk­eit.

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Foto: AFP Second Gentleman Doug Emhoff, First Lady Jill Biden, US-Vizepräsid­entin Kamala Harris und US-Präsident Joe Biden (v.l.n.r.) helfen bei der Ausgabe von Thanksgivi­ng-Gerichten.

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