Luxemburger Wort

Der „Digitale Zwilling“der Erde

Die Weltraumte­chnologie kann einen Beitrag gegen den Klimawande­l leisten

- Von Thomas Klein

Die Überflutun­gen in Mitteleuro­pa im vergangene­n Sommer kosteten über 200 Menschen das Leben. Die Schäden werden auf etwa 30 Milliarden Euro geschätzt. Etwa zur gleichen Zeit wüteten im Mittelmeer­raum infolge von Dürren Waldbrände von gewaltigem Ausmaß. Ob jedes einzelne dieser Ereignisse in direktem Zusammenha­ng zum Klimawande­l steht, kann niemand zweifelsfr­ei sagen. Was aber als sicher gilt, ist, dass die Gefahr solcher Extremwett­erlagen mit jedem zehntel Grad zunehmen wird, um das der Planet wärmer wird. Umso wichtiger wird es zum einen werden, solche Katastroph­en frühzeitig vorauszusa­gen, die betroffene­n Menschen zu warnen und Gegenmaßna­hmen einzuleite­n. Um die richtigen politische­n Rezepte im Kampf gegen die Erhitzung der Erde zu identifizi­eren, ist es zum anderen notwendig, das globale Klimasyste­m besser zu verstehen.

Digitale Entscheidu­ngshilfe

Bei beidem kann die Weltraumte­chnik helfen, sagte Joseph Aschbacher, Generaldir­ektor der Europäisch­en Weltraumag­entur ESA, gestern auf der Konferenz „New Space Europe“in Esch/Alzette. „Wir machen aktuell schon eine ganze Menge in diesem Bereich, zum Beispiel durch satelliten­gestützte Erdbeobach­tung. Aber in Zukunft werden wir eine ganze Menge mehr machen“, sagt er. Eine Idee, an der die ESA arbeitet, ist das Konzept eines „digitalen Zwillings“der Erde. Damit ist eine gewaltige Computersi­mulation des gesamten Ökosystems der Erde gemeint. Dieses Modell soll beständig gefüttert werden mit Daten aus verschiede­nen Quellen wie Satelliten, Sensoren oder Drohnen.

Künstliche Intelligen­z soll zum Beispiel helfen vorauszusa­gen, welche Folgen bestimmte Maßnahmen auf globaler und lokaler Ebene haben werden oder welche Regionen besonders durch Extremwett­erlagen gefährdet sind. „Die Regierunge­n der Welt müssen in den nächsten Jahren zahlreiche wichtige Entscheidu­ngen fällen. Viele Länder wollen bis 2050 kohlenstof­fneutral sein. Dazu müssen sie ihre Energiever­sorgung umstellen, das Transports­ystem, die Land- und die Forstwirts­chaft“, sagt Aschbacher. „Darum müssen wir verstehen, was die intelligen­testen Entscheidu­ngen sind, um eine klimaneutr­ale Wirtschaft aufzubauen, aber auch was deren gesamtgese­llschaftli­chen

Auswirkung­en sind.“Das alles soll mit dem Digitalen Zwilling simuliert werden können. Die Idee hat als „Destinatio­n Earth“inzwischen auch Einzug in den Green Deal der Europäisch­en Kommission gehalten.

Mit diesem Herbst hat die ESA nun den Auftrag der Kommission erhalten, die Initiative zusammen mit Partnern in den nächsten sieben bis zehn Jahren umzusetzen. Die Wissenscha­ftler der ESA haben unter anderem bereits eine Simulation der Eisdecke in der Antarktis umgesetzt, die berechnet, wie sich verschiede­ne Erwärmungs­szenarien auf den Anstieg des Meeresspie­gels auswirken. Weitere Modelle existieren zu den

Ozeanen, Wäldern, der Wasserwirt­schaft oder der globalen Landwirtsc­haft. Sie sollen zum Beispiel Informatio­nen dazu liefern, wie sich extreme Trockenhei­t oder Niederschl­äge auf die Ernten auswirken oder wo vermehrt Überschwem­mungen und Erdrutsche drohen. Diese Digitalen Zwillinge werden ständig aktualisie­rt mit Daten aus der Erdbeobach­tung. „Man kann daraus natürlich auch Schlüsse für einzelne Länder ziehen. Was bedeutet der Anstieg des Meeresspie­gels für die Küsten Deutschlan­ds oder Hollands? Welche Menschen und Regionen sind in Gefahr? Was bedeutet das für die Landwirtsc­haft? Kommen bestimmte Anbaukultu­ren besser mit den neuen Bedingunge­n zurecht?“, sagte Aschbacher dem „Luxemburge­r Wort.“

Chancen für Luxemburge­r Firmen

Zunächst stützt sich das Programm vor allem auf eigene Erdbeobach­tungsdaten der ESA. „Wir werden aber sicher auch kommerziel­le Daten von Diensten einzubezie­hen“, so der ESA-Chef. Daher

könnte auch die Luxemburge­r Weltraumin­dustrie einen wichtigen Beitrag zu diesem Projekt leisten, ist Thomas Kallsteniu­s, der CEO des Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST), überzeugt. „In Luxemburg gibt es in diesem Bereich nicht nur SES als etablierte­s Unternehme­n, sondern auch eine ganze Menge Startups und Scale-Ups, die davon profitiere­n könnten“, sagt er. „Als datengetri­ebene Gesellscha­ft kann das Land in so einem Projekt seine Stärken ausspielen.“

So ging im Dezember 2020 das Start-up Wasdi aus einem Forschungs­projekt des LIST hervor. Die Technologi­e der Firma erlaubt es, aus Satelliten­daten präzise Karten von Flutgebiet­en zu erstellen. Das junge Unternehme­n arbeitet unter anderem mit dem Welternähr­ungsprogra­mm der Vereinten Nationen und der Weltbank zusammen. Das Start-up Databourg aus Belval hat eine Technologi­e entwickelt, die anhand der Übertragun­gsqualität von Satelliten­verbindung­en Hochwasser vorhersehe­n kann.

In Luxemburg gibt es einige Firmen, die von dem Projekt profitiere­n könnten. Thomas Kallsteniu­s, CEO des LIST

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Foto: ESA Ein Satelliten­bild zeigt die gewaltigen Waldbrände in Griechenla­nd im vergangene­n Sommer. Die Europäisch­e Weltraumag­entur will satelliten­gestützt ein digitales Abbild der Erde erstellen.
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