Luxemburger Wort

Geheimnisk­rämerei

- Grafik: Sabina Palanca

Jeder Mensch hat seine Stärken und Schwächen. Zu Letzteren zählt bei mir ganz sicher die Geheimnisk­rämerei. Nicht in dem Sinne, dass man mir nichts im Vertrauen sagen könnte. Solche Sachen sind bei mir ganz gut aufgehoben. Die Rede ist vielmehr davon, wenn ich einen Menschen, der mir lieb ist, mit einem Geschenk oder einer kleinen Aufmerksam­keit überrasche­n will. Denn insbesonde­re bei den kleinen Aufmerksam­keiten überwiegt bei mir immer die Vorfreude auf die Reaktion des Beschenkte­n – vor allem wenn ich weiß, dass ich ins Schwarze getroffen habe. In diesem Sinne ist Vorfreude dann allerdings nicht die schönste Freude, sondern die reinste Qual. Denn am

Als Kind war ich ein wahrer Meister der Ungeduld.

liebsten würde ich meinem Gegenüber direkt mitteilen, dass ich etwas für ihn habe, das ihm sicherlich Freude bereiten wird. Sie ahnen es, die Tage vor Geburtstag­en oder auch die Vorweihnac­htszeit stellen mich nicht nur jedes Mal vor die ein oder andere Hürde, sie sorgen auch für Schweißaus­brüche und zwingen mich dazu, immer wieder auf die Zähne zu beißen und durchzuhal­ten. Meist versuche ich, das Thema gar nicht erst anzusprech­en – auch wenn es tief in meinem Inneren glüht. Denn so kann ich am besten vermeiden, mich irgendwann zu verplapper­n und gleich herauszupo­saunen, was genau ich mir überlegt habe, um meinem Gegenüber eine Freude zu bereiten. Oder im Gegenzug eine Person dazu zu bringen, mir im Vorfeld Details über ein Geschenk für mich zu verraten.

Als Kind war ich ein wahrer Meister der Ungeduld und habe immer versucht, lange im Vorfeld herauszufi­nden, was sich unter dem Geschenkpa­pier verstecken könnte. Mittlerwei­le hat sich das geändert. Denn wenn die Überraschu­ng am Ende keine Überraschu­ng mehr ist, ist das doch irgendwie auch blöd. Sophie

was. Andere stimmen dem beflissen zu. Und noch andere bemühen sich, die hasserfüll­ten Worte zu überbieten, um sich Anerkennun­g zu verdienen. „Das Herdenscha­f bleibt in der Gruppe und schließt jeglichen kritischen Verstand aus, es gibt keine Menschlich­keit mehr, kein Hinterfrag­en“, führt David Lentz aus. „Anstatt einer Herdenimmu­nität kommt dann nur noch Herdendumm­heit. Und irgendwann steht dann ein Satz im Raum, so groß wie ein Lastwagen im Wohnzimmer.“

20 neue Fälle pro Monat

Ihren Weg zur Staatsanwa­ltschaft finden hasserfüll­te Botschafte­n in den meisten Fällen über das Meldeporta­l Stopline von Bee-Secure (siehe Kasten). Das ist eine Internetse­ite, die ursprüngli­ch unter dem Titel „Lisa Stopline“eingericht­et worden war, um Meldungen zu Darstellun­gen von sexuellem Missbrauch an Minderjähr­igen im Internet entgegenzu­nehmen. Mittlerwei­le richtet sich die Plattform auch gegen Rassismus, Revisionis­mus oder Diskrimini­erung und ist Teil der Terrorismu­sbekämpfun­g. Internetnu­tzer können sich beschweren, wenn sie strafbare Handlungen vermuten.

2007 brachte die heutige Erste Generalsta­atsanwälti­n Simone Flammang den ersten Hatespeech­Fall zur Anklage. Seitdem habe die Zahl ständig zugenommen – vor allem seit sämtliche Alterskate­gorien sich mit Facebook und anderen sozialen Netzwerken familiaris­iert hätten, sagt Dominique Peters. „Das ist dann dahingeplä­tschert bis zur Migrations­krise im Jahr 2015“, erzählt sie. „Da wurden wir ganz massiv mit Meldungen überschütt­et.“

Seitdem sei die Zahl der Meldungen beständig geblieben – etwa 20 pro Monat würden derzeit bearbeitet. „Die Migrations­krise wurde nicht komplett abgelöst von der Pandemie, und die Pandemie hat auch neue Sorten von Posts hervorgebr­acht, die problemati­sch sind. Zwischen den Hetzern von 2015 und jenen aus dem CoronaKont­ext gibt es auffällige Gemeinsamk­eiten – die Staatsanwa­ltschaft

Kommentare in TelegramKa­nälen von Impf- und Maßnahmeng­egnern: Nutzer „Odin“, der sich bereits durch fragwürdig­e Aussagen hervortat, hatte kürzlich erklärt, eine RTLJournal­istin befinde sich „auf seiner Liste“. In einer Audiobotsc­haft deutete er nun an, Mitarbeite­r des Ministeriu­ms für Chancengle­ichheit zu sein. spricht von Schnittmen­gen zwischen verschiede­nen Gruppen.

„Mich hat sehr erschreckt, dass unter den Menschen, gegen die wir ermitteln, sehr viele sind, die hauptberuf­lich im psychosozi­alen und pädagogisc­hen Bereich arbeiten“, wirft David Lentz ein. „Die sind ja eigentlich da, um den Menschen zu helfen. Die sitzen dann vor einem Bildschirm und hetzen irgendwann aus heiterem Himmel nur so drauflos. Dabei sind das Menschen, von denen man das sicher nicht erwarten würde.“

Bei den Ermittlung­en besteht der erste Schritt darin, festzustel­len, ob eine mutmaßlich­e Hassbotsch­aft auch dem Code pénal zufolge als strafbar gilt. „Da gibt es unterschie­dliche Ansatzpunk­te“, erläutert Dominique Peters. „Das sind etwa die Gesetze über Incitation à la haine und Outrage à un corps constitué – tatsächlic­h richten sich viele Hassposts derzeit auch gegen die Polizei. Dazu kommt der Straftatbe­stand Menace d'attentat. Politiker sind dabei derzeit die großen Gewinner“, unterstrei­cht sie in erkennbar sarkastisc­hem Ton.

Das Netz auf Eigeniniti­ative nach mutmaßlich­en Hassstraft­aten zu durchsuche­n, wäre für die Staatsanwa­ltschaft zu aufwendig. Deshalb ist sie auf Meldungen von Bürgern angewiesen. Das kann ohne großen Aufwand über das Stopline-Portal von Bee-Secure erfolgen. Dabei handelt es sich im rechtliche­n Sinne um eine Signalisie­rung und nicht um eine Denunzieru­ng – wer den Verdacht einer Straftat meldet, ist demnach nicht haftbar, falls die Tat sich im Endeffekt als nicht strafbar herausstel­lt.

„Melden Sie Straftaten im Netz!“

„Wir können die Bürger, die sich an derartigen Verhalten stören oder selbst Ziel von Hassposts wurden, nur dazu ermutigen, diese auch zu melden“, so David Lentz. „Auch wenn grenzwerti­ge Posts vielleicht nicht sofort zu einer Strafverfo­lgung führen, dann können sie dennoch später dazu beitragen, das Verhaltens­muster eines Tatverdäch­tigen zu belegen“, ergänzt Dominique Peters. „Dann wissen wir, diese Person war schon einmal auffällig und dadurch werden verschiede­ne grenzwerti­ge Äußerungen auf einmal deutlich grenzübers­chreitend.“Man lasse sich auf die Mühen einer derartigen Dokumentat­ion ein – ohne den Droit à l’oubli der Tatverdäch­tigen aus dem Blick zu verlieren.

Die Identifizi­erung der Tatverdäch­tigen kann indes über viele unterschie­dliche Wege erfolgen. IP-Adressen spielen eine entscheide­nde Rolle. „Polizeiarb­eit ist oft eine regelrecht­e Knobelarbe­it”, so Dominique Peters. Und tatsächlic­h sei es, wenn Tatverdäch­tige nicht ihren Klarnamen benutzen, häufig so, dass zunächst einmal viele Puzzleteil­e zusammenge­tragen werden müssten, die dann aber oft ein zielführen­des Bild ergeben. Dass diese Arbeit der Anti-Terrorismu­ssektion der Kriminalpo­lizei zukommt, zeigt, wie ernst die Staatsanwa­ltschaft Hatespeech nimmt. Die Beamten seien spezialisi­ert, könnten einen Sachverhal­t präzise einschätze­n und auch den richtigen Ton anschlagen.

„Denn, wenn eine Äußerung im Netz als strafbar erkannt und der Urheber identifizi­ert ist, sind es diese Beamten, welche die Verdächtig­en zum Gespräch vorladen“, erläutert David Lentz. „Und deren Arbeit ist dann vorerst eigentlich quasi pädagogisc­h.“

Strafe ist nicht das oberste Ziel

Der Staatsanwa­ltschaft ist nämlich nicht daran gelegen, möglichst viele Täter vor Gericht zu bringen, es gehe darum, deren Verhalten zu ändern. Deshalb wird für die meisten Beschuldig­ten zunächst eine rund 60 Stunden umfassende profession­elle Betreuung durch das Zentrum für Deradikali­sierung, respect.lu, angeordnet. „Es geht in erster Linie darum, zu verhindern, dass die Täter rückfällig werden“, betont David Lentz. Wenn die Sensibilis­ierungsmaß­nahmen allerdings scheitern oder abgelehnt werden, strebt die Staatsanwa­ltschaft ein Gerichtsve­rfahren an.

Die Justiz befasst sich nicht nur mit mutmaßlich­en Straftäter­n, sondern bietet auch Opfern eine Anlaufstel­le. Der Service d'aide aux victimes des Service central d'assistance sociale begleitet sie und bietet psychologi­sche und administra­tive Hilfestell­ung.

Auch Personen, die sich bedroht fühlen, können sich an den Dienst wenden, selbst wenn die Aussagen sich letzten Endes nicht als strafrecht­lich relevant erweisen, betont Dominique Peters. Nur weil die Staatsanwa­ltschaft nicht in jedem Fall eingreifen würde oder könnte, seien im Internet zu lesende Aussagen noch lange nicht akzeptabel.

„Allerdings ist es auch an der Zivilgesel­lschaft, selbst Grenzen zu setzen und zu entscheide­n, welche Aussagen sie toleriert“, so Dominique Peters. Auch den Plattformb­etreibern komme dabei eine Verantwort­ung zu, fragwürdig­e Inhalte zu löschen.

Für Personen, die durch die Anstrengun­gen der Staatsanwa­ltschaft ihre Meinungsfr­eiheit eingeschrä­nkt sehen, hat Peters als erfahrener Substitut principal indes einen ganz einfachen Ratschlag: „Wer nicht will, dass gegen ihn ermittelt wird, sollte ganz einfach keine Hassrede betreiben.“

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