Die Saat des Hasses
Staatsanwaltschaft verfolgt Radikalisierung in sozialen Netzwerken mit großer Sorge
Luxemburg. Die Corona-Pandemie wird sicher nicht nur wegen der vielen Toten in die Geschichte eingehen. Auch die Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus hatte es so noch nicht gegeben. Dass das den Menschen Angst machen kann, liegt auf der Hand und ist nachvollziehbar.
Gefühle von Ohnmacht und Unsicherheit haben, und das zeigt der Blick in die Geschichtsbücher ohne den geringsten Zweifel, immer schon den Extremismus befeuert. Das ist keine Entwicklung, die von alleine kommt. Sie ist das Werk von Menschen, die gezielt das vorantreiben, was wir heute als Hatespeech, als Hassrede, bezeichnen – Worte, die herabsetzen, verunglimpfen und bedrohen.
Soziale Medien übernehmen dabei eine besondere Rolle. Sie werden zur Waffe, die Anonymität ermutigt zu immer aggressiverem, bisweilen kriegerischem Diskurs. Grenzen werden übergangen, es wird gewollt eskaliert. Die giftigen Worte bleiben über lange Zeit im Netz und schüren neuen Hass, wenn sie nicht entfernt werden.
Die Gefahr ist real
Wohin das münden kann, haben alle Extremismen der vergangenen Jahrzehnte gezeigt: Es braucht nur einen, der diese Worte für bare Münze nimmt, sei es, weil es in seinem Gedankengang gerade Sinn ergibt, oder weil ihn seine derzeitige psychische Verfassung für Derartiges empfänglich macht. Und dann braucht es nicht mehr als ein Messer oder ein Auto, um diesem Wahnsinn freien Lauf zu lassen.
Und diese Gefahr ist auch in Luxemburg absolut real. Wie groß, lässt sich nur schwer einschätzen, heißt es bei der Staatsanwaltschaft.
„Das ist wie beim Terrorismus, wir können nicht sagen, wie viele Menschen da draußen auf einmal zu einer Kurzschlussreaktion neigen“, meint der auch für Terrorismusbekämpfung zuständige beigeordnete Oberstaatsanwalt des Bezirksgerichts Luxemburg, David Lentz, im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“. „Es gibt solche Menschen in jedem Land und ein Pünktchen oder das richtige Wort an der richtigen Stelle und zum richtigen Zeitpunkt reicht dann aus. Jemand hat gerade ein Messer dabei, und dann passiert es. Eine halbe Stunde später vielleicht nicht mehr“, so Lentz.
Verschwörungstheorien spielen eine entscheidende Rolle. „Das schürt den Hass“, ergänzt Substitut principal Dominique Peters, die sich neben anderen Aufgaben auch seit Jahren mit Ermittlungsdossiers im Kontext von Rassismus und Diskriminierung
befasst. „Auch wenn die Unwahrheiten, die verbreitet werden, nicht unbedingt strafbar sind, weil Lüge an sich schon nicht strafbar ist, entstammt den Verschwörungstheorien wohl die ganze Welle von Aggressionen gegenüber Politikern.“
Wie beim Terrorismus brauche die Saat aus Hass, Hetze und Verschwörungsmythen dann nur den passenden fruchtbaren Boden zu finden – und darauf zielen so manche Menschen in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Telegram offensichtlich ab. Denn ihre Rhetorik ist jene von Bürgerkriegspropaganda – ihr Ziel sind schlicht geimpfte Bürger, jene, die sich an die CovidCheck-Regeln halten, diejenigen, die sie einfordern sowie Wissenschaftler, Ärzte und staatliche Entscheidungsträger.
Und der Vergleich zum Terrorismus sei durchaus naheliegend, sagt David Lentz. „Auf einmal tauchen dann irgendwo in Europa welche auf, die ziehen ein Messer und gehen auf Polizisten los, nur weil die dann wochen- und monatelang den hasserfüllten Worten anderer zugehört haben“, erklärt der beigeordnete Oberstaatsanwalt. „Das ist dann sozusagen der sogenannte 'einsame Wolf', der mal mehr, mal weniger psychische Probleme hat. Der denkt dann, jetzt ist es an der Zeit, etwas zu tun. Und wenn der dann beispielsweise eine Uniform sieht, dann ist das ein willkommenes Ziel unter anderen.“
Politiker im Fokus
Denn tatsächlich fokussiert sich Hassrede seit Beginn der Pandemie deutlich auf den Staat und dessen Vertreter im weitesten Sinne. „Politiker sind dem extrem ausgesetzt“, unterstreicht Dominique Peters. „Es ist bekannt, dass inzwischen auch Fotos von Häusern von Politikern auf Facebook verbreitet werden.“
Nicht die Zahl der Hassposts habe zugenommen, sondern vor allem der aggressive Ton. Und dieser sei zunehmend beängstigend, meint Dominique Peters. Damit eine Drohung vor Gericht Bestand habe, müssten mehrere Bedingungen erfüllt sein. So dürften keine Zweifel daran bestehen, wie eine
Nachricht auszulegen sei. Es müsse deutlich sein, an wen sich die Drohung richtet und welche Konsequenzen sie beinhaltet.
Und so kann es sein, dass selbst ein einzelner besorgniserregender und sicher verwerflicher Kommentar nicht als Straftat eingestuft werden kann. Dies könnte zum Beispiel auf eine Nachricht eines Mannes in einer impfkritischen Telegram-Chatgruppe zutreffen. Unter dem Nutzernamen „Odin“hatte er auf einen journalistischen Kommentar einer Radiojournalistin reagiert – deren Meinung er offensichtlich nicht teilte: „Hat as och op menger lescht“.
Zwar ist in diesem Fall bekannt, an wen sich der Kommentar richtet. Welches Ausmaß und welche Bedeutung diese Liste hat, bleibt aber offen. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass der Mann, der bereits mehrfach wegen fragwürdiger Aussagen aufgefallen ist, von einer Grußkartenliste für Weihnachten spricht. Dennoch bleiben Zweifel, die die Staatsanwaltschaft im Falle einer Strafverfolgung aus dem Weg räumen müsste. Ob es ausreichend, um ihn etwa wegen einer mutmaßlichen Todesdrohung vor Gericht zu stellen, bleibt abzuwarten. Im Übrigen hat „Odin“vorgestern in einer Audio-Botschaft auf Telegram, die dem „Luxemburger
Wort“vorliegt, angedeutet, er arbeite beim Ministerium für Chancengleichheit.
Nicht immer eindeutig strafrechtlich relevant sind unterdessen auch Aussagen, die sich an eine größere, vage Menschengruppe richten, wie etwa geimpfte oder ungeimpfte Personen. Letzten Endes hängt die Auslegung der Kommentare bei der Strafermittlung aber auch von der Summe von fragwürdigen Kommentaren ab, die ausgewertet werden kann.
Gesellschaftsplage Aggressivität
Mündliche und körperliche Aggressionen kommen längst nicht mehr nur im kriminellen Umfeld vor, sondern sind ein gesellschaftliches Phänomen. „Das hat direkt nichts mit der Pandemie zu tun, auch wenn die nun dazugekommen ist und eine Rolle spielt“, gibt David Lentz zu bedenken. „Die sozialen Medien vereinfachen das Vorgehen der Täter. Sie fühlen sich anonym, sie sitzen vor einem Bildschirm und dann schießen sie sich einfach und feige auf jemanden oder etwas ein!“
Für Lentz trifft ein Bild, das Hetzer im Pandemiekontext gerne für ihre Gegner benutzten, eigentlich am treffendsten auf sie selbst zu: le Mouton de panurge – das Herdenschaf. Jemand behauptet irgendet
Menschlichkeit und Hinterfragen wird ausgeblendet. Anstatt einer Herdenimmunität kommt dann nur noch Herdendummheit. David Lentz