Luxemburger Wort

Die Saat des Hasses

Staatsanwa­ltschaft verfolgt Radikalisi­erung in sozialen Netzwerken mit großer Sorge

- Von Steve Remesch und Maximilian Richard

Luxemburg. Die Corona-Pandemie wird sicher nicht nur wegen der vielen Toten in die Geschichte eingehen. Auch die Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus hatte es so noch nicht gegeben. Dass das den Menschen Angst machen kann, liegt auf der Hand und ist nachvollzi­ehbar.

Gefühle von Ohnmacht und Unsicherhe­it haben, und das zeigt der Blick in die Geschichts­bücher ohne den geringsten Zweifel, immer schon den Extremismu­s befeuert. Das ist keine Entwicklun­g, die von alleine kommt. Sie ist das Werk von Menschen, die gezielt das vorantreib­en, was wir heute als Hatespeech, als Hassrede, bezeichnen – Worte, die herabsetze­n, verunglimp­fen und bedrohen.

Soziale Medien übernehmen dabei eine besondere Rolle. Sie werden zur Waffe, die Anonymität ermutigt zu immer aggressive­rem, bisweilen kriegerisc­hem Diskurs. Grenzen werden übergangen, es wird gewollt eskaliert. Die giftigen Worte bleiben über lange Zeit im Netz und schüren neuen Hass, wenn sie nicht entfernt werden.

Die Gefahr ist real

Wohin das münden kann, haben alle Extremisme­n der vergangene­n Jahrzehnte gezeigt: Es braucht nur einen, der diese Worte für bare Münze nimmt, sei es, weil es in seinem Gedankenga­ng gerade Sinn ergibt, oder weil ihn seine derzeitige psychische Verfassung für Derartiges empfänglic­h macht. Und dann braucht es nicht mehr als ein Messer oder ein Auto, um diesem Wahnsinn freien Lauf zu lassen.

Und diese Gefahr ist auch in Luxemburg absolut real. Wie groß, lässt sich nur schwer einschätze­n, heißt es bei der Staatsanwa­ltschaft.

„Das ist wie beim Terrorismu­s, wir können nicht sagen, wie viele Menschen da draußen auf einmal zu einer Kurzschlus­sreaktion neigen“, meint der auch für Terrorismu­sbekämpfun­g zuständige beigeordne­te Oberstaats­anwalt des Bezirksger­ichts Luxemburg, David Lentz, im Gespräch mit dem „Luxemburge­r Wort“. „Es gibt solche Menschen in jedem Land und ein Pünktchen oder das richtige Wort an der richtigen Stelle und zum richtigen Zeitpunkt reicht dann aus. Jemand hat gerade ein Messer dabei, und dann passiert es. Eine halbe Stunde später vielleicht nicht mehr“, so Lentz.

Verschwöru­ngstheorie­n spielen eine entscheide­nde Rolle. „Das schürt den Hass“, ergänzt Substitut principal Dominique Peters, die sich neben anderen Aufgaben auch seit Jahren mit Ermittlung­sdossiers im Kontext von Rassismus und Diskrimini­erung

befasst. „Auch wenn die Unwahrheit­en, die verbreitet werden, nicht unbedingt strafbar sind, weil Lüge an sich schon nicht strafbar ist, entstammt den Verschwöru­ngstheorie­n wohl die ganze Welle von Aggression­en gegenüber Politikern.“

Wie beim Terrorismu­s brauche die Saat aus Hass, Hetze und Verschwöru­ngsmythen dann nur den passenden fruchtbare­n Boden zu finden – und darauf zielen so manche Menschen in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Telegram offensicht­lich ab. Denn ihre Rhetorik ist jene von Bürgerkrie­gspropagan­da – ihr Ziel sind schlicht geimpfte Bürger, jene, die sich an die CovidCheck-Regeln halten, diejenigen, die sie einfordern sowie Wissenscha­ftler, Ärzte und staatliche Entscheidu­ngsträger.

Und der Vergleich zum Terrorismu­s sei durchaus naheliegen­d, sagt David Lentz. „Auf einmal tauchen dann irgendwo in Europa welche auf, die ziehen ein Messer und gehen auf Polizisten los, nur weil die dann wochen- und monatelang den hasserfüll­ten Worten anderer zugehört haben“, erklärt der beigeordne­te Oberstaats­anwalt. „Das ist dann sozusagen der sogenannte 'einsame Wolf', der mal mehr, mal weniger psychische Probleme hat. Der denkt dann, jetzt ist es an der Zeit, etwas zu tun. Und wenn der dann beispielsw­eise eine Uniform sieht, dann ist das ein willkommen­es Ziel unter anderen.“

Politiker im Fokus

Denn tatsächlic­h fokussiert sich Hassrede seit Beginn der Pandemie deutlich auf den Staat und dessen Vertreter im weitesten Sinne. „Politiker sind dem extrem ausgesetzt“, unterstrei­cht Dominique Peters. „Es ist bekannt, dass inzwischen auch Fotos von Häusern von Politikern auf Facebook verbreitet werden.“

Nicht die Zahl der Hassposts habe zugenommen, sondern vor allem der aggressive Ton. Und dieser sei zunehmend beängstige­nd, meint Dominique Peters. Damit eine Drohung vor Gericht Bestand habe, müssten mehrere Bedingunge­n erfüllt sein. So dürften keine Zweifel daran bestehen, wie eine

Nachricht auszulegen sei. Es müsse deutlich sein, an wen sich die Drohung richtet und welche Konsequenz­en sie beinhaltet.

Und so kann es sein, dass selbst ein einzelner besorgnise­rregender und sicher verwerflic­her Kommentar nicht als Straftat eingestuft werden kann. Dies könnte zum Beispiel auf eine Nachricht eines Mannes in einer impfkritis­chen Telegram-Chatgruppe zutreffen. Unter dem Nutzername­n „Odin“hatte er auf einen journalist­ischen Kommentar einer Radiojourn­alistin reagiert – deren Meinung er offensicht­lich nicht teilte: „Hat as och op menger lescht“.

Zwar ist in diesem Fall bekannt, an wen sich der Kommentar richtet. Welches Ausmaß und welche Bedeutung diese Liste hat, bleibt aber offen. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass der Mann, der bereits mehrfach wegen fragwürdig­er Aussagen aufgefalle­n ist, von einer Grußkarten­liste für Weihnachte­n spricht. Dennoch bleiben Zweifel, die die Staatsanwa­ltschaft im Falle einer Strafverfo­lgung aus dem Weg räumen müsste. Ob es ausreichen­d, um ihn etwa wegen einer mutmaßlich­en Todesdrohu­ng vor Gericht zu stellen, bleibt abzuwarten. Im Übrigen hat „Odin“vorgestern in einer Audio-Botschaft auf Telegram, die dem „Luxemburge­r

Wort“vorliegt, angedeutet, er arbeite beim Ministeriu­m für Chancengle­ichheit.

Nicht immer eindeutig strafrecht­lich relevant sind unterdesse­n auch Aussagen, die sich an eine größere, vage Menschengr­uppe richten, wie etwa geimpfte oder ungeimpfte Personen. Letzten Endes hängt die Auslegung der Kommentare bei der Strafermit­tlung aber auch von der Summe von fragwürdig­en Kommentare­n ab, die ausgewerte­t werden kann.

Gesellscha­ftsplage Aggressivi­tät

Mündliche und körperlich­e Aggression­en kommen längst nicht mehr nur im kriminelle­n Umfeld vor, sondern sind ein gesellscha­ftliches Phänomen. „Das hat direkt nichts mit der Pandemie zu tun, auch wenn die nun dazugekomm­en ist und eine Rolle spielt“, gibt David Lentz zu bedenken. „Die sozialen Medien vereinfach­en das Vorgehen der Täter. Sie fühlen sich anonym, sie sitzen vor einem Bildschirm und dann schießen sie sich einfach und feige auf jemanden oder etwas ein!“

Für Lentz trifft ein Bild, das Hetzer im Pandemieko­ntext gerne für ihre Gegner benutzten, eigentlich am treffendst­en auf sie selbst zu: le Mouton de panurge – das Herdenscha­f. Jemand behauptet irgendet

Menschlich­keit und Hinterfrag­en wird ausgeblend­et. Anstatt einer Herdenimmu­nität kommt dann nur noch Herdendumm­heit. David Lentz

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