Lesestunde für einen Richter
Prozess um Einschüchterung im Amt: Verteidigung trägt 54-seitiges Dokument vor
Luxemburg. Etwas weniger als drei Stunden lang trugen gestern die beiden Verteidiger jenes Anwalts, dem Einschüchterung und Beleidigung eines Untersuchungsrichters vorgeworfen wird, ihre schriftliche Note de plaidoirie vor. Eine äußerste schwerfällige und unverdauliche Lektüre, die wohl nur dem gefällt, der sie verfasst hat, kommentierte der vorsitzende Richter, der die Anwälte mehrfach aufforderte, zum Punkt zu kommen, den Vorgang. Der beschuldigte Maître sei schließlich nicht im Gerichtssaal, um eine Medaille zu erhalten.
Ein Whistleblower
Denn tatsächlich mutete der Vortrag der Anwälte teilweise wie ein Heldenepos an. Wie ein Whistleblower habe er Missstände bei der Justiz aufdecken wollen. Er habe der Anwaltsdeontologie entsprechend gehandelt, die Justizorganisation beachtet, die Grundrechte bewahrt.
Wer dieses Handeln zu unterbinden anstrebe, gefährde den Grundsatz schlechthin der anwaltschaftlichen Arbeit: die Unabhängigkeit. Eine Verurteilung des Anwalts
führe ganz konkret dazu, dass es dann nicht mehr möglich sei, die Arbeit eines Magistraten zu kritisieren und sich über diesen zu beschweren. Ein Freispruch sei unabdingbar. Allein die Anklage sei ein Skandal.
Denn bereits die Begründung der Ratskammer bei ihrer Entscheidung,
den Weg für einen Prozess freizugeben, sei fehlerhaft gewesen.
Quasi Wort für Wort nahmen die Anwälte die Prozedur, die Hypothesen eines strafbaren Verhaltens auseinander und beanspruchten auch die Deutungshoheit über jeden einzelnen Satz aus den E-Mails, die ihrem Mandanten den Vorwurf der Einschüchterung und der Beleidigung des Untersuchungsrichters einbrachten. Die entsprechenden Gesetzesartikel seien so oder so nicht auf diesen Sachverhalt anwendbar.
Aber ohnehin könne man diesem erst gar nicht vorwerfen, er habe sich sträflich verhalten. Denn um den Magistraten einzuschüchtern, hätte er diesem die E-Mail, in der er dem Untersuchungsrichter den Ministern und der Generalstaatsanwältin gegenüber eine Incurie – eine schwerwiegende berufliche Nachlässigkeit – unterstellte, auch selbst schicken müssen.
Grammatik als Schlüssel
Das habe er aber nicht getan. Es sei klar, dass die Politik sich niemals in Ermittlungen einmische, und dass die Generalstaatsanwältin dem Untersuchungsrichter die E-Mail weiterleite, habe er schlicht nicht wissen können. Außerdem lasse auch der Gebrauch des Futur conditionnel als Tempus in der E-Mail keinen Zweifel an den wahren Absichten zu.
Heute wird der Prozess mit dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft fortgesetzt.