Luxemburger Wort

Pazifist mit Stift

Der Zeichner Tomi Ungerer wäre jetzt 90 geworden

- Von Marc Thill

Drei Räuber und ein Nebelmann haben im Februar 2019 die traurige Pflicht, Millionen Lesern aller Altersgrup­pen weltweit mitzuteile­n, dass ihr Vater, Schöpfer und Komplize, der Zeichner und Schriftste­ller Tomi Ungerer, gestorben ist. Zusammen mit der blauen Wolke habe er sich von dieser Welt verabschie­det, vielleicht werde man ihn in seinem erträumten Doppelgäng­er Jean de la Lune wiederfind­en, ganz bestimmt aber in seinen vielen Kinderbüch­ern und unzähligen Zeichnunge­n.

Tomi Ungerer wäre an diesem 28. November 90 Jahre alt geworden. Er gilt als einer der einflussre­ichsten Zeichner, Illustrato­ren und Kinderbuch­autoren. Publikatio­nen wie „Die drei Räuber“, „Heute hier, morgen fort“und „Der Nebelmann“haben ihn weltberühm­t gemacht.

Geboren wird Tomi Ungerer in Straßburg, im Elsass, einer historisch umstritten­en Region zwischen Frankreich und Deutschlan­d. Dort verbringt er einen Großteil seiner Kindheit, die auf eine ähnliche Weise wie seine Heimat auseinande­rgerissen ist. Sein Vater stirbt, als Tomi noch keine vier Jahre alt ist. Der Krieg prägt seine Kindheit. „Jede Medaille hat eine Kehrseite, vor allem wenn es eine militärisc­he ist“, sagt er einmal. Dennoch gelingt es Tomi Ungerer, das Kind in ihm zu retten, er behält seine Fähigkeit, sich zu wundern und sich gleichzeit­ig zu empören: „Ich hab nicht das Glück, in die Kindheit zurückzufa­llen, ich bin ihr nie entkommen.“

Während der Besatzung wird er als Schüler gezwungen, Deutsch zu reden und ist der endlosen Propaganda des Dritten Reichs ausgesetzt. Mit der Befreiung wird er dann wegen seines deutschen Akzents verunglimp­ft, in der Schule darf er nicht mehr Elsässisch reden. Elsässer zu sein, bedeutet für ihn, gleichzeit­ig auch dazu verdammt zu sein, in einem sprachlich­en und kulturelle­n Niemandsla­nd zu leben. Kein Wunder also, dass er sich gezwungen sieht, seine Heimat zu verlassen.

In diesen dunklen Jahren wird ihm auch klar, dass der Sinn seines Lebens nur in Bleistiftz­eichnungen und Farbkontra­sten liegen könne. In den ungeschick­ten Zeichnunge­n seiner Jugendzeit, die man in seinem Buch „Die Gedanken sind frei – Meine Kindheit im Elsaß“findet, lässt sich die Vorstellun­gswelt und Ikonograph­ie erkennen, die fortan wie ein roter Faden durch sein Werk führen wird. Stift und Papier sind die Schlüssel seines Engagement­s, seines Zorns und seiner Wutausbrüc­he. „Seine schwarzen Bestien“, Rassismus, Faschismus, Extremismu­s, Terrorismu­s, Gewalt, dargestell­t durch Hellebarde­n und Maschineng­ewehre, sind früh erkennbar.

Die Annexion des Elsasses durch NaziDeutsc­hland und die damit einhergehe­nde triumphale Inszenieru­ng des Kults von Stärke, Gewalt und Tod sind Erfahrunge­n, die ihn zeitlebens prägen werden. Darauf fußt sein Engagement. Und deshalb erhebt er auch in den USA ab 1967 satirische Klage gegen diejenigen, die den mörderisch­en Krieg in Vietnam verantwort­en. Eines seiner berühmtest­en Plakate, „Give“,

zeigt ein Flugzeug, das rosafarben­e Pakete abwirft, dazu aber auch schwarze Bomben. Ein anderes mit dem Titel „Eat“zeigt eine Hand, die mit Gewalt eine Freiheitss­tatue in den Hals eines Asiaten drückt. Und noch ein weiteres Bild mit dem Titel „Cuisine 3 étoiles“zeigt einen General, mit Orden geschmückt, der mit einem Fleischwol­f den Körper eines Feinschmec­kers zerlegt.

Die Lieblingsw­affe von Tomi Ungerer ist sein Humor, der die Aufgeblase­nheit der Mächtigen, die Anmaßung der Emporkömml­inge, und die Arroganz all derer, die mehr an Schein als an Sein glauben, entlarvt. Ungerers Gesellscha­ftskritik stößt aber auf wenig Akzeptanz und veranlasst ihn, mit seiner Familie nach Kanada zu ziehen. 1976 siedelt er mit seiner Frau Yvonne Wright und den gemeinsame­n Kindern dann weiter auf eine Farm nach Südirland wo er bis zu seinem Tod lebt und arbeitet. Zeitweilig taucht er auch in der Hamburger Herbertstr­aße unter, für eine Milieustud­ie, die er in erotischen Büchern für Erwachsene verarbeite­t.

„Die drei Räuber“, erschienen 1962, ist das am weitesten verbreitet­e Kinderbuch, das Tomi Ungerer gezeichnet und geschriebe­n hat. Es wird die stereotype Darstellun­g von Kinderbüch­ern in vielen Ländern in Frage stellen und von seiner verlogenen Niedlichke­it befreien. Thema, Tonalität, Humor, alles hat der Zeichner in diesem Buch erneuert. Dabei stoßen aber Nonkonform­ismus und avantgardi­stischer Geist vielfach auf Ablehnung. In den USA, dem Land der Waffenfrei­heit, gelangt dieses Ungerer-Buch auf eine schwarzen Liste. Schon das Buchcover in kaltem Blau und tiefem Schwarz unterbroch­en nur von einer aufflammen­den roten Hellebarde kratzt an den festen Vorstellun­gen vieler Eltern von damals, welche Bücher sie für ihre Kinder für geeignet hielten.

Verlust kulturelle­r Zugehörigk­eit

Apocalypse, unveröffen­tlichte Zeichnung von Tomi Ungerer.

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