Die Ampel kommt zu spät
Die Ampel-Koalition in Deutschland meint es ernst – zumindest was die Europäische Union angeht. Der Koalitionsvertrag von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen bricht nämlich mit Jahren des lethargischen Merkelismus in Europa. Endlich! Denn unter Angela Merkel hielt die Bundesregierung stets am Status quo fest. Reformen wurden nur dann akzeptiert, wenn ohnehin klar war, dass sie absolut unabdingbar waren. Das Team um Olaf Scholz will die Sachen dagegen mit Vision und Tatkraft anpacken.
Am deutlichsten wird diese Haltung beim Schutz der Rechtsstaatlichkeit. Die Zeit des Appeasements, die dazu führte, dass sich die EU-Mitgliedstaaten Ungarn und Polen allmählich in regelrechte Autokratien verwandelt haben, scheint definitiv vorbei zu sein. Die Ampel will die EUKommission dazu ermutigen, im Kampf gegen die Erosion der Demokratie kompromisslos aufzutreten. Merkels Parteikollegin und Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat sich nämlich bislang diesbezüglich viel zu zaghaft gezeigt. Der neue Druck aus Berlin ist demnach willkommen. Und wenn von der Leyen dennoch tatenlos bleibt, verspricht der Koalitionsvertrag, dass die Bundesregierung selber einschreiten wird: Die Ampel-Parteien wollen die Auszahlung von EU-Geldern Richtung Warschau blockieren, solange die Unabhängigkeit der Justiz dort gefährdet bleibt.
Die neue Regierungskoalition will auch europäische Probleme in Angriff nehmen, die zwar von zentraler Bedeutung sind, oft aber bei Regierungsbildungen komplett vergessen werden. Die partout notwendige Parlamentarisierung der EU, die zu Recht oft als undemokratisch beschimpft wird, ist eines dieser Themen. Und das Koalitionsabkommen ist dabei unmissverständlich: Präsident der EU-Kommission soll künftig nur jemand werden, der bei den EU-Wahlen angetreten ist und am besten auch von allen Europäern gewählt werden kann. Denn das undurchsichtige Hinterzimmer-Manöver, durch das Ursula von der Leyen Kommissionschefin wurde, darf sich nicht wiederholen.
Und auch bei traditionell heiklen Themen ist die AmpelKoalition konstruktiv: Die für Deutschland typischen roten Linien in der EU-Finanzpolitik, die die politische Integration der EU seit jeher ausbremsen, sucht man im Koalitionsabkommen vergebens. Natürlich hat die FDP dafür gesorgt, dass die Passagen über EU-Haushaltsregeln und EUSchulden vorsichtig formuliert sind. Doch wirklich ausgeschlossen wird nichts. Die Botschaft lautet demnach: Mit dieser Bundesregierung lässt sich über alles reden.
Dieser neue Elan ist für die EU eine sehr gute Nachricht. Allerdings kommt die deutsche Einsicht etwas zu spät. 2017 wäre der ideale Zeitpunkt dafür gewesen: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wurde damals mit einer ambitionierten EU-Reformagenda gewählt – die damals leider in Berlin auf taube Ohren stieß. Nun kämpft Macron aber um seine Wiederwahl – gegen EU-Skeptiker aller Couleur. Wirklich viel wird sich deswegen bis zur Wahl in Paris Mitte 2022 nicht machen lassen. Und was danach kommt, kann in jede Richtung gehen. Auch in die falsche.
Die AmpelKoalition bricht mit Jahren des lethargischen Merkelismus.
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