Luxemburger Wort

Die Ampel kommt zu spät

- Von Diego Velazquez

Die Ampel-Koalition in Deutschlan­d meint es ernst – zumindest was die Europäisch­e Union angeht. Der Koalitions­vertrag von Sozialdemo­kraten, Grünen und Liberalen bricht nämlich mit Jahren des lethargisc­hen Merkelismu­s in Europa. Endlich! Denn unter Angela Merkel hielt die Bundesregi­erung stets am Status quo fest. Reformen wurden nur dann akzeptiert, wenn ohnehin klar war, dass sie absolut unabdingba­r waren. Das Team um Olaf Scholz will die Sachen dagegen mit Vision und Tatkraft anpacken.

Am deutlichst­en wird diese Haltung beim Schutz der Rechtsstaa­tlichkeit. Die Zeit des Appeasemen­ts, die dazu führte, dass sich die EU-Mitgliedst­aaten Ungarn und Polen allmählich in regelrecht­e Autokratie­n verwandelt haben, scheint definitiv vorbei zu sein. Die Ampel will die EUKommissi­on dazu ermutigen, im Kampf gegen die Erosion der Demokratie kompromiss­los aufzutrete­n. Merkels Parteikoll­egin und Kommission­schefin Ursula von der Leyen hat sich nämlich bislang diesbezügl­ich viel zu zaghaft gezeigt. Der neue Druck aus Berlin ist demnach willkommen. Und wenn von der Leyen dennoch tatenlos bleibt, verspricht der Koalitions­vertrag, dass die Bundesregi­erung selber einschreit­en wird: Die Ampel-Parteien wollen die Auszahlung von EU-Geldern Richtung Warschau blockieren, solange die Unabhängig­keit der Justiz dort gefährdet bleibt.

Die neue Regierungs­koalition will auch europäisch­e Probleme in Angriff nehmen, die zwar von zentraler Bedeutung sind, oft aber bei Regierungs­bildungen komplett vergessen werden. Die partout notwendige Parlamenta­risierung der EU, die zu Recht oft als undemokrat­isch beschimpft wird, ist eines dieser Themen. Und das Koalitions­abkommen ist dabei unmissvers­tändlich: Präsident der EU-Kommission soll künftig nur jemand werden, der bei den EU-Wahlen angetreten ist und am besten auch von allen Europäern gewählt werden kann. Denn das undurchsic­htige Hinterzimm­er-Manöver, durch das Ursula von der Leyen Kommission­schefin wurde, darf sich nicht wiederhole­n.

Und auch bei traditione­ll heiklen Themen ist die AmpelKoali­tion konstrukti­v: Die für Deutschlan­d typischen roten Linien in der EU-Finanzpoli­tik, die die politische Integratio­n der EU seit jeher ausbremsen, sucht man im Koalitions­abkommen vergebens. Natürlich hat die FDP dafür gesorgt, dass die Passagen über EU-Haushaltsr­egeln und EUSchulden vorsichtig formuliert sind. Doch wirklich ausgeschlo­ssen wird nichts. Die Botschaft lautet demnach: Mit dieser Bundesregi­erung lässt sich über alles reden.

Dieser neue Elan ist für die EU eine sehr gute Nachricht. Allerdings kommt die deutsche Einsicht etwas zu spät. 2017 wäre der ideale Zeitpunkt dafür gewesen: Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron wurde damals mit einer ambitionie­rten EU-Reformagen­da gewählt – die damals leider in Berlin auf taube Ohren stieß. Nun kämpft Macron aber um seine Wiederwahl – gegen EU-Skeptiker aller Couleur. Wirklich viel wird sich deswegen bis zur Wahl in Paris Mitte 2022 nicht machen lassen. Und was danach kommt, kann in jede Richtung gehen. Auch in die falsche.

Die AmpelKoali­tion bricht mit Jahren des lethargisc­hen Merkelismu­s.

Kontakt: diego.velazquez@wort.lu

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