Luxemburger Wort

Kopfschütt­eln am Kap

Die nach der Entdeckung der Omikron-Variante verhängten Reisebesch­ränkungen stoßen vor allem in Südafrika auf Ablehnung

- Von Johannes Dieterich (Johannesbu­rg)

Es war sprichwört­lich der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der von zahlreiche­n Industrien­ationen jüngst gegenüber Staaten im Südlichen Afrika erlassene Reisebann hat vor allem in Südafrika einen Sturm der Entrüstung ausgelöst: Dort wird die nach der Entdeckung der Covid-Variante Omikron erlassene Maßnahme als ein unwissensc­haftliches populistis­ches Bedienen fremdenfei­ndlicher Instinkte gegenüber Afrikanern betrachtet. „Jetzt wissen wir, wie der Norden der Welt reagiert hätte, wenn die ersten Covid-Fälle nicht in China, sondern in Afrika entdeckt worden wären“, schimpft die Vorsitzend­e der Afrikanisc­hen Impfallian­z, Ayoade Alakija: „Sie hätten unseren Erdteil dicht gemacht und die Schlüssel weggeworfe­n.“

Dem britischen Premiermin­ister Boris Johnson folgend hatten die Regierunge­n von Industrien­ationen wie der USA, der meisten der Staaten der EU, Australien­s und Japans bereits am Freitag einen Bann über Flüge aus und nach Südafrika sowie mehrerer angrenzend­er Staaten verhängt. Dabei ist noch unklar, ob die Omikron-Variante überhaupt gefährlich­er als die davor bekannt gewordenen Varianten ist: Erste Anzeichen weisen sogar darauf hin, dass der Krankheits­verlauf weniger dramatisch als etwa bei der DeltaVaria­nte verläuft.

Die Regierunge­n der Industrien­ationen schlugen Warnungen der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO in den Wind, die von Reisebesch­ränkungen ausdrückli­ch abgeraten hatte. Der Bann könne die

Ausbreitun­g neuer Varianten ohnehin nicht verhindern, hieß es in Genf: Die wirtschaft­lichen Auswirkung­en auf die betroffene­n Staaten seien aber katastroph­al.

Schock für Tourismus

Tatsächlic­h hat die Welle der Flugstorni­erungen bereits zu einem Einbruch der Buchungen für Südafrikas Tourismusi­ndustrie geführt, die sich von der bevorstehe­nden Hochsaison eine Erholung des eingebroch­enen Markts erhoffte. Der Reisebann sei ein „klarer und völlig unberechti­gter Bruch“der Verpflicht­ungen, die die G-20Staaten bei ihrem Treffen in Rom eingegange­n seien, kritisiert­e Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa und forderte die sofortige Rücknahme der Restriktio­nen. Der Flugboykot­t sei „weder von wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen geleitet noch beim Eindämmen der

Ausbreitun­g der Variante effektiv. Das einzige, was er ausrichten wird, ist den wirtschaft­lichen Schaden der betroffene­n Staaten noch zu vertiefen.“

Viele Südafrikan­er fragen sich, ob es etwa besser gewesen wäre, wenn die hiesigen Wissenscha­ftler ihre Entdeckung der OmikronVar­iante für sich behalten hätten. Dass die neue Version zuerst am Kap der Guten Hoffnung identifizi­ert wurde, wird in Wissenscha­ftskreisen der überdurchs­chnittlich guten südafrikan­ischen Viren-Forschung zugeschrie­ben: Das Netzwerk für Genom-Sequenzier­ung vermochte sich bereits im Kampf gegen die HIV- und die Tuberkulos­e-Epidemie einen ausgezeich­neten internatio­nalen Ruf zu verschaffe­n. Man solle den südafrikan­ischen Forschern „für ihre Schnelligk­eit und Transparen­z dankbar sein“, statt ihr Land zu bestrafen, meinte der Covid-19-Beauftragt­e der WHO, David Nabarro.

In der Fachwelt stößt die Verhängung von pauschalen Restriktio­nen auf immer stärkere Kritik. Eine Gruppe südafrikan­ischer Wissenscha­ftler rief Pretorias Regierung zu Beginn der nun erwarteten vierten Welle dazu auf, von Reiseeinsc­hränkungen, Ausgangssp­erre und Alkoholver­bot Abstand zu nehmen. Der von ihnen angerichte­te wirtschaft­liche Schaden überwiege den begrenzten epidemiolo­gischen Nutzen bei weitem. „Wenn Ihr wollt, könnte Ihr im kommenden Monat ja den gesamten globalen Verkehr lahmlegen“, poltert Ayoade Alakija von der Afrikanisc­hen Impfallian­z: „Aber beschränkt Euch nicht auf Afrika. Denn das ist unwissensc­haftlich, inakzeptab­el und falsch.“

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