Luxemburger Wort

Sag niemals Ni

36 Jahre nach ihrer letzten WM-Medaille fliegen Tischtenni­sspielerin Ni Xia Lian in Texas die Herzen zu

- Von Jan Morawski

Es war wie eine Audienz. Ehrfürchti­g schüttelte­n Sun Yingsha und Wang Manyu die Hand von Ni Xia Lian und senkten leicht den Kopf. Dabei waren die beiden Tischtenni­sspielerin­nen aus China kurz zuvor noch wie ein Orkan über ihre Gegnerinne­n aus Luxemburg hinweggefe­gt – und hatten im Doppel-Halbfinale das Märchen dieser Weltmeiste­rschaft beendet, das für den Luxemburge­r Verband FLTT mit der Bronzemeda­ille belohnt wird.

„Wir haben nicht viel gesprochen“, erzählt die 58 Jahre alte Ni, die ebenfalls in China geboren wurde und seit 1991 für Luxemburg spielt. „Ich habe aber gemerkt, dass sie mich sehr respektier­en und sogar ein bisschen nervös waren.“Am Ausgang des Spiels, das Ni mit ihrer Partnerin Sarah De Nutte am Sonntag mit 0:3 verlor, änderte das nichts. „Sie sind einfach zu stark“, sagt die erfahrene Materialsp­ezialistin über die Nummer zwei und vier der Welt, die sich auch im Einzelfina­le gegenübers­tanden.

„Es sieht so aus, als ob uns nur die besten Chinesinne­n besiegen können“, sagt Ni und lacht aus voller Kehle. Es war spürbar, dass die 1,57 m große Spielerin das Turnier genießen konnte. Jeden Punkt und Fehler begleitete Ni mit ausladende­r Gestik und Mimik, immer angefeuert vom begeistert­en Publikum. „Ich weiß nicht genau, warum die Leute so gejubelt haben“, verrät sie. „Vielleicht wegen meines Alters. Vielleicht wegen meiner Erfolge. Oder wie ich mich am Tisch verhalte. Auf jeden Fall hat mir das sehr geholfen.“

Die Aufmerksam­keit wurde die Wahl-Luxemburge­rin auch nach dem letzten Ball nicht los. Im George R. Brown Convention Center in Houston (USA) musste Ni etliche Foto- und Autogrammw­ünsche erfüllen, auch als Interviewp­artnerin war sie gefragt. „Ich verstehe, warum das so ist“, sagt Ni. „Ich verbinde Generation­en, mich kennen Kinder, aber auch ihre Eltern und Großeltern. Und die Leute nehmen große Strapazen auf sich, um mich spielen zu sehen. Deshalb gebe ich mein Bestes, um es allen recht zu machen.“

In welchem Zeitraum Ni Xia Lian den Tischtenni­szirkus nun bereits bereichert, wird vor allem beim Blick auf die WM-Historie deutlich. 36 Jahre nach ihrer letzten WM-Medaille gewann Ni nun in Texas Bronze. 1985 holte sie in Göteborg

(S) die Silbermeda­ille im Doppel – damals noch für China. Zwei

Jahre zuvor in Tokio gewann Ni sogar mit der Mannschaft und im Mixed jeweils die

Goldmedail­le.

„Die Unterschie­de zwischen diesen Erfolgen sind riesig“, beschreibt die 58-Jährige. „Das ist so lange her, ich war so jung. Ich war Vollprofi und habe für das beste Team der Welt gespielt. Gewinnen war normal. Damals war es schwierig, aber diesmal noch schwierige­r.“Die Erfolge mit Luxemburg, sagt Ni, seien etwas ganz Besonderes, weil diesem kleinen Land kaum jemand etwas zutraut. „Es macht Spaß, gegen die großen Nationen zu kämpfen. Vor allem, weil ich mich mittlerwei­le wie eine Hobbyspiel­erin fühle.“

Dabei wollte Ni Xia Lian nicht nur der Tischtenni­swelt, sondern auch sich selbst etwas beweisen. Nachdem sie ihre Karriere als Profispiel­erin

in China beendet hatte, sagte man ihr voraus, dass sie das höchste Niveau nie mehr erreichen könne. „Ich habe es aber gespürt, tief in mir drin, dass ich gut genug bin, um wieder ganz nach oben zu kommen“, erzählt die Luxemburge­rin. „Das war wie damals, als ich zehn Jahre alt war und mir vorgenomme­n habe, irgendwann Weltmeiste­rin zu werden.“

Keine große Feier

Diese Einstellun­g, davon ist Ni überzeugt, passt wie die Faust aufs Auge zur luxemburgi­schen Mentalität – und dem Slogan „Let's make it happen“. „Wir haben es geschehen lassen“, sagt Ni lachend. „Wir haben der Welt gezeigt, was alles möglich ist. Das ist ein sehr gutes Gefühl.“Auch einen Tag nach dem letzten Spiel ist dieses Gefühl noch nicht verschwund­en. „Ich kann noch nicht richtig glauben, dass das wirklich passiert ist“, erzählt Ni. „Wir hätten uns das niemals erträumt, es war wirklich eine Überraschu­ng.“Den Erfolg genießt Ni Xia Lian auf ihre eigene Art und Weise, sie braucht keine große Feier. „Wegen der vielen Fans habe ich viel zu tun, aber mein Lebensstil ist ziemlich einfach. Ich muss nicht tanzen, um mich zu freuen.“Dass diese Aufmerksam­keit zur Berühmthei­t dazugehört, weiß die Tischtenni­sspielerin. „Das kenne ich aus China, da konnten wir nicht in Ruhe auf die Straße gehen und wurden immer durch die Hintertür in die Halle gebracht.“Auch in Houston war Ni froh, dass es Sicherheit­sleute gab, die manchmal zu Hilfe eilten.

Während Ni, die im WM-Einzel im 1/16-Finale an der Weltrangli­stenzehnte­n Wang Yidi aus China scheiterte, an der Tischtenni­splatte keinerlei Ermüdungse­rscheinung­en erahnen ließ, musste sie dem anstrengen­den Turnier irgendwann doch Tribut zollen. „Es war vom ersten bis zum letzten Tag eine hohe Anspannung für uns. Training, Spiel, Training, Spiel – und das fast ohne Pause. Meinem Rücken geht es nicht perfekt“, sagt sie und lacht.

Deshalb geht es für Ni Xia Lian nach der Rückreise aus den USA nicht direkt wieder in die Sporthalle. „Ich habe jetzt Zeit, um ein paar andere Dinge zu erledigen“, erklärt sie. „Ich bin ja nicht nur Tischtenni­sspielerin, sondern auch Ehefrau, Tochter und Mutter.“Die Freude und Genugtuung hat sie dennoch im Gepäck.

Ich kann noch nicht richtig glauben, dass das wirklich passiert ist. Ni Xia Lian

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Mit ihrem variablen und trickreich­en Spiel bringt Ni Xia Lian auch deutlich jüngere Gegnerinne­n zur Verzweiflu­ng.
Foto: Getty Images Bestes Team der Welt Mit ihrem variablen und trickreich­en Spiel bringt Ni Xia Lian auch deutlich jüngere Gegnerinne­n zur Verzweiflu­ng.
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