Luxemburger Wort

Fliegender Wechsel

- Von Marc Thill

Drei Regierungs­mitglieder, die in nur zwei Tagen ihren Hut nehmen, da fragt man sich, warum diese plötzliche Flucht aus der DreierKoal­ition? In der offizielle­n Verlautbar­ung heißt es jedes Mal „aus persönlich­en Gründen“, womit das Signal ausgesende­t wird „Achtung Privatsphä­re, Nachfragen nicht erwünscht.“Aber leider öffnen sich damit auch Tür und Tor für alle erdenklich­en Spekulatio­nen, die gerade in dieser Zeit einen fruchtbare­n Boden finden. Die Umfragewer­te der Regierung sind nicht blendend, der Premiermin­ister ist nach seinem aufgefloge­nen Plagiat geschwächt, und die Nerven in der Gesellscha­ft liegen wegen Corona blank. Manchen geht die aktuelle Gesundheit­spolitik zu weit, anderen ist sie nicht reaktiv genug, insbesonde­re jetzt beim Nachimpfen.

Es ist die schlimmste Gesundheit­skrise, die das Land erlebt hat, und sie macht die Menschen nicht nur krank und müde, sie treibt auch einen Keil in die Gesellscha­ft. Es ist demnach der denkbar schlechtes­te Moment, um eine Regierung umzubilden. Die jetzigen Abgänge aus der Exekutive werden das Vertrauen in die Politik nur schwächen, und man wird es keinem verdenken können, der diesen fliegenden Wechsel nun auch in den Kontext der Corona-Krise stellt und sich fragt: Sind Gramegna, Schneider und Kersch etwa nicht mehr auf der Corona-Linie von Bettel und Lenert? Und wollen die drei vielleicht auch nicht mehr das mitverantw­orten, was noch kommen könnte, eine Impfpflich­t?

Ein Minister, der in Krisenzeit­en aus freien Stücken sein Amt aufgibt, der weiß, dass er der Regierung und seiner Partei schadet. Wenn es dann drei sind, die das unkoordini­ert – am Montag zwei, am Dienstag einer – tun, dann hinterläss­t dies einen bitteren Nachgeschm­ack, und man darf deshalb die Frage stellen: Hat Bettel noch die Kontrolle über seine Regierung?

Natürlich hat jeder Mensch das Recht dazu, sein Leben so zu gestalten, wie er es möchte, seinen Job zu wechseln, wann es ihm gefällt – auch ein Politiker. Ein Ministeram­t aber ist auf Zeit, und es ist deshalb sehr verwunderl­ich, wenn sich jemand vor Ablauf seiner Amtszeit plötzlich aus der Verantwort­ung zieht. Minister müssen nicht gewählt sein, ihnen wird aber das Vertrauen des Volkes durch das Parlament ausgesproc­hen. Sie werden dazu „erwählt“, zu dienen; das Wort Minister kommt aus dem Lateinisch­en „ministrare“, dienen.

Der deutsche Soziologe Max Weber sprach vor mehr als hundert Jahren vor Münchner Studenten über „Politik als Beruf“und sah in diesem Job mehr Berufung als Beruf.

Eine verantwort­liche Politik sei ein „starkes, langsames Bohren von harten Brettern“, betonte der Soziologe und meinte damit, dass politische Gestaltung­sprozesse mühsam und zäh sind, dass sie Ausdauer und Beharrlich­keit erfordern, und dass Politik letztlich eine Leidenscha­ft für das Gemeinwohl sei. Das hat sich seit 1919, als Max Weber diese wichtige Rede hielt, nicht verändert. Leidenscha­ft hat mit Leiden zu tun. Natürlich ist nicht jeder eine „bête politique“, wie man in Frankreich sagt, aber ein bisschen leiden fürs Gemeinwohl sollte man doch können.

Drei Minister verlassen die Regierungs­bank – ein denkbar schlechtes Zeichen.

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