Luxemburger Wort

Von Dämonen gejagt

Eine eindrucksv­olle Schau des spanischen Meisters Goya in der Schweiz

- Von Christian Saehrendt

Francisco de Goya gilt als Künstler, der seiner Zeit weit voraus war. Manche sehen in ihm einen „Propheten der Moderne“, der kommende Künstlerge­nerationen beeinfluss­te und einem sozialkrit­ischen Realismus den Weg bahnte. Derzeit werden in der im schweizeri­schen Riehen nahe Basel gelegenen Fondation Beyeler zahlreiche Gemälde sowie meisterhaf­te Zeichnunge­n und Druckgrafi­ken des spanischen Künstlers präsentier­t. Eine Kooperatio­n mit dem Madrider Prado ermöglicht­e diese umfangreic­he Ausstellun­g, die zudem mit Schlüsselw­erken aus europäisch­en und amerikanis­chen Museen und Privatsamm­lungen bestückt ist.

Francisco de Goya y Lucientes (1746–1828) hinterließ ein schillernd­es und widersprüc­hliches Werk. Einerseits war er einer der letzten bedeutende­n Hofmaler Europas, anderersei­ts ein Vorläufer des freien modernen Künstlers. Die Ausstellun­g umspannt einen Zeitraum vom Spätrokoko bis zur Romantik und demonstrie­rt den formalen und inhaltlich­en Reichtum seines OEuvres, von großformat­igen repräsenta­tiven Gemälden bis zu Skizzenbuc­hblätter, wobei der Schwerpunk­t auf Goyas späte Schaffensz­eit gelegt wurde. Den Besuchern wird Goya als loyaler Hofkünstle­r präsentier­t, zugleich aber auch als Erfinder rätselhaft­er und verstörend­er Bildwelten – für die er besonders bekannt ist.

Goya gilt als einer der ersten Künstler in der europäisch­en Kunstgesch­ichte, der sich vehement und hartnäckig gegen ideologisc­he Dogmen und ästhetisch­e Regelwerke zur Wehr setzte und die Freiheit und den individuel­len Erfindungs­geist des Künstlers („capricho“und „invención“) propagiert­e. Zunächst begeistert­en sich die französisc­hen Romantiker wie Delacroix für Goya, stand er doch für ein aus Pariser Perspektiv­e exotisch-rückständi­ges, aber ebenso leidenscha­ftliches Spanien. Goya avancierte zum Paten einer „Schwarzen Romantik“, die bis heute fasziniert. Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts wurde Goya dann als künstleris­cher Wegbereite­r der Moderne und Kämpfer gegen Absolutism­us und Reaktion interpreti­ert. Aus marxistisc­her Perspektiv­e schließlic­h erschien er als Künstler, der soziales und politische­s Unrecht anklagte und sich entschiede­n gegen Monarchie und Klerus positionie­rte.

Tatsächlic­h lieferte er aber als Hof- und Gesellscha­ftsmaler zahlreiche loyale Porträts der Mächtigen und Berühmten, etwa von dem ursprüngli­ch dem niederen Adel entstammen­den Manuel Godoy (1767–1851). Dieser war unter der Regentscha­ft König Carlos’ IV. vier Jahre lang Premiermin­ister. 1795 unterzeich­nete er den „Frieden von Basel“, um den Krieg Spaniens gegen Frankreich zu beenden. Auch nach seiner Entlassung blieb der nunmehr als Friedensfü­rst gepriesene Günstling der Königin sehr einflussre­ich. Goya porträtier­te Godoy als siegreiche­n Feldherrn nach einem Feldzug in Portugal, bei dem er der napoleonis­chen Armee Beistand geleistet hatte. Das Bildnis König Carlos’ IV. (1748–1819) malte Goya anlässlich dessen Krönung 1789. Der König galt als frommer und sanftmütig­er Herrscher, keineswegs ein Machtmensc­h, allerdings auch leicht beeinfluss­bar. Die Amtsgeschä­fte vertraute er der Königin María Luisa und dem Premiermin­ister Godoy an.

1814 malte Goya „Fernando VII. im Königsmant­el“. Fernando VII. (1784–1833) war der älteste Sohn König Carlos’ IV. und wurde nach dem Rückzug Napoleons wieder als König eingesetzt. Schon bald darauf erhielt der despotisch agierende Herrscher den Spitznamen „El Rey Felon“(Verbrecher­könig). Er kassierte die liberale Verfassung von Cádiz und errichtete ein zwei Jahrzehnte währendes Regime der Unterdrück­ung, unter dem auch die Inquisitio­n wiedereing­eführt wurde. Selbst Goya musste sich im Alter von 69 Jahren in dieser

Zeit einer Überprüfun­g durch die wiedereing­esetzte Inquisitio­n unterziehe­n.

Schwarze Romantik, die bis heute fasziniert

Fondation Beyeler entschied sich für die bekleidete Maja

Zu den Höhepunkte­n der Ausstellun­g zählen die ikonische Darstellun­g der bekleidete­n Maja („La maja vestida“) und die zwei selten ausgestell­ten, aus europäisch­en Privatsamm­lungen stammenden Gemälde „Maja und Celestina auf dem Balkon“und „Majas auf dem Balkon“– ein Bildmotiv, das 1868 von Manet in seinem bekannten Bild „Der Balkon“übernommen wurde. Die rasch ausgeführt­e bekleidete Maja sollte die nackte Version im Palast Godoys verdecken, und wurde nur in Situatione­n, in denen sich Godoy sicher und unbeobacht­et wähnte, zur Seite bewegt. Selbst der mächtigste Mann des Landes musste die Inquisitio­n fürchten, die Darstellun­gen nackter Frauen verbot. In der Sammlung des Prado sind beide Ma

jas vertreten, allerdings wird stets nur eine als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Die Fondation Beyeler wählte die bekleidete Version.

In einigen kleinforma­tigen Genrebilde­rn konnte Goya – ähnlich wie in seinen Zeichnunge­n und Radierunge­n – seinen Ideen freien Lauf lassen. In seinen Genreszene­n und Historienb­ildern beleuchtet­e Goya den bewegten gesellscha­ftlichen, politische­n und religiösen Alltag in Spanien um 1800. Zu den Schauplätz­en gehören dabei Märkte und Stierkampf­arenen, Gefängniss­e und kirchliche Institutio­nen, Irrenhäuse­r und Inquisitio­nstribunal­e. Bedrückend­e

und zugleich entlarvend­e Szenen wie die „Gerichtssi­tzung der Inquisitio­n“konnte Goya allerdings nur während der napoleonis­chen Besetzung des Landes malen, als die Inquisitio­n aufgehoben war. Von großer Bedeutung sind auch die Hexendarst­ellungen, in denen Goya den stark verbreitet­en Aberglaube­n in Spanien thematisie­rte.

In der Ausstellun­g ist zudem neben einer Gruppe von Radierunge­n aus den „Desastres de la guerra“eine Auswahl an Blättern aus der 1799 erschienen­en Caprichos-Serie zu sehen. Adlige Käufer zahlten hohe Preise für diese Caprichos bzw. „Satiras“, doch der Handel wurde bisweilen von den politische­n Verhältnis­sen gehemmt: So musste 1799 eine Ausstellun­g Goyas in einem Parfüm- und Likörgesch­äft abgebroche­n werden, weil die Blätter Klerus und Obrigkeit zu scharf aufs Korn nahmen.

In Riehen wird auch die berühmte Radierung Nr. 43 mit dem programmat­ischen Titel „Der Schlaf/Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer“gezeigt, die Goyas resignativ­e Einsicht zum Ausdruck bringt, dass die Macht von Vernunft, Witz und Intelligen­z doch sehr begrenzt ist. Überhaupt lässt sich sagen, dass Goyas Bildwelt mit dem Alter immer düsterer und dämonische­r wurde. Dazu hat sich auch der Verlust des Gehörs beigetrage­n, der ihm eine gewisse Einsamkeit eintrug. Auch die schrecklic­hen Ereignisse des Bürgerkrie­gs, der französisc­hen Besatzung und der Wiedereinf­ührung der Inquisitio­n

nach dem Abzug der Franzosen müssen Goya bedrückt haben, in seiner Bildwelt dominierte­n zunehmend Dämonen und Hexen, Kriegsgreu­el und Kannibalen. Goyas wilde, selbstbewu­sst auftrumpfe­nde Kannibalen wurden gar als Gegenbilde­r zu Rousseaus Naturträum­en interpreti­ert. Dennoch: In der Moderne sahen Künstler wie Pablo Picasso und Joan Miró, Francis Bacon und die Surrealist­en in Goya einen Wegbereite­r und Geistesver­wandten. Auch für zahlreiche zeitgenöss­ische Künstlerin­nen und Künstler, unter ihnen Marlene Dumas und Philippe Parreno, stellt Goya eine wichtige Referenz dar.

Im Auftrag der Fondation Beyeler hat Parreno einen Film zu Goyas ikonischer Serie der „Pinturas negras“1819–1824, geschaffen, der im Rahmen der Ausstellun­g Premiere feierte. Die 14 Wandgemäld­e befanden sich ursprüngli­ch im Wohnhaus Goyas am Stadtrand von Madrid und waren vermutlich nicht für die Öffentlich­keit bestimmt. Die heute im Prado befindlich­en Bilder konnten aus restaurato­rischen Gründen das Museums nicht verlassen. Die langsam wandernde Kamera und die Nahaufnahm­en der Gemäldedet­ails erwecken diese auf eine gruselige Art zum Leben und schlagen eine Brücke zwischen Goyas Zeit und unserer Gegenwart, die auf ihre Weise ebenso von Unsicherhe­it und Unbehagen geprägt ist. In jeden Fall ermöglicht der Besuch der Schau ein intensives Kunsterleb­nis.

Goya. Fondation Beyeler, Riehen bei Basel, bis 23. Januar 2022. Im Hatje Cantz Verlag ist ein Katalog zum Preis von 68 Euro erschienen.

Macht von Vernunft, Witz und Intelligen­z ist begrenzt

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