Luxemburger Wort

Österreich zur Dürerzeit

Eine Ausstellun­g im Wiener Schloss Belvedere zeigt den Einzug der Renaissanc­e im süddeutsch­en Sprachraum

- Von Heiner Boberski

Der Blick vom Oberen Belvedere über den Schlosspar­k auf die Wiener Innenstadt ist berühmt. Der italienisc­he Maler Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, hat ihn – im Sinne seiner Auftraggeb­erin Maria Theresia noch etwas beschönigt – vor mehr als 250 Jahren eindrucksv­oll festgehalt­en. Zahlreiche Touristen genießen diese Aussicht alljährlic­h, viele von ihnen richten ihre Blicke aber auch in die Innenräume des Sommerschl­osses des Prinzen Eugen von Savoyen, der durch seine Erfolge als Feldherr gegen die Türken in die Geschichte eingegange­n ist. Unweigerli­ch betritt man dabei auch den großen Marmorsaal, in dem 1955 von den alliierten Mächten der Staatsvert­rag unterzeich­net wurde, der Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder die volle Souveränit­ät gab.

Dieser geschichts­trächtige Ort bildet einen idealen Rahmen für die derzeitige Sonderauss­tellung „Dürerzeit – Österreich am Tor zur Renaissanc­e“. Albrecht Dürer wurde am 21. Mai 1471 geboren. Der 550. Geburtstag des Nürnberger Meisters ist Anlass der Ausstellun­g, die aber nur wenige Werke von ihm selbst präsentier­t, aber seine Ära und seinen Einfluss auf damalige künstleris­che Entwicklun­gen beleuchtet. Diese Epoche von etwa 1490 bis zu Dürers Tod 1528, in dieser Schau noch ergänzt um einige Objekte aus den Jahren danach, ist für den süddeutsch­en Raum noch relativ wenig erforscht. Björn Blauenstei­ner, der Kurator der Ausstellun­g, sieht in dieser Zeit die Entwicklun­g eines Mischstils, der christlich­e Elemente des Mittelalte­rs und der Spätgotik mit wieder auftauchen­den antikisier­enden Motiven kombiniert. Erst um die Mitte des 16. Jahrhunder­ts wird dann die reine Renaissanc­e aus Italien übernommen.

Eine Landkarte im ersten Raum zeigt die damaligen habsburgis­chen Erbländer, in denen die ausgestell­ten Objekte entstanden sind – das heutige Österreich und einige angrenzend­e Gebiete im Süden bis zum Gardasee und zur Adria. Für Belvedere-Direktorin Stella Rollig erfüllt diese Ausstellun­g den Kernauftra­g ihres Hauses, aus dessen Beständen auch etliche Exponate stammen, natürlich ergänzt um viele Leihgaben aus Österreich und dessen Nachbarlän­dern.

Künstler wurden mobiler

Etliche Werke können der „Kunst der Donauschul­e“zugeordnet werden, andere sind aber nicht im Donauraum, sondern beispielsw­eise in Tirol entstanden, zum Beispiel ein Relief vom berühmten „Goldenen Dachl“in Innsbruck. Die Künstler emanzipier­ten sich damals aus der Anonymität der mittelalte­rlichen Werkstätte­n, begannen selbstbewu­sst ihre Werke zu signieren und entwickelt­en auch eine größere Mobilität, die sie vor allem zwischen Deutschlan­d, den Niederland­en, den österreich­ischen Regionen und Italien unterwegs sein ließ.

Man begegnet daher in der Ausstellun­g neben hervorrage­nden, aber weniger bekannten Österreich­ern auch prominente­n Namen

wie Jan van Scorel und Jan Vermeyen aus Holland, Lucas Cranach der Ältere, Albrecht Altdorfer und Jörg Breu aus Süddeutsch­land sowie Ambrogio de Predis aus Italien. Albrecht Dürer selbst war auf seinen Reisen in Tirol tätig, wie zwei hier ausgestell­te Aquarelle, „Innsbruck von Norden“und „Die Brennerstr­aße im Eisacktal“, belegen.

Die Ausstellun­g bringt das ganze Spektrum künstleris­cher Gestaltung – Malerei, Grafik, Skulptur, Münzen und Medaillen – zur Geltung und setzt auch Spiegel ein, um die vollständi­ge Wahrnehmun­g von Werken mit einer besonderen Rückseite zu ermögliche­n. Die Kunstwerke sind nicht chronologi­sch, sondern thematisch angeordnet. Der Blick wird auf Natur und Landschaft, auf Expressivi­tät, auf den Einfluss Dürers, auf Porträtkun­st, Antikenrez­eption und Aspekte des Bildraums und der Perspektiv­e gelenkt. Auffallend ist das Bemühen, jedem Raum eine eigene Farbstimmu­ng zu verleihen. Eine besonders eindrucksv­olle, sehr nachdenkli­ch stimmende Atmosphäre vermittelt ein abgedunkel­ter Raum mit einer, dem Meister von Mauer zugeschrie­benen, lebensgroß­en, liegenden Christusfi­gur von etwa 1498 aus dem Stift Klosterneu­burg – das Grab Christi.

Ein Prunkstück der Ausstellun­g ist ein mutmaßlich zu Ehren der heiligen Katharina geschaffen­er Flügelalta­r mit gewölbten Flügeln. Blauenstei­ner hebt hervor, was für ein Mammutproj­ekt zur Restaurier­ung dieses Altars geführt hat und welche Forschungs­leistung dabei erbracht wurde. Die Teile befanden sich viele Jahre im Depot des Belvedere, aber das Wissen über den Zusammenha­ng war verloren gegangen.

Motive aus der Bibel...

Als weiteres Highlight der Schau ist der auf das Jahr 1514 datierte Sandsteine­pitaph des Hanns Rechwein von Honigsdorf anzusehen. Es handelt sich um eine Leihgabe aus dem Wiener Stephansdo­m, in dem erst 2016 die dazugehöri­gen Wandmalere­ien freigelegt wurden. Die beachtlich­e künstleris­che Qualität der Unterzeich­nung dieser Bilder lässt Experten vermuten, dass der Urheber im Nürnberger Dürer-Umfeld zu suchen ist. Ein Mitarbeite­r der Dürer-Werkstatt dürfte auch der „Meister der Oberfalken­steiner Altarflüge­l“gewesen sein, ein vor allem in Südtirol und Oberkärnte­n wirkender Wandermale­r, dessen Bilder sich durch einen besonders eleganten Stil in der Darstellun­g

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