Ehre, wem Ehre gebührt!
Das Nederlands Fotomuseum in Rotterdam hat die Top 99 der niederländischen Fotografie in einer Ehrengalerie zusammengefasst
für Besucher attraktiver zu machen. Apps sollen dabei helfen. Über sie kann man Hintergrundinfos zum jeweiligen Bild einsehen, aber auch ein Foto aus seinem eigenen Umfeld hochladen. Dieses ist dann das Tüpfelchen auf dem i oder auch das „plus 1-Bild“, das die persönliche Ehrengalerie komplettiert, wie Birgit Donker im Ausstellungs-Booklet schreibt: „Es ist das Foto, das bewusst oder unbewusst nicht ausgewählt wurde, das nicht bekannt war und nicht genügend wertgeschätzt wurde. Es ist das Foto, das du selbst bestimmst“.
Als das hundertste Bild wird es regelmäßig durch ein anderes ersetzt, das dann die 100 wieder vollmacht. Es könnten mehr sein, wenn man bedenkt, auf welchen Schatz man hier zurückgreifen kann. So verwaltet das Museum 175 Archive verstorbener und zeitgenössischer Fotografen mit knapp 5,7 Millionen Negativen, Kontaktbögen, Abzügen, Korrespondenzen und Notizbüchern, die angesichts der ständigen Gefährdung durch Hochwasser in den acht Meter höher gelegenen zehn Speichern des Hauses lagern. Damit besitzt das Nederlands Fotomuseum eigenen Angaben zufolge das größte Depot für Fotografie in Europa.
Statt 99 Luftballons 99 Fotografien
Für die Auswahl der Fotos hatte Birgit Donker seinerzeit eine Kommission aus fünf Experten berufen (unter anderem Frits Gierstberg). Ihr Auftrag war es, anhand bestimmter Kriterien 99 Fotos auszuwählen. Dabei kamen nur solche Bilder in Betracht, die zum einen bedeutungsvoll waren oder sind für die Entwicklung der niederländischen Fotografie. Zum anderen sollten sie eine künstlerische und gesellschaftliche Relevanz haben und schließlich nicht nur dem traditionellen Kanon verpflichtet sein. Auch Aspekte von Diversität und kolonialer Vergangenheit sollten mit einfließen. „Es handelt sich nicht nur um niederländische Fotografie“, sagt Gierstberg, „sondern um Fotogra
fie aus den Niederlanden.“Und weiter: „Dazu gehören auch niederländische Fotografen, die im Ausland gearbeitet haben, solche aus Curaçao und Surinam und solche, die in den Niederlanden gewohnt und gearbeitet haben. Werner Mantz zum Beispiel ist ein Fotograf aus Köln. Als Jude aber floh er 1938 nach Maastricht, weshalb auch er nun in der Galerie vertreten ist“.
Am Eingang zur Ausstellung passiert der Besucher zunächst eine riesige Projektionswand, auf der die Bilder der Ehrengalerie im Film vorbeiziehen und einen ersten Eindruck davon geben, was einen in der Ausstellung erwartet. Unter anderem wird man dort mit einer Reihe überdimensionierter Passfotos von Anne Frank konfrontiert, die sinnbildlich für den Holocaust stehen und an anderer Stelle in der Ausstellung noch einmal vorkommen. „Nicht der Fotograf ist es, der hier zählt – wir wissen gar nicht, wer die Bilder gemacht hat –, sondern das Foto und seine Aussage“, sagt Gierstberg.
Auch alle anderen Fotos haben ein Thema, sei es wissenschaftlicher, soziologischer oder experimenteller Natur: Hier die tote Giraffe von Paul Steenhuizen, die mit allen vieren von der Decke hängt (1896), dort das erste Farbbild (ca. 1912) von Jan Zeegers. Hier der Hungerwinter 1944/45 von Cas Oorthuys, dort Ed van der Elsken mit einer „Liebesgeschichte“aus dem Jahr 1951. Hier der niederländische Kult-Fußballer Johan Cruyff mit Kameraden, die 1967 für das Bild von Paul Huf wie für eine Modefotografie posieren, dort Chas Gerretsen mit seiner berühmten Aufnahme des chilenischen Generals Pinochet (1973). Hier Rineke Dijkstra mit ihrem Portrait eines Mädchens am Strand von 1992, dort eine junge Muslima von Céline van Balen (1998). Hier „Pferde in Not“von Marrum (2006), dort die digitale Großaufnahme „The Island
oft the Colorblind“in Pink, das Sanne van Wilden 2018 von Farbenblinden hat bearbeiten lassen.
Manche Bildplätze sind – trotz der ohnehin schon recht geringen Gesamtanzahl – gleich zwei- bis dreifach mit Cas Oorthuys, Ed van der Elsken oder Erwin Olaf belegt, was der Tatsache geschuldet ist, dass speziell sie für die niederländische Fotografie bildbestimmend waren. Aus konservatorischen Gründen sind alle
Bilder Faksimiles, da sie hier länger als drei Monate hängen. Drei Jahre, um genau zu sein. Für diese Dauer hat das Fotomuseum einen weiteren Teil des ehemaligen Hafengebäudes, das früher im Besitz der berühmten Holland-Amerika-Schifffahrtslinie war, angemietet und neugestaltet – in der Hoffnung auf viele internationale Besucher.
www.nederlandsfotomuseum.nl