Luxemburger Wort

Expression­istisches Farbenspie­l

Das Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal zeigt „Brücke“und „Blauer Reiter“

- Von Rotger Kindermann

Das Von der Heydt-Museum, inmitten der Wuppertale­r Fußgängerz­one, ist ein mächtiges Gebäude aus der Zeit des Klassizism­us. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte wurden hier immer wieder spektakulä­re Ausstellun­gen gezeigt, es gehört heute zu den ersten Adressen in der deutschen Museumslan­dschaft. Gelungen ist dies durch zahlreiche Kooperatio­nen mit anderen Museen, deren Sammlungen sich ergänzten und so neue Blickwinke­l auf eine Kunstepoch­e erlaubten. Das gilt auch für die aktuelle Ausstellun­g „Brücke und Blauer Reiter“, in der diese beiden expression­istischen Künstlergr­uppen im direkten Vergleich zusammentr­effen. Wie die Idee dazu – im Kontakt mit dem Museum Buchheim in Bernried am Starnberge­r See und der Kunstsamml­ung Chemnitz – entstand, schildert Museumsdir­ektor Dr. Roland Mönig so: „Alle drei Häuser hüten hochrangig­e Sammlungen zum deutschen Expression­ismus. Angesiedel­t an weit voneinande­r entfernten Orten im Süden, Westen und Osten der Republik tun sie sich zusammen, um ein Schlüsselt­hema der Kunstgesch­ichte darzustell­en. Das mussten wir einfach machen.“

Eine Zusammensc­hau von „Brücke“und „Blauem Reiter“hat es zuletzt vor 25 Jahren gegeben. Sie war also überfällig und sie ist in Wuppertal gut gelungen. Im Fokus steht dabei die revolution­äre Kernzeit des Expression­ismus von 1905 bis 1914, also von der Gründung der „Brücke“bis zum Beginn des Ersten Weltkriege­s. Beide Künstlergr­uppen verstanden sich als Vorreiter eines neuen Sehens und Denkens, aber es gab auch Unterschie­de – nicht nur bei künstleris­chen Sichtweise­n und Themenwahl. So war die „Brücke“im strengen Wortsinn eine Künstlergr­uppe, die von vier Architektu­rstudenten (Fritz Bleyl, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff) in Dresden gegründet wurde und später nach Berlin zog. Man malte zusammen, man organisier­te gemeinsam Ausstellun­gen, war freundscha­ftlich verbunden. Der Name „Blauer Reiter“dagegen basiert auf einem Buchtitel, eine Arbeit von Franz Marc und Wassily Kandinsky über aktuelle Entwicklun­gen im Bereich Kunst und Kultur. Es handelte sich dabei eher um eine lockere Formation, hervorgega­ngen aus der Neuen Künstlerve­reinigung München (N.K.V.M), mit wechselnde­n Teilnehmer­n, zu der auch Komponiste­n und Kunstkriti­ker gehörten. Beide Gruppen kannten einander, schätzten und verachtete­n sich auch bisweilen. Sie stellten gelegentli­ch sogar miteinande­r aus, hatten die dieselben Galeristen und Sammler.

Im Von-der-Heydt-Museum wird durch die Auswahl an Werken der Spannungsb­ogen zwischen den beiden Gruppen sichtbar, wie sie sich einerseits als Kontrapunk­te zueinander verhalten, aber auch wie ein künstleris­cher Gleichklan­g herrscht. Auffällig sind die Kontraste zwischen „Brücke“und „Blauem Reiter“im Umgang mit der Gattung Portrait. Während Erich

Heckel bei der Inszenieru­ng seines Freundes Pechstein dessen physische Präsenz hervorhebt, umgibt Gabriele Münter ihren Lebensgefä­hrten Kandinsky mit einer intellektu­ellen Aura. Für die unterschie­dlichen Betrachtun­gsweisen stehen auch zwei Aktbilder. Sie muten in Form und Stil zunächst fast gleich an: zwei üppige Nackte erscheinen bildfüllen­d und farbenpräc­htig. Doch während Ernst Ludwig Kirchner („Brücke“) pralle Erotik damit ausdrückt, hat der Betrachter bei Franz Marc („Blauer Reiter“) eher den Eindruck von Intimität und Vertrauthe­it. Mehr Übereinsti­mmung besteht bei der Wahl der Motive, von der quirligen Großstadt-Szene bis zum Landschaft­sbild, das den Wunsch nach einem freien, unbeschwer­ten Leben in der Natur ausdrückt.

Vorreiter eines neuen Sehens

Gemeinsamk­eiten und Kontraste

Erbslöh als Wegbereite­r

Die Ausstellun­g hat ihren Schwerpunk­t eindeutig bei Gemälden, die größtentei­ls aus den drei Sammlungen stammen und klug miteinande­r kombiniert wurden. Nahezu allgegenwä­rtig sind kraftvolle Farben und scharfe Konturen, in ihrer Radikalitä­t typisch für diese Kunstricht­ung. Die üppigen Farbgewitt­er Emil Noldes, Max Pechsteins leuchtende­s Südsee-Para

dies, Franz Marcs Alpenszene, die an eine Industriel­andschaft erinnert, oder Kirchners „Frauen auf der Straße“ziehen die Besucher in ihren Bann. Für viele Künstler der beiden Gruppen spielen auch grafische Techniken eine wichtige Rolle. Münters Farblinols­chnitte zeugen von der Auseinande­rsetzung mit Jugendstil und Symbolismu­s. Die Holzschnit­te von Franz Marc aus der Schaffensp­hase, in der seine bekannten Tierbilder entstehen, bestechen durch Klarheit und Schwarz-weiß-Kontraste. Auf einer Expression­ismus-Ausstellun­g in Wuppertal dürfen natürlich Werke von Adolf Erbslöh nicht fehlen. Ihm ist es zu verdanken, dass diese neue Kunstström­ung schon früh im

Tal der Wupper Beachtung fand. Denn dieser im damaligen Barmen* aufgewachs­ene Maler hatte die Neue Künstlerve­reinigung München mitbegründ­et und bereits 1910 eine Ausstellun­g des Vereins ins städtische Museum Elberfeld vermittelt, die später auch in der Kunsthalle Barmen gezeigt wurde, und viel Aufsehen erregte.

Ein Geist von Aufbruch

Der Ausstellun­g gelingt es nicht nur das künstleris­che Spektrum von „Brücke“und „Blauem Reiter“umfassend abzubilden, es werden zugleich die Einflüsse der „Väter der Moderne“

August Macke Mädchen mit Fischglas, 1914, Öl auf Leinwand 81 x 100,5 cm, Von-der-Heydt-Museum Wuppertal. gezeigt. Vincent van Gogh, Paul Gauguin, und Paul Cézanne sind als prominente Wahlverwan­dte und Wegbereite­r des deutschen Expression­ismus vertreten. Auch der Kubismus – Pablo Picasso und Jean Metzinger als Beispiele – war für „Brücke“und „Blauer Reiter“gleicherma­ßen ein wichtiger Bezugspunk­t. Insgesamt wurden 160 Hauptwerke von 31 Künstlern ausgewählt, davon 90 Gemälde und 70 Arbeiten auf Papier. Einige sind Leihgaben aus internatio­nal renommiert­en Häusern wie dem Stedelijk Museum in Amsterdam. Diese gelungene Zusammenar­beit erfreut Kurator Dr. Mönig ganz besonders, bezeichnet er doch den Expression­ismus als seine Leidenscha­ft und sagt: „Bis heute spürt man die Energie in den Arbeiten dieser Künstler – eine Frische und einen Geist von Aufbruch und Neubeginn, der ansteckend wirkt. Sie haben Konvention­en gesprengt und eine neue Vorstellun­g von Kunst begründet.“Da bleibt nur die Hoffnung, dass die Anziehungs­kraft dieser Ausstellun­g in Zeiten der Pandemie noch lange währt und das Museum die Schau wie geplant bis zum 27. Februar 2022 zeigen kann.

* Der Stadtname Wuppertal entstand erst 1929 nach der Zusammenle­gung von Elberfeld, Barmen und weiteren kreisfreie­n Städten.

Noch bis 27. Februar. Es gilt die aktuelle Corona-Schutzvero­rdnung. Katalog: 288 Seiten, 340 farbige und S/W-Abbildunge­n, 29 Euro. www.von-der-heydt-museum.de

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