Fragwürdiges Jubiläum
Vor 100 Jahren wurde Irland geteilt
Eine Insel von außergewöhnlicher Schönheit zieht besonders naturverbundene Menschen in ihren Bann: Irland. Vom wilden Meer umspülte Klippen, auf saftigen Wiesen weidende Schafe, von mächtigen Hecken und Bäumen gesäumte Straßen und Wege sowie Dörfer und Städte, die vielfach eine urige Atmosphäre widerspiegeln – Realität, keine Klischees. Auch die Geschichte der grünen Insel ist reich an abwechslungsreichen Epochen, wo brutale Auseinandersetzungen für viel Leid sorgten. Nicht wenige Menschen verließen ihre Heimat, um, getrieben von wirtschaftlicher Misere, sich eine neue Existenz in anderen Ländern aufzubauen.
Irland löste in all den Jahrhunderten eine Sogwirkung auf fremde Eroberer aus. Geprägt ist die Kultur des Landes insbesondere durch die Einwanderung der Kelten (oder Gälen), die bereits ab dem 6. Jahrhundert vor Christus die Insel besiedelten.
Irland war in mehrere Königreiche unterteilt. In Tara residierte der Hochkönig nach dem 5. Jahrhundert. Die Geschichte des Landes ist aber vor allem eng mit dem Namen des heiligen Patrick verbunden, obwohl wenige Informationen über ihn vorliegen. Es wird angenommen, dass er seine Missionstätigkeit Mitte des 5. Jahrhunderts aufnahm. Sein Einfluss auf die Christianisierung der Insel war beachtlich. Der dem heiligen Patrick gewidmete Nationalfeiertag wird noch heute über die Grenzen des Landes hinaus kräftig gefeiert. Irische Mönche reisten ebenfalls quer durch Europa, so unter anderem Willibrord, der zwar in Northumbrien geboren wurde, im Alter von 20 Jahren aber nach Irland zog und von dort aus bis nach Friesland missionierte und ebenfalls seine Spuren in Echternach hinterließ.
Zu den Invasoren zählten ebenfalls die vornehmlich aus Schweden, Dänemark und Norwegen stammenden Wikinger, die ihre wilden Raubzüge ab dem Ende des 8. Jahrhunderts begannen. Ihrem brutalen Morden konnten die Könige nur wenig Widerstand leisten. Etwa hundert Jahre später entstand in Dublin ein eigenständiges Königtum. Die Schlacht in Clontarf 1014 sollte das Ende der Wikingerherrschaft besiegeln. Im 11. Jahrhundert gab es über hundert Königreiche im Land, die heftige Kriege untereinander ausführten.
Die 1155 von Papst Hadrian IV. verfasste Bulle Laudabiliter erlaubte dem englischen König Heinrich II. die Eroberung Irlands. Seit er 1171 einen militärischen Vorstoß wagte, kam es immer wieder zu Übergriffen seitens der Engländer auf die Insel. Normannische Ritter legten 1169 den Grundstein für zwei verschiedene Kirchen im Land. Es sollte der Beginn eines langen Konflikts zwischen England und Irland sein und zur Teilung der Insel führen. Bis 1800 bot die 1494 eingeführte Poynings Law die Grundlage für die politischen Beziehungen zwischen Irland und England. Zwei Hauptgruppen schälten sich heraus: die gälischen Iren und die Engländer, auch Angloiren genannt. Erste Bemühungen, die englische Lebensweise auf der Insel zu promovieren kannten nicht den erhofften Erfolg. Trotz mehrfachen Versuchen konnten die Normannen nicht vertrieben werden.
1534 erklärte sich der englische König Heinrich VIII. zum Supreme Head of the Church of England. Und zwei Jahre später wurde er vom Dubliner Parlament zum Supreme Head of the Church of Ireland erkoren, die bis 1869 Staatskirche blieb. Beflügelt von diesen Titeln setzte Heinrich seine Version des Protestantismus in England und Irland durch. Mit der Abschaffung von Abteien, Nonnen- und Mönchsklöstern verpasste er seiner neuen Glaubenspolitik eine wichtige Symbolik. 1541 gründete er das Königreich Irland und gab sich selbst den Titel König von Irland.
Die Iren versuchten mehrmals erfolglos sich von der ungeliebten Tudor-Herrschaft loszulösen. Unter Königin Elisabeth I. (1558-1603) flammten regelmäßig Aufstände in Irland auf, vor allem in der Provinz Ulster. Die Iren wehrten sich gegen die Anglisierungsbemühungen und verteidigten das Gälentum sowie die katholische Religion. Mit der sogenannten Plantation sollten protestantische Neusiedler aus England und Schottland den Norden Irlands bevölkern. Nach einem neunjährigen Krieg, der durch den Treaty of Mellifont im März 1603 beendet wurde, gewannen die Engländer erstmals die gesamte Herrschaft über die Insel. Die englischen Könige Jakob I. und sein Sohn Karl I. enteigneten vermehrt Land der Katholiken. Jahrhundertelange Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten sollten die Folge sein. 641 besaßen die Katholiken noch 59 Prozent des Landes, 1703 war ihr Anteil auf 14 Prozent gesunken.
Nationalheiliger St. Patrick 1690: Schlacht am Fluss Boyne
1649 führte Oliver Cromwell einen erbarmungslosen Feldzug gegen die Iren, der 1652 mit dem Act of Settlement endigte: Er requirierte über 11 Millionen Morgen Land, das sich noch in katholischem Besitz befand. Hoffnung unter den Katholiken keimte auf, als Jakob II., der zur Römischen Kirche konvertiert war, 1685 den englischen Thron bestieg. Doch das Parlament und die Armee widersetzten sich dem König, woraufhin dieser die Flucht nach Frankreich ergriff. Sein 1650 geborener Schwiegersohn Wilhelm III. folgte ihm auf dem Thron.
Nicht nur englische Protestanten und katholische Iren standen sich fortan gegenüber – der Krieg entwickelte sich ebenfalls zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen den Truppen des französischen Königs Ludwig XIV. und den Truppen von König Wilhelm von Oranien. Der Kampf um die englische Krone durch zwei rivalisierende Könige wurde durch die berühmte Schlacht am Fluss Boyne nordwestlich von Dublin am 1. Juli 1690 zugunsten des protestantischen „King Billy“entschieden. Die französische Armee spielte ihrerseits nur eine untergeordnete Rolle. Noch heute gilt dieser Tag – durch die Änderung des Kalenders im 18. Jahrhundert auf den 12. Juli verlegt – als wichtigster Feiertag des protestantischen Uls
ters. Auch drei Jahrhunderte später hat der mythische Sieg nichts an Ausstrahlung verloren: König Wilhelm lebt! Bei den traditionellen Oraniermärschen werden die Fahnen mit seinem Konterfei stolz durch die Straßen getragen.
Durch ein Gesetz von 1691 war es den Katholiken nicht mehr möglich, eine Kandidatur für einen Sitz im Parlament zu stellen. Auch durften sie weder den Posten eines Countysheriffs noch eines Beamten bekleiden. Doch sie gaben sich nicht geschlagen. In der Mitte des 18. Jahrhunderts gelang Charles O’Connor von Belanagare die Gründung einer katholischen Partei. Die Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen fanden kein Ende und führten um 1795 zur Gründung des Oranierordens sowie der Aufstellung von protestantischen Bauernmilizen. Auch unter den Protestanten schälte sich eine Opposition gegen die britische Herrschaft heraus, die schließlich 1798 in eine blutige Rebellion mündete. Die Französische Revolution von 1789 spannte ihre Flügel bis nach Irland und beeinflusste das Aufkommen eines irischen Liberalismus. Französische Truppen konnten den Aufständischen allerdings nicht den nötigen Sukkurs leisten. Unter dem Impuls des englischen Premierministers William Pitt der Jüngere wurde am 1. Januar 1801 der Act of Union, eine politische Union zwischen Großbritannien und Irland, unterzeichnet. Ein Ende des irischen Parlaments und der Dubliner Exekutive war eingeläutet. Das United Kingdom of Great Britain and Ireland mit der neuen Fahne, dem Union Jack, war geboren. Doch spielte Irland in diesem Gefüge eher eine untergeordnete Rolle, ja musste quasi den Status einer Kolonie erdulden, was 1846 Earl Grey im Oberhaus zu der Aussage verleitete, die britische Präsenz sei eine „militärische Okkupation Irlands“. Irische Sprache und Geschichte fanden keinen Platz mehr im neuen Schulsystem.
Um den schwelenden Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken einzudämmen,kam es regelmäßig zu neuen Initiativen. Mit der Unterzeichnung einer Emanzipationsakte am 13. April 1829 erhielten die Katholiken verschiedene Zugeständnisse. In der nordirischen Stadt Belfast entstandenab dem 18. Jahrhundert zusehends getrennte katholische und protestantische Viertel. 1857 kam es zu antikatholischen Aufständen in der Stadt. Die Saat für spätere, bis in unsere Tage noch andauernde, oft brutale Auseinandersetzungen zwischen den beiden Konfessionen, zeitigte ihre volle Wirkung.
Daniel O’Connel, ein charismatischer Verfechter der katholischen Interessen, stärkte in der Zwischenzeit sein Profil als Führer des irischen Volkes. Es sollte aber nicht das Ende der Vertreibungen sein: Zwischen 1849 und 1854 musste über eine Viertelmillion Menschen ihre Besitztümer aufgeben. Zur gleichen Zeit wurde das Land von einer Hungersnot heimgesucht, die zu einer bedeutenden Auswanderungswelle, vornehmlich in die USA, führte. Die Bevölkerung verringerte sich um 25 %. Hervorzuheben ist zudem die im April 1886 vom britischen liberalen Premierminister William Eward Gladstone vorgelegte Home rule, die Irland eine Selbstverwaltung unter britischer Krone ermöglichen sollte. Bereits in erster Lesung wurde der von Charles Parnell unterstützte Vorschlag aber abgelehnt. Das Wirken beider Männer führte allerdings zu entscheidenden Verbesserungen im Land. Mehrere Gesetze setzten verschiedene Landreformen um. Die Wyndham-Landakte von 1903 sorgte für neue Momente in den Besitzverhältnissen, dies zu Lasten der irischen Grundherren.
Die Gründung der neuen politischen Organisation durch Arthur Griffith und Bulmer Hobson Sinn Féin („Wir selbst“) am 28. November 1905 bewirkte bedeutende Veränderungen auf der Insel. Sinn Féin sah die Lösung der Inselproblematik im Rücktritt aus dem imperialen Parlament. Nach mehreren Spaltungen ist die der IRA (Irish Republican Army) nahe stehende Organisation heute noch stark im Parteienspektrum Irlands verankert.
Winston Churchill, damaliger liberaler Innenminister in Großbritannien, stattete Belfast im Februar 1912 einen Besuch ab, wo er allerdings nicht mit offenen Händen empfangen wurde. Ganz im Gegenteil. Ihm wurde der Zugang zu einer Veranstaltungshalle verwehrt und er musste die Stadt sogar auf einem geheimen Weg verlassen. Churchill vertrat die Idee, Ulster im Home-Rule auszuklammern, was eine politische Teilung Irlands zur Folge gehabt hätte. In Ulster bekämpften allerdings die Protestanten vehement das Vorhaben einer irischen Selbstregierung. Die Polarisation zwischen Nationalisten und Unionisten gewann zusehends an Bedeutung. Doch nur in Ulster schien ein unionistischer Separatismus möglich. Am Ostermontag, den 24. April 1916 brach eine Revolution aus. Nach dem Ersten Weltkrieg, der zwischenzeitlich für eine Unterbrechung gesorgt hatte, flammten die Auseinandersetzungen wieder auf. Das Ulster Unionist Council sprach sich im Juni 1916 für eine Teilung Irlands aus. Am 21. Januar 1919 sprang der Guerillakrieg zwischen Großbritannien und der IRA nach Ulster über und sollte sich in der Folge zu einem grausamen konfessionellen Konflikt entwickeln. Mit dem Bloody Sunday am 21. November 1920 erreichte die Eskalation einen ihrer vorläufigen Höhepunkte. Im Anglo-Irish War kamen insgesamt 2000 britische Soldaten und 752 IRA-Männer ums Leben. Der Government of Ireland Act, wie die endgültige Fassung des Home-Rule-Gesetzes vom 23. Dezember 1920 hieß befürwortete die Teilung Irlands. Mit der Eröffnung des Parlamentes in Belfast am 22. Juni 1921 durch König Georg V. und der Wahl von James Craig als Premierminister wurde der Grundstein des klar von den Unionisten dominierten nordirischen Staatswesens gelegt. Die katholisch-nationalistische Minderheit wurde bestenfalls geduldet und verweigerte die Anerkennung der Legitimation Nordirlands. Ihr Kampf galt weiterhin der Vereinigung mit dem Freistaat im Süden.
Die definitive Teilung Irlands am 6. Dezember 1921 mit der Schaffung des Irish Free State, gebildet von 26 Grafschaften, führte zu keiner befriedigenden Lösung. Die Differenzen zwischen den beiden Staaten mehrten sich und ein Bürgerkrieg war die Folge. Und Nordirland wurde in der Folge von brutalen Terroranschlägen heimgesucht. Der EU-Mitgliedstaat Irland lebt jetzt in Frieden, doch in Nordirland schwebt noch immer das Damoklesschwert über dem Land. Die Wurzeln des Übels reichen Jahrhunderte zurück.
Bibliografie: Kinealy Christine, Geschichte Irlands, Magnus Verlag, Essen, 2006 ; Kinross John, The Boyne and Aughrim, Interprint Limited, Malta, 1998
Einflussreiche Sinn Féin