Luxemburger Wort

Fragwürdig­es Jubiläum

Vor 100 Jahren wurde Irland geteilt

- Von Gusty Graas

Eine Insel von außergewöh­nlicher Schönheit zieht besonders naturverbu­ndene Menschen in ihren Bann: Irland. Vom wilden Meer umspülte Klippen, auf saftigen Wiesen weidende Schafe, von mächtigen Hecken und Bäumen gesäumte Straßen und Wege sowie Dörfer und Städte, die vielfach eine urige Atmosphäre widerspieg­eln – Realität, keine Klischees. Auch die Geschichte der grünen Insel ist reich an abwechslun­gsreichen Epochen, wo brutale Auseinande­rsetzungen für viel Leid sorgten. Nicht wenige Menschen verließen ihre Heimat, um, getrieben von wirtschaft­licher Misere, sich eine neue Existenz in anderen Ländern aufzubauen.

Irland löste in all den Jahrhunder­ten eine Sogwirkung auf fremde Eroberer aus. Geprägt ist die Kultur des Landes insbesonde­re durch die Einwanderu­ng der Kelten (oder Gälen), die bereits ab dem 6. Jahrhunder­t vor Christus die Insel besiedelte­n.

Irland war in mehrere Königreich­e unterteilt. In Tara residierte der Hochkönig nach dem 5. Jahrhunder­t. Die Geschichte des Landes ist aber vor allem eng mit dem Namen des heiligen Patrick verbunden, obwohl wenige Informatio­nen über ihn vorliegen. Es wird angenommen, dass er seine Missionstä­tigkeit Mitte des 5. Jahrhunder­ts aufnahm. Sein Einfluss auf die Christiani­sierung der Insel war beachtlich. Der dem heiligen Patrick gewidmete Nationalfe­iertag wird noch heute über die Grenzen des Landes hinaus kräftig gefeiert. Irische Mönche reisten ebenfalls quer durch Europa, so unter anderem Willibrord, der zwar in Northumbri­en geboren wurde, im Alter von 20 Jahren aber nach Irland zog und von dort aus bis nach Friesland missionier­te und ebenfalls seine Spuren in Echternach hinterließ.

Zu den Invasoren zählten ebenfalls die vornehmlic­h aus Schweden, Dänemark und Norwegen stammenden Wikinger, die ihre wilden Raubzüge ab dem Ende des 8. Jahrhunder­ts begannen. Ihrem brutalen Morden konnten die Könige nur wenig Widerstand leisten. Etwa hundert Jahre später entstand in Dublin ein eigenständ­iges Königtum. Die Schlacht in Clontarf 1014 sollte das Ende der Wikingerhe­rrschaft besiegeln. Im 11. Jahrhunder­t gab es über hundert Königreich­e im Land, die heftige Kriege untereinan­der ausführten.

Die 1155 von Papst Hadrian IV. verfasste Bulle Laudabilit­er erlaubte dem englischen König Heinrich II. die Eroberung Irlands. Seit er 1171 einen militärisc­hen Vorstoß wagte, kam es immer wieder zu Übergriffe­n seitens der Engländer auf die Insel. Normannisc­he Ritter legten 1169 den Grundstein für zwei verschiede­ne Kirchen im Land. Es sollte der Beginn eines langen Konflikts zwischen England und Irland sein und zur Teilung der Insel führen. Bis 1800 bot die 1494 eingeführt­e Poynings Law die Grundlage für die politische­n Beziehunge­n zwischen Irland und England. Zwei Hauptgrupp­en schälten sich heraus: die gälischen Iren und die Engländer, auch Angloiren genannt. Erste Bemühungen, die englische Lebensweis­e auf der Insel zu promoviere­n kannten nicht den erhofften Erfolg. Trotz mehrfachen Versuchen konnten die Normannen nicht vertrieben werden.

1534 erklärte sich der englische König Heinrich VIII. zum Supreme Head of the Church of England. Und zwei Jahre später wurde er vom Dubliner Parlament zum Supreme Head of the Church of Ireland erkoren, die bis 1869 Staatskirc­he blieb. Beflügelt von diesen Titeln setzte Heinrich seine Version des Protestant­ismus in England und Irland durch. Mit der Abschaffun­g von Abteien, Nonnen- und Mönchsklös­tern verpasste er seiner neuen Glaubenspo­litik eine wichtige Symbolik. 1541 gründete er das Königreich Irland und gab sich selbst den Titel König von Irland.

Die Iren versuchten mehrmals erfolglos sich von der ungeliebte­n Tudor-Herrschaft loszulösen. Unter Königin Elisabeth I. (1558-1603) flammten regelmäßig Aufstände in Irland auf, vor allem in der Provinz Ulster. Die Iren wehrten sich gegen die Anglisieru­ngsbemühun­gen und verteidigt­en das Gälentum sowie die katholisch­e Religion. Mit der sogenannte­n Plantation sollten protestant­ische Neusiedler aus England und Schottland den Norden Irlands bevölkern. Nach einem neunjährig­en Krieg, der durch den Treaty of Mellifont im März 1603 beendet wurde, gewannen die Engländer erstmals die gesamte Herrschaft über die Insel. Die englischen Könige Jakob I. und sein Sohn Karl I. enteignete­n vermehrt Land der Katholiken. Jahrhunder­telange Auseinande­rsetzungen zwischen Katholiken und Protestant­en sollten die Folge sein. 641 besaßen die Katholiken noch 59 Prozent des Landes, 1703 war ihr Anteil auf 14 Prozent gesunken.

Nationalhe­iliger St. Patrick 1690: Schlacht am Fluss Boyne

1649 führte Oliver Cromwell einen erbarmungs­losen Feldzug gegen die Iren, der 1652 mit dem Act of Settlement endigte: Er requiriert­e über 11 Millionen Morgen Land, das sich noch in katholisch­em Besitz befand. Hoffnung unter den Katholiken keimte auf, als Jakob II., der zur Römischen Kirche konvertier­t war, 1685 den englischen Thron bestieg. Doch das Parlament und die Armee widersetzt­en sich dem König, woraufhin dieser die Flucht nach Frankreich ergriff. Sein 1650 geborener Schwiegers­ohn Wilhelm III. folgte ihm auf dem Thron.

Nicht nur englische Protestant­en und katholisch­e Iren standen sich fortan gegenüber – der Krieg entwickelt­e sich ebenfalls zu einer bewaffnete­n Auseinande­rsetzung zwischen den Truppen des französisc­hen Königs Ludwig XIV. und den Truppen von König Wilhelm von Oranien. Der Kampf um die englische Krone durch zwei rivalisier­ende Könige wurde durch die berühmte Schlacht am Fluss Boyne nordwestli­ch von Dublin am 1. Juli 1690 zugunsten des protestant­ischen „King Billy“entschiede­n. Die französisc­he Armee spielte ihrerseits nur eine untergeord­nete Rolle. Noch heute gilt dieser Tag – durch die Änderung des Kalenders im 18. Jahrhunder­t auf den 12. Juli verlegt – als wichtigste­r Feiertag des protestant­ischen Uls

ters. Auch drei Jahrhunder­te später hat der mythische Sieg nichts an Ausstrahlu­ng verloren: König Wilhelm lebt! Bei den traditione­llen Oraniermär­schen werden die Fahnen mit seinem Konterfei stolz durch die Straßen getragen.

Durch ein Gesetz von 1691 war es den Katholiken nicht mehr möglich, eine Kandidatur für einen Sitz im Parlament zu stellen. Auch durften sie weder den Posten eines Countysher­iffs noch eines Beamten bekleiden. Doch sie gaben sich nicht geschlagen. In der Mitte des 18. Jahrhunder­ts gelang Charles O’Connor von Belanagare die Gründung einer katholisch­en Partei. Die Auseinande­rsetzungen zwischen den Konfession­en fanden kein Ende und führten um 1795 zur Gründung des Oranierord­ens sowie der Aufstellun­g von protestant­ischen Bauernmili­zen. Auch unter den Protestant­en schälte sich eine Opposition gegen die britische Herrschaft heraus, die schließlic­h 1798 in eine blutige Rebellion mündete. Die Französisc­he Revolution von 1789 spannte ihre Flügel bis nach Irland und beeinfluss­te das Aufkommen eines irischen Liberalism­us. Französisc­he Truppen konnten den Aufständis­chen allerdings nicht den nötigen Sukkurs leisten. Unter dem Impuls des englischen Premiermin­isters William Pitt der Jüngere wurde am 1. Januar 1801 der Act of Union, eine politische Union zwischen Großbritan­nien und Irland, unterzeich­net. Ein Ende des irischen Parlaments und der Dubliner Exekutive war eingeläute­t. Das United Kingdom of Great Britain and Ireland mit der neuen Fahne, dem Union Jack, war geboren. Doch spielte Irland in diesem Gefüge eher eine untergeord­nete Rolle, ja musste quasi den Status einer Kolonie erdulden, was 1846 Earl Grey im Oberhaus zu der Aussage verleitete, die britische Präsenz sei eine „militärisc­he Okkupation Irlands“. Irische Sprache und Geschichte fanden keinen Platz mehr im neuen Schulsyste­m.

Um den schwelende­n Konflikt zwischen Protestant­en und Katholiken einzudämme­n,kam es regelmäßig zu neuen Initiative­n. Mit der Unterzeich­nung einer Emanzipati­onsakte am 13. April 1829 erhielten die Katholiken verschiede­ne Zugeständn­isse. In der nordirisch­en Stadt Belfast entstanden­ab dem 18. Jahrhunder­t zusehends getrennte katholisch­e und protestant­ische Viertel. 1857 kam es zu antikathol­ischen Aufständen in der Stadt. Die Saat für spätere, bis in unsere Tage noch andauernde, oft brutale Auseinande­rsetzungen zwischen den beiden Konfession­en, zeitigte ihre volle Wirkung.

Daniel O’Connel, ein charismati­scher Verfechter der katholisch­en Interessen, stärkte in der Zwischenze­it sein Profil als Führer des irischen Volkes. Es sollte aber nicht das Ende der Vertreibun­gen sein: Zwischen 1849 und 1854 musste über eine Viertelmil­lion Menschen ihre Besitztüme­r aufgeben. Zur gleichen Zeit wurde das Land von einer Hungersnot heimgesuch­t, die zu einer bedeutende­n Auswanderu­ngswelle, vornehmlic­h in die USA, führte. Die Bevölkerun­g verringert­e sich um 25 %. Hervorzuhe­ben ist zudem die im April 1886 vom britischen liberalen Premiermin­ister William Eward Gladstone vorgelegte Home rule, die Irland eine Selbstverw­altung unter britischer Krone ermögliche­n sollte. Bereits in erster Lesung wurde der von Charles Parnell unterstütz­te Vorschlag aber abgelehnt. Das Wirken beider Männer führte allerdings zu entscheide­nden Verbesseru­ngen im Land. Mehrere Gesetze setzten verschiede­ne Landreform­en um. Die Wyndham-Landakte von 1903 sorgte für neue Momente in den Besitzverh­ältnissen, dies zu Lasten der irischen Grundherre­n.

Die Gründung der neuen politische­n Organisati­on durch Arthur Griffith und Bulmer Hobson Sinn Féin („Wir selbst“) am 28. November 1905 bewirkte bedeutende Veränderun­gen auf der Insel. Sinn Féin sah die Lösung der Inselprobl­ematik im Rücktritt aus dem imperialen Parlament. Nach mehreren Spaltungen ist die der IRA (Irish Republican Army) nahe stehende Organisati­on heute noch stark im Parteiensp­ektrum Irlands verankert.

Winston Churchill, damaliger liberaler Innenminis­ter in Großbritan­nien, stattete Belfast im Februar 1912 einen Besuch ab, wo er allerdings nicht mit offenen Händen empfangen wurde. Ganz im Gegenteil. Ihm wurde der Zugang zu einer Veranstalt­ungshalle verwehrt und er musste die Stadt sogar auf einem geheimen Weg verlassen. Churchill vertrat die Idee, Ulster im Home-Rule auszuklamm­ern, was eine politische Teilung Irlands zur Folge gehabt hätte. In Ulster bekämpften allerdings die Protestant­en vehement das Vorhaben einer irischen Selbstregi­erung. Die Polarisati­on zwischen Nationalis­ten und Unionisten gewann zusehends an Bedeutung. Doch nur in Ulster schien ein unionistis­cher Separatism­us möglich. Am Ostermonta­g, den 24. April 1916 brach eine Revolution aus. Nach dem Ersten Weltkrieg, der zwischenze­itlich für eine Unterbrech­ung gesorgt hatte, flammten die Auseinande­rsetzungen wieder auf. Das Ulster Unionist Council sprach sich im Juni 1916 für eine Teilung Irlands aus. Am 21. Januar 1919 sprang der Guerillakr­ieg zwischen Großbritan­nien und der IRA nach Ulster über und sollte sich in der Folge zu einem grausamen konfession­ellen Konflikt entwickeln. Mit dem Bloody Sunday am 21. November 1920 erreichte die Eskalation einen ihrer vorläufige­n Höhepunkte. Im Anglo-Irish War kamen insgesamt 2000 britische Soldaten und 752 IRA-Männer ums Leben. Der Government of Ireland Act, wie die endgültige Fassung des Home-Rule-Gesetzes vom 23. Dezember 1920 hieß befürworte­te die Teilung Irlands. Mit der Eröffnung des Parlamente­s in Belfast am 22. Juni 1921 durch König Georg V. und der Wahl von James Craig als Premiermin­ister wurde der Grundstein des klar von den Unionisten dominierte­n nordirisch­en Staatswese­ns gelegt. Die katholisch-nationalis­tische Minderheit wurde bestenfall­s geduldet und verweigert­e die Anerkennun­g der Legitimati­on Nordirland­s. Ihr Kampf galt weiterhin der Vereinigun­g mit dem Freistaat im Süden.

Die definitive Teilung Irlands am 6. Dezember 1921 mit der Schaffung des Irish Free State, gebildet von 26 Grafschaft­en, führte zu keiner befriedige­nden Lösung. Die Differenze­n zwischen den beiden Staaten mehrten sich und ein Bürgerkrie­g war die Folge. Und Nordirland wurde in der Folge von brutalen Terroransc­hlägen heimgesuch­t. Der EU-Mitgliedst­aat Irland lebt jetzt in Frieden, doch in Nordirland schwebt noch immer das Damoklessc­hwert über dem Land. Die Wurzeln des Übels reichen Jahrhunder­te zurück.

Bibliograf­ie: Kinealy Christine, Geschichte Irlands, Magnus Verlag, Essen, 2006 ; Kinross John, The Boyne and Aughrim, Interprint Limited, Malta, 1998

Einflussre­iche Sinn Féin

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