Halb so wild
36
„Ist dir eine schwarze Katze aufgefallen, die manchmal hinter der Rezeption lag?“
Ich nicke.
„Das war Minka. Letzte Nacht ist sie gestorben.“
„Das tut mir leid. Woran?“„Vermutlich Altersschwäche. Sie war einundzwanzig. Also steinalt.“
„Okay“, sage ich. „Was hat die Katze von Witwe Pohl mit dem Brand eines Ausflugsdampfers zu tun?“
„Der plötzliche Tod von Minka hat Helga eiskalt erwischt. Sie war heute Morgen total durch den Wind und wusste nicht, wohin mit der toten Katze. Sie wollte das Tier weder irgendwo verscharren noch in die Kleintierverwertung bringen. Helga tat mir einfach leid. Also habe ich ihr angeboten, mich um die Sache zu kümmern.“
„Es bleibt bei der Frage: Was hat das mit dem Brand eines Ausflugsdampfers zu tun?“
Magnus wiegt den Kopf hin und her, als müsste er überlegen, wie er es mir schonend beibringen kann. „Weißt du, es gibt da so ein altes Ritual bei den Wikingern. Man legt den Verstorbenen auf sein Schiff und versorgt ihn mit allem, was er im Jenseits benötigt. Dann steckt man das Schiff in Brand und schickt es lodernd auf die offene See hinaus.“
„Oh mein Gott. Du hast Witwe Pohls Katze mit einem brennenden Ausflugsdampfer ins Jenseits befördert?“, frage ich fassungslos.
„Aber nein! Wo denkst du hin?“, erwidert Magnus. „Das mit dem Dampfer war ein Unfall. Ich wollte Minka mit ihrem eigenen Boot ins Totenreich schicken. Also habe ich ihr ein Kanu gekauft, damit sie ihren Kratzbaum und ihr Lieblingsspielzeug mitnehmen kann. Außerdem…“
Er unterbricht seine Ausführungen, weil ich hektisch nach meiner Geldbörse suche, um zu überprüfen, ob Magnus mir schon wieder die Kreditkarte geklaut hat. Ich finde die Karte wohlbehalten in ihrem Fach, entspanne mich und lächele sonnig. „Darf ich fragen, wie du das Kanu bezahlt hast?“
Magnus zieht eine weitere Kreditkarte aus seiner Jeans, die meiner verräterisch ähnlich sieht.
„Mit der Partnerkarte“, sagt er, während mein Lächeln erstirbt. „Wir beide sind ja schließlich Partner, und da dachte ich, es wäre okay, wenn ich die Partnerkarte für mich bestelle. Dann musst du mir nicht immer deine eigene Karte leihen. Und das Gute ist: Wenn ich mit der Partnerkarte bezahle, dann kriegst du die Bonuspunkte. Für die Expresslieferung meiner neuen Karte hast du auch schon Bonuspunkte gekriegt. Ist das nicht toll?“
Er sieht mich an, als müsste ich ihm dafür auf die Schulter klopfen, dass er auf meine Kosten Katzen bestattet und dabei Bonuspunkte sammelt.
„Du hast also ein nagelneues Kanu gekauft, um es kurz danach anzuzünden“, fasse ich zusammen und fühle mich auf einmal sehr, sehr müde.
„Ich habe auch zwei warme Mohair-Decken gekauft“, sagt Magnus. „Falls es Minka unterwegs kalt werden sollte. Und hundert Gläschen von ihrem speziellen Diätfutter als Wegzehrung. Das ist ein ganz besonderes Bioprodukt, extra gemacht für Katzen, die Probleme mit dem Harntrakt haben.“
„Und die tote Minka hat natürlich Probleme mit dem Harntrakt“, mutmaße ich, der Verzweiflung nahe.
Magnus nickt mit ernster Miene. „Leider ja. Aber mit dem Biofutter kriegt sie das bestimmt wieder in den Griff.“
„Alles klar. Und dieses KanuKatzenparadies hast du dann nach alter Wikingersitte angezündet.“Magnus nickt.
„Und Minkas lichterloh brennendes Kanu ist dann mit dem Ausflugsschiff kollidiert und hat es in Brand gesteckt“, fasse ich zusammen.
Magnus hebt entschuldigend die Arme. „Dieser Dampfer tauchte urplötzlich auf. Ich konnte doch nicht ahnen, dass auf diesem kleinen Fluss so viele Boote unterwegs sind. Außerdem dachte ich, es wäre ein Witz, dass es Schiffe gibt, die Leute im Kreis herumfahren. Was ist das für ein Quatsch?“
Ich seufze und lasse meinen Blick über den Ort des Geschehens schweifen. Mit seinem Versuch, einer Katze ins Totenreich zu helfen, hat Magnus einen Schaden angerichtet, der in die Millionen gehen dürfte. Und man wird garantiert mich dafür zur Verantwortung ziehen, wenn ich der Polizei reinen Wein einschenke. Völlig reizlos ist das nicht, denn man würde mir bestimmt sofort die Patenschaft für Magnus entziehen und mich in eine gemütliche Gefängniszelle stecken. Ich wäre also vor weiteren Überraschungen gefeit und hätte obendrein die Chance, eine Weile auf Staatskosten zu entspannen. Die Sache hat jedoch den großen Haken, dass mir eine Haftstrafe gerade überhaupt nicht in den Kram passt. Ich muss meiner Tochter helfen, will meine Ehe auf die Reihe kriegen und sollte nebenbei versuchen, meinen Job zu behalten.
Magnus ahnt, was mir durch den Kopf geht. „Niemand hat gesehen, was passiert ist, Adam. Wenn es dir gelingt, die Leute abzulenken, dann kann ich mich aus dem Staub machen, und keine Seele wird je von meinem kleinen Missgeschick erfahren.“
Ich sehe ihn verständnislos an. „Du nennst das hier ein kleines Missgeschick?“
„Ja“, erwidert Magnus selbstsicher. „Ich habe zwar diesen alten Kahn versenkt, aber es war ein Unfall. Außerdem wäre er vermutlich bald von ganz allein abgesoffen. Hast du gesehen, wie dieses Holz gebrannt hat? Das war so morsch wie die Knochen von der alten Freya.“
„Wer ist Freya?“
„Kennst du nicht“, sagt Magnus abwinkend. „Außerdem ist heute niemand zu Schaden gekommen. Ich finde, da kann man mal ein Auge zudrücken.“
Wenn ich sehe, dass gerade ein Großaufgebot an Feuerwehr und Polizei damit beschäftigt ist, die Wikingerbeerdigung einer Katze in den Griff zu kriegen, dann untertreibt mein isländischer Freund zwar gewaltig. Allerdings stimmt es tatsächlich, dass alle Beteiligten mit dem Schrecken davongekommen sind. Magnus muss sich also nicht die nächsten zweihundert Jahre lang Vorwürfe machen, weil er Menschenleben auf dem Gewissen hat.