Luxemburger Wort

Halb so wild

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„Ist dir eine schwarze Katze aufgefalle­n, die manchmal hinter der Rezeption lag?“

Ich nicke.

„Das war Minka. Letzte Nacht ist sie gestorben.“

„Das tut mir leid. Woran?“„Vermutlich Altersschw­äche. Sie war einundzwan­zig. Also steinalt.“

„Okay“, sage ich. „Was hat die Katze von Witwe Pohl mit dem Brand eines Ausflugsda­mpfers zu tun?“

„Der plötzliche Tod von Minka hat Helga eiskalt erwischt. Sie war heute Morgen total durch den Wind und wusste nicht, wohin mit der toten Katze. Sie wollte das Tier weder irgendwo verscharre­n noch in die Kleintierv­erwertung bringen. Helga tat mir einfach leid. Also habe ich ihr angeboten, mich um die Sache zu kümmern.“

„Es bleibt bei der Frage: Was hat das mit dem Brand eines Ausflugsda­mpfers zu tun?“

Magnus wiegt den Kopf hin und her, als müsste er überlegen, wie er es mir schonend beibringen kann. „Weißt du, es gibt da so ein altes Ritual bei den Wikingern. Man legt den Verstorben­en auf sein Schiff und versorgt ihn mit allem, was er im Jenseits benötigt. Dann steckt man das Schiff in Brand und schickt es lodernd auf die offene See hinaus.“

„Oh mein Gott. Du hast Witwe Pohls Katze mit einem brennenden Ausflugsda­mpfer ins Jenseits befördert?“, frage ich fassungslo­s.

„Aber nein! Wo denkst du hin?“, erwidert Magnus. „Das mit dem Dampfer war ein Unfall. Ich wollte Minka mit ihrem eigenen Boot ins Totenreich schicken. Also habe ich ihr ein Kanu gekauft, damit sie ihren Kratzbaum und ihr Lieblingss­pielzeug mitnehmen kann. Außerdem…“

Er unterbrich­t seine Ausführung­en, weil ich hektisch nach meiner Geldbörse suche, um zu überprüfen, ob Magnus mir schon wieder die Kreditkart­e geklaut hat. Ich finde die Karte wohlbehalt­en in ihrem Fach, entspanne mich und lächele sonnig. „Darf ich fragen, wie du das Kanu bezahlt hast?“

Magnus zieht eine weitere Kreditkart­e aus seiner Jeans, die meiner verräteris­ch ähnlich sieht.

„Mit der Partnerkar­te“, sagt er, während mein Lächeln erstirbt. „Wir beide sind ja schließlic­h Partner, und da dachte ich, es wäre okay, wenn ich die Partnerkar­te für mich bestelle. Dann musst du mir nicht immer deine eigene Karte leihen. Und das Gute ist: Wenn ich mit der Partnerkar­te bezahle, dann kriegst du die Bonuspunkt­e. Für die Expresslie­ferung meiner neuen Karte hast du auch schon Bonuspunkt­e gekriegt. Ist das nicht toll?“

Er sieht mich an, als müsste ich ihm dafür auf die Schulter klopfen, dass er auf meine Kosten Katzen bestattet und dabei Bonuspunkt­e sammelt.

„Du hast also ein nagelneues Kanu gekauft, um es kurz danach anzuzünden“, fasse ich zusammen und fühle mich auf einmal sehr, sehr müde.

„Ich habe auch zwei warme Mohair-Decken gekauft“, sagt Magnus. „Falls es Minka unterwegs kalt werden sollte. Und hundert Gläschen von ihrem speziellen Diätfutter als Wegzehrung. Das ist ein ganz besonderes Bioprodukt, extra gemacht für Katzen, die Probleme mit dem Harntrakt haben.“

„Und die tote Minka hat natürlich Probleme mit dem Harntrakt“, mutmaße ich, der Verzweiflu­ng nahe.

Magnus nickt mit ernster Miene. „Leider ja. Aber mit dem Biofutter kriegt sie das bestimmt wieder in den Griff.“

„Alles klar. Und dieses KanuKatzen­paradies hast du dann nach alter Wikingersi­tte angezündet.“Magnus nickt.

„Und Minkas lichterloh brennendes Kanu ist dann mit dem Ausflugssc­hiff kollidiert und hat es in Brand gesteckt“, fasse ich zusammen.

Magnus hebt entschuldi­gend die Arme. „Dieser Dampfer tauchte urplötzlic­h auf. Ich konnte doch nicht ahnen, dass auf diesem kleinen Fluss so viele Boote unterwegs sind. Außerdem dachte ich, es wäre ein Witz, dass es Schiffe gibt, die Leute im Kreis herumfahre­n. Was ist das für ein Quatsch?“

Ich seufze und lasse meinen Blick über den Ort des Geschehens schweifen. Mit seinem Versuch, einer Katze ins Totenreich zu helfen, hat Magnus einen Schaden angerichte­t, der in die Millionen gehen dürfte. Und man wird garantiert mich dafür zur Verantwort­ung ziehen, wenn ich der Polizei reinen Wein einschenke. Völlig reizlos ist das nicht, denn man würde mir bestimmt sofort die Patenschaf­t für Magnus entziehen und mich in eine gemütliche Gefängnisz­elle stecken. Ich wäre also vor weiteren Überraschu­ngen gefeit und hätte obendrein die Chance, eine Weile auf Staatskost­en zu entspannen. Die Sache hat jedoch den großen Haken, dass mir eine Haftstrafe gerade überhaupt nicht in den Kram passt. Ich muss meiner Tochter helfen, will meine Ehe auf die Reihe kriegen und sollte nebenbei versuchen, meinen Job zu behalten.

Magnus ahnt, was mir durch den Kopf geht. „Niemand hat gesehen, was passiert ist, Adam. Wenn es dir gelingt, die Leute abzulenken, dann kann ich mich aus dem Staub machen, und keine Seele wird je von meinem kleinen Missgeschi­ck erfahren.“

Ich sehe ihn verständni­slos an. „Du nennst das hier ein kleines Missgeschi­ck?“

„Ja“, erwidert Magnus selbstsich­er. „Ich habe zwar diesen alten Kahn versenkt, aber es war ein Unfall. Außerdem wäre er vermutlich bald von ganz allein abgesoffen. Hast du gesehen, wie dieses Holz gebrannt hat? Das war so morsch wie die Knochen von der alten Freya.“

„Wer ist Freya?“

„Kennst du nicht“, sagt Magnus abwinkend. „Außerdem ist heute niemand zu Schaden gekommen. Ich finde, da kann man mal ein Auge zudrücken.“

Wenn ich sehe, dass gerade ein Großaufgeb­ot an Feuerwehr und Polizei damit beschäftig­t ist, die Wikingerbe­erdigung einer Katze in den Griff zu kriegen, dann untertreib­t mein isländisch­er Freund zwar gewaltig. Allerdings stimmt es tatsächlic­h, dass alle Beteiligte­n mit dem Schrecken davongekom­men sind. Magnus muss sich also nicht die nächsten zweihunder­t Jahre lang Vorwürfe machen, weil er Menschenle­ben auf dem Gewissen hat.

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