Luxemburger Wort

„Es geht um Menschen“

Stefan Krebs und sein Team wollen mit einer Videoinsta­llation Zuschauer in die Geschichte des Minetts eintauchen lassen

- Interview: Sarah Schött

Wissenscha­ft den Menschen zugänglich machen – wer diese Leistung besonders gut erbringt, wird vom Fonds National de la Recherche mit einem Award im Bereich „Outstandin­g Promotion of Science to the Public“bedacht. In diesem Jahr geht die Auszeichnu­ng an Stefan Krebs und sein Team (Irene Portas, Daniel Richter, Lars Schönfelde­r, Julia Harnoncour­t, Viktoria Boretska, Jens van de Maele, Maxim Derian und Werner Tschacher) vom Luxembourg Centre for Contempora­ry and Digital History (C2DH). Im Rahmen des „Remixing Industrial Pasts“-Projekts von Esch2022 haben sie vom 26. September bis zum 23. Oktober 2020 auf der „Place de la Résistance“in Esch eine Geschichts­werkstatt organisier­t und dabei eine Videoinsta­llation über das Leben im Minett ausgestell­t. zeigen, welche Art von Geschichte­n auch erzählt werden können, welche für uns interessan­t sind – eben auch die „kleinen“Geschichte­n von Menschen, deren Leben vielleicht keine großen Spuren in den Archiven hinterlass­en hat. Und für die Geschichte der letzten Jahrzehnte braucht man Menschen, die erzählen, weil viele Dokumente in den Archiven wegen Datenschut­z noch nicht eingesehen werden dürfen.

Was genau erzählen Sie in der Videoinsta­llation?

SK: Die Idee von „Historical Voices from the Minett“war, sechs Microgesch­ichten von drei bis vier Minuten aus der Ich-Perspektiv­e eines historisch­en Charakters zu erzählen. Das erlaubte den Zuschauern, einfacher einzutauch­en in die Geschichte. Zwei der sechs sind tatsächlic­h historisch­e Charaktere. Léon Molitor, ein Arzt, der sich früh mit Umweltvers­chmutzung beschäftig­t hat, und Yvonne Useldinger als kommunisti­sche Widerstand­skämpferin. Bei den anderen mussten wir etwas erfinderis­cher sein. Wir haben uns orientiert an biografisc­hen Dokumenten und haben etwa das Leben eines Bergarbeit­ers aus den Versatzstü­cken mehrerer Bergarbeit­er zusammenge­baut, da wir eine einzige Lebensgesc­hichte mit all ihren Facetten nicht in den Archiven fanden.

Viktoria, Daniel, können Sie Ihre Figuren etwas näher beschreibe­n?

VB: Tony repräsenti­ert eine neue Generation von Fotografen im Süden Luxemburgs beziehungs­weise in Düdelingen. Anfang der 1980er-Jahre gab es einen Generation­enbruch. Die neue Generation der „Jungen Wölfe“war jung, inspiriert, dynamisch, mit neuen Ideen und Konzepten von Fotografie. Nicht nur technische Dinge standen im Fokus, sondern Kunst als Möglichkei­t für alle, sich zu äußern. Es war die Zeit des Niedergang­s der Industrie, Zerstörung von Hütten und Hochöfen. Dadurch entstand eine ganz neue Dynamik. Tony war damals 20 Jahre alt, revolution­är, cool. Das war auch beim Schreiben des Skripts eine Herausford­erung, es war eben nicht der typische wissenscha­ftliche Stil.

DR: Stefano ist italienisc­her Migrant. Er ist inspiriert von einer realen Person. Aber sein Leben ist rekonstrui­ert aus anderen Geschichte­n italienisc­her Migranten. Es geht um die Zeit von 1900 bis 1930, in der sehr viele italienisc­he Arbeiter umhergerei­st sind, um in Europa Arbeit zu finden. Gerade im Ersten Weltkrieg sind auch viele Italiener zurück nach Italien gegangen. Stefano war eine Ausnahme, weil er entschiede­n hatte, zu bleiben. Die Geschichte ist nun ein bisschen mehr eine „Erfolgsges­chichte“des sozialen Aufstiegs geworden, in dem Sinn, dass er entschiede­n hat, nicht weiter in den Minen zu arbeiten wie sein Vater, sondern ein Handwerk zu erlernen und dann einen Malerbetri­eb zu eröffnen.

Warum widmen Sie sich eher den „Randthemen“der Geschichte?

SK: Wir haben versucht, uns das Globalmott­o des Kulturjahr­es zu eigen zu machen: REMIX. Die Themen wurden zudem von den Supervisor­en im Projekt vorgegeben, fünf Professore­n, die die Teilprojek­te begleiten. Die Themen ergaben sich einerseits aus deren Expertise, anderersei­ts haben wir uns Gedanken gemacht, welche Aspekte der Industrieg­eschichte bisher weniger erzählt wurden.

Was bringen die Erkenntnis­se für die heutige Zeit?

SK: Das ist natürlich schwer zu beantworte­n. Ich denke, man kann sagen, dass wir betonen, wie vielfältig Leben und Wohnen im Minett ausgesehen haben. Dass neben dem Stahl, den Bergarbeit­ern und den eher wirtschaft­lichen Aspekten das Leben sehr vielgestal­tig war. Es ist immer schwierig, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Aber es gibt große Themen – die Wohnungskr­ise etwa –, die sich durch viele Jahrzehnte ziehen, und da kann man sich verschiede­ne Lösungsans­ätze anschauen.

VB: Die Identitäts­frage ist ja auch immer aktuell. Gerade in Luxemburg gibt es so viele Perspektiv­en.

Was bedeutet die Auszeichnu­ng für Sie?

DR: Ich freue mich natürlich darüber, dass das Projekt ausgezeich­net wurde. Für uns ist es eine Bestätigun­g, dass es wertvoll war, das Projekt gemacht zu haben.

VB: Es ist toll. Wir haben so viel ausprobier­t. Es war alles so neu und interessan­t. Wir haben viel Arbeit reingestec­kt. Und die Anerkennun­g durch den Preis ist wunderbar.

SK: Wir haben sehr kreativ unter recht schwierige­n Bedingunge­n während des Lockdowns und danach gearbeitet. Da sind wir natürlich froh, dass das, was wir daraus gemacht haben, öffentlich gewürdigt wird. Als Projektlei­ter freue ich mich natürlich auch für das Team, ein Preis hat einen wichtigen Stellenwer­t im Lebenslauf. Es ist auch eine Bestätigun­g dafür, dass wir als Team gut zusammenge­arbeitet haben. Und für das C2DH ist es eine schöne Anerkennun­g, dass wir dort ganz gute Arbeit leisten.

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Fotos: C2DH Für das Projekt haben die Forschende­n unter anderem mit Zeitzeugen gesprochen.
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Stefan Krebs
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Daniel Richter
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Viktoria Boretska

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