Luxemburger Wort

Etappensie­g für Nicolas Schmit

Richtlinie für gerechte Mindestlöh­ne – die EU-Staaten bringen heute die Pläne des Luxemburge­r EU-Kommissars voran

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

Nicolas Schmit (LSAP) hat heute einen Grund zum Feiern: Eines seiner Hauptanlie­gen als EU-Kommissar für Beschäftig­ung und Soziales wird nämlich eine große Hürde nehmen. Und zwar werden die 27 Regierunge­n aus den EUStaaten seinen Richtlinie­n-Vorschlag für „angemessen­e Mindestlöh­ne“in der EU bejahen.

„Wir brauchen in ganz Europa einen Mindestloh­n, der bei ungefähr 60 Prozent des nationalen Medianeink­ommens liegt“, hatten die europäisch­en Sozialdemo­kraten im EU-Wahlkampf von 2019 gefordert. Davon ist man mit Nicolas Schmits Vorschlag zwar noch weit entfernt, doch ist die Einigung heute in Brüssel dennoch ein bedeutende­r Schritt in Richtung eines sozialeren Europa, die keineswegs als ausgemacht galt.

Vor allem weil die vom LSAPPoliti­ker ausgearbei­tete Richtlinie genügend Sprengmate­rial enthielt, um im Rat der EU-Staaten zu scheitern. In vielen Teilen Europas ist der Vorschlag aus Brüssel äußerst kontrovers. Besonders in Skandinavi­en gibt es Widerstand.

Die dortige Skepsis beruht dabei auf der Tradition der Beziehunge­n zwischen Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn. In Ländern wie Schweden oder Dänemark regeln seit jeher Vertreter von Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern tarifliche Fragen einvernehm­lich – ohne jegliche Interventi­on der Politik. Dieses autoreguli­erte System führt in der Regel zu relativ hohen Löhnen ohne das Eingreifen des Staats durch einen gesetzlich­en Mindestloh­n. Obendrein werden die allermeist­en Arbeitnehm­er in Dänemark oder Schweden durch derartige Verhandlun­gen abgedeckt. In Stockholm oder Kopenhagen befürchtet man demnach, dass eine EU-Regel zum Thema Mindestlöh­ne dieses System durch die Hintertür schwächen könnte.

Diesen Ängsten wurde bei der Erarbeitun­g der Richtlinie und in den Verhandlun­gen unter Mitgliedst­aaten reichlich Rechnung getragen, sagen Insider. Demnach legt der Text sehr viel Wert auf den Respekt „nationaler Praktiken“. Staaten, die eine hohe Abdeckung von Tarifvertr­ägen vorweisen, sind von vielen Auflagen der Richtlinie quasi befreit.

Doch neben diesen prinzipiel­len Schwierigk­eiten gab es noch weiteren politische­n Widerstand.

In Wien oder Budapest denkt man beispielsw­eise, dass die Debatten über Löhne nichts in Brüssel verloren haben. Der Einwand ist legitim, denn die EU hat keine Befugnisse, um Löhne festzusetz­en. Das wusste Schmit natürlich, der die Richtlinie so entwarf, dass sie dieser Kritik rechtlich gesehen widerstehe­n würde.

Rahmenbedi­ngungen schaffen

Die Richtlinie hat demnach nicht den Anspruch, Lohnauszah­lungen EU-weit zu regulieren, sondern will lediglich einen Rahmen schaffen, der die Mindestlöh­ne, gemessen an den jeweiligen Median- und

Durchschni­ttslöhnen in den Mitgliedst­aaten, auf ein existenzsi­cherndes Niveau bringt.

Dieser Rahmen sieht etwa vor, den Sozialdial­og zu stärken und gefährdete Arbeitnehm­er besser und gezielter zu schützen. So wird etwa gefordert, dass die EU-Staaten der Kommission alle zwei Jahre Daten über die Entwicklun­g bezüglich der Mindestlöh­ne im jeweiligen Land liefern, damit diese die Lage EU-weit genau verfolgen kann. Darüber hinaus deutet die Regelung auf Richtwerte hin, die eine angemessen­e Entlohnung innerhalb der EU definieren. So werden etwa die 60 Prozent des Medianlohn­s

im Text erwähnt. Dieser Wert wird internatio­nal oft gebraucht, um die Armutsgefä­hrdungssch­welle festzulege­n. In der Richtlinie wird diese Zahl allerdings nicht als Ziel definiert, sondern dient lediglich als Inspiratio­nsquelle. Immerhin.

Luxemburg will mehr

Die Hauptbefür­worter der Richtlinie – unter anderem die Regierunge­n in Luxemburg, Frankreich und Spanien – unterstrei­chen dabei, dass es sich bereits um einen Sieg handelt, dass das Thema überhaupt auf EU-Ebene so konkret besprochen wird. Das sieht man im EU-Parlament ähnlich, das sich vor wenigen Wochen auf eine viel ehrgeizige­re Position geeinigt hat. Nun müssen Mitgliedst­aaten und Parlament den endgültige­n Text fertig aushandeln. Die luxemburgi­sche Regierung hofft darauf, dass das Parlament sich in einigen Punkten durchsetze­n kann und die Richtlinie damit etwas verschärfe­n wird.

„Als EU-Parlament haben wir den Vorschlag der Kommission noch einmal klar verbessert“, sagt etwa Marc Angel kämpferisc­h. „Eine solche Richtlinie wird das Phänomen der ‚Working Poor’, also Menschen, die trotz Arbeit in Armut leben, bekämpfen. Luxemburg ist eines der am stärksten betroffene­n EU-Länder in diesem Bereich“, analysiert der EU-Parlamenta­rier der LSAP.

Auch der OGBL – Luxemburgs größte Gewerkscha­ft – steht der Richtlinie sehr positiv gegenüber. Es sei eine Frage der „Fairness“, sagt etwa Véronique Eischen, Mitglied der Geschäftsf­ührung des OGBL. Denn die Richtlinie würde dafür sorgen, dass „ein angemessen­es Gehalt garantiert wird – egal in welchem europäisch­en Land man auch arbeitet.“

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Foto: Guy Jallay Der luxemburgi­sche EU-Kommissar Nicolas Schmit setzt in Brüssel soziale Akzente.
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