Zwischen Opfern und Aushandeln
Die neue Choreografie „Starving Dingoes“von Léa Tirabasso feiert am Mittwoch Premiere
Natürlich ist sie sich der Aufmerksamkeit bewusst. Léa Tirabasso hat mit „The Ephemeral Life of an Octopus“einfach einen echten Kracher gelandet, der international und dank der Unterstützung der nationalen Szene einschlagen konnte. Jetzt legt die 1985 geborene Choreografin mit „Starving Dingoes“nach. „In meiner kurzen Karriere hat gerade ,The Ephemeral Life of an Octopus’ mir als Künstlerin geholfen, meine Arbeitsweise zu verstehen und die Ästhetik genauer zu vertiefen, die mich interessiert. Und auch, wie man mit dem Körper physisch noch besser arbeiten kann.“
Die Proben mit ihren Tänzerinnen und Tänzern – Catarina Barbosa, Laura Patay, Karl Fagerlund Brekke, Alistair Goldsmith und Laura Lorenzi – laufen im Grand Théâtre, wo das Stück ab dem 8. Dezember als Uraufführung zu sehen sein wird; und das schon jetzt Folgetermine im DanceXchange Birmingham und dem Londoner The Place hat. Die Auflistung der institutionellen Projekt-Partner auf ihrer Website, die als Koproduzenten oder Wegbereiter zur Arbeit ihren Beitrag leisten, ist lang. Und das wiederum zeigt nicht nur das Vertrauen, sondern ist andererseits auch Ansporn, dieses Engagement zu verdienen.
Eben deshalb soll diese Arbeit mehr sein – durchrecherchiert und fundiert auf wissenschaftlichen und philosophischen Ansätzen. „Starving Dingoes“porträtiere „die Dringlichkeit zu leben, wild und leidenschaftlich“, so die Ankündigung. „Es ist ein Wettkampf für fünf Tänzer, die mit Hilfe des Körpers und seiner Sprache die lebensnotwendige, wenn auch brutale Notwendigkeit ausloten, zusammenzubleiben.“Das Stück erkunde „unsere möglichen Reaktionen auf das dysfunktionale Element einer Gruppe; es zu reparieren oder zu opfern, um das Ganze zu retten.“
Damit trifft Tirabasso natürlich auch auf eine Debatte, die jetzt gerade in Zeiten der Pandemie aktueller denn je scheint. Was tun wir Menschen, um als Gruppe, ja als Gesellschaft zu überleben, uns vor negativen Einflüssen zu schützen? Wie gehen wir mit dysfunktionalen Störfaktoren um?
Dabei beruft sich das Stück weniger auf soziologische Analysen als vielmehr auf die Philosophie, die Naturwissenschaft und die Medizin. Erstaunlicherweise hat das Projekt ganz offiziell mit Thomas
Stern, Simone Niclou und Aleksandra Gentry-Maharaj wissenschaftliche Berater – ganz abgesehen von Gabrielle Moleta, die als „Animal Transformation Coach“den Prozess begleitete.
Als Vorbereitung diente Tirabasso dank der Begleitung so unter anderem die Beschäftigung mit der Apoptose, dem „programmierten Zelltod“, bei dem einzelne biologische Zellen abgeschottet, gar vom Rest der Zellen abgetötet werden, um die Entwicklung und den Fortbestand des mehrzelligen Organismus zu schützen.
Eine Welt voller Härte
Letztlich macht sie sich so auch auf die Spur von rechtfertigter Gewalt und gleichzeitig von dem menschlich-moralischen Anspruch, alles zu tun, um Dysfunktionen noch anders aufzulösen, als dass Brutalität und Gewalt die Oberhand gewinnen. Dabei sucht sie nach Ritualen der Aus- und Verhandlung, was wiederum an Ballettwerke wie „Sacre du Printemps“erinnert.
Es sei fast ein Gefühl von Weltuntergang spürbar, eine Welt voll Härte, entmenschlicht, abgetrennt von der Kultur, so Tirabasso im Gespräch. Konkret stehe quasi der Tod im Raum, die Existenz einer fast hyperaktiven, wahnsinnigen und chaotischen Gruppe auf dem Spiel. „Wie wird diese Gruppe kämpfen, dem Tod die Stirn bieten? Wird die Gewalt entscheiden? Wie viel Brutalität entwickelt
Léa Tirabasso (o.) verlangt ihren Tänzerinnen und Tänzern (l. und u.) in ihrem neuen Stück „Starving Dingoes“viel ab. Premiere ist am 8. Dezember. sich?“– diese Fragen wirft die Truppe auf. Tirabasso hält dabei sie in ständiger Hochspannung; Körper, die ihren Muskeln kaum Pausen gönnen dürfen.
Dabei stellt Tirabasso heraus, wie sehr sie bewusst im Schulterschluss mit ihrem Team an der Arbeit feile. Das bezieht sich nicht nur auf die Tänzerinnen und Tänzer, sondern auch auf die Bühnenund Licht-Spezialisten Nicolas Tremblay und Thomas Bernard. Bewusst hätten sie sich die Zeit genommen, um Bilder und Ideen auszuarbeiten und mit ihnen zu experimentieren.
„Ich gebe zwar eine Richtung vor, aber lasse mich auch überzeugen, wenn wir gemeinsam als Kollektiv die Form finden, die uns als die bestmögliche erscheint“, sagt sie – und konnte dank der Unterstützungen der Partner darauf vertrauen, diese Experimente durchführen zu können; selbst wenn sie scheitern. „Ich bin so dankbar, weil mir das alles nicht nur einen projektbezogenen Rahmen gibt, sondern viel breitere Entwicklungsmöglichkeiten schafft, um meine choreografische Sprache zu formen“, betont die Künstlerin. Das Ergebnis ist ab Mittwoch zu sehen.
Was tun wir Menschen, um als Gruppe, ja als Gesellschaft zu überleben?
Karten (20 Euro) für die Aufführungen im Grand Théâtre (8., 9. und 10. Dezember jeweils um 20 Uhr) gibt es bei LuxembourgTicket unter Tel. 47 08 97-1.
www.leatirabasso.com