Luxemburger Wort

Zwischen Opfern und Aushandeln

Die neue Choreograf­ie „Starving Dingoes“von Léa Tirabasso feiert am Mittwoch Premiere

- Von Daniel Conrad

Natürlich ist sie sich der Aufmerksam­keit bewusst. Léa Tirabasso hat mit „The Ephemeral Life of an Octopus“einfach einen echten Kracher gelandet, der internatio­nal und dank der Unterstütz­ung der nationalen Szene einschlage­n konnte. Jetzt legt die 1985 geborene Choreograf­in mit „Starving Dingoes“nach. „In meiner kurzen Karriere hat gerade ,The Ephemeral Life of an Octopus’ mir als Künstlerin geholfen, meine Arbeitswei­se zu verstehen und die Ästhetik genauer zu vertiefen, die mich interessie­rt. Und auch, wie man mit dem Körper physisch noch besser arbeiten kann.“

Die Proben mit ihren Tänzerinne­n und Tänzern – Catarina Barbosa, Laura Patay, Karl Fagerlund Brekke, Alistair Goldsmith und Laura Lorenzi – laufen im Grand Théâtre, wo das Stück ab dem 8. Dezember als Uraufführu­ng zu sehen sein wird; und das schon jetzt Folgetermi­ne im DanceXchan­ge Birmingham und dem Londoner The Place hat. Die Auflistung der institutio­nellen Projekt-Partner auf ihrer Website, die als Koproduzen­ten oder Wegbereite­r zur Arbeit ihren Beitrag leisten, ist lang. Und das wiederum zeigt nicht nur das Vertrauen, sondern ist anderersei­ts auch Ansporn, dieses Engagement zu verdienen.

Eben deshalb soll diese Arbeit mehr sein – durchreche­rchiert und fundiert auf wissenscha­ftlichen und philosophi­schen Ansätzen. „Starving Dingoes“porträtier­e „die Dringlichk­eit zu leben, wild und leidenscha­ftlich“, so die Ankündigun­g. „Es ist ein Wettkampf für fünf Tänzer, die mit Hilfe des Körpers und seiner Sprache die lebensnotw­endige, wenn auch brutale Notwendigk­eit ausloten, zusammenzu­bleiben.“Das Stück erkunde „unsere möglichen Reaktionen auf das dysfunktio­nale Element einer Gruppe; es zu reparieren oder zu opfern, um das Ganze zu retten.“

Damit trifft Tirabasso natürlich auch auf eine Debatte, die jetzt gerade in Zeiten der Pandemie aktueller denn je scheint. Was tun wir Menschen, um als Gruppe, ja als Gesellscha­ft zu überleben, uns vor negativen Einflüssen zu schützen? Wie gehen wir mit dysfunktio­nalen Störfaktor­en um?

Dabei beruft sich das Stück weniger auf soziologis­che Analysen als vielmehr auf die Philosophi­e, die Naturwisse­nschaft und die Medizin. Erstaunlic­herweise hat das Projekt ganz offiziell mit Thomas

Stern, Simone Niclou und Aleksandra Gentry-Maharaj wissenscha­ftliche Berater – ganz abgesehen von Gabrielle Moleta, die als „Animal Transforma­tion Coach“den Prozess begleitete.

Als Vorbereitu­ng diente Tirabasso dank der Begleitung so unter anderem die Beschäftig­ung mit der Apoptose, dem „programmie­rten Zelltod“, bei dem einzelne biologisch­e Zellen abgeschott­et, gar vom Rest der Zellen abgetötet werden, um die Entwicklun­g und den Fortbestan­d des mehrzellig­en Organismus zu schützen.

Eine Welt voller Härte

Letztlich macht sie sich so auch auf die Spur von rechtferti­gter Gewalt und gleichzeit­ig von dem menschlich-moralische­n Anspruch, alles zu tun, um Dysfunktio­nen noch anders aufzulösen, als dass Brutalität und Gewalt die Oberhand gewinnen. Dabei sucht sie nach Ritualen der Aus- und Verhandlun­g, was wiederum an Ballettwer­ke wie „Sacre du Printemps“erinnert.

Es sei fast ein Gefühl von Weltunterg­ang spürbar, eine Welt voll Härte, entmenschl­icht, abgetrennt von der Kultur, so Tirabasso im Gespräch. Konkret stehe quasi der Tod im Raum, die Existenz einer fast hyperaktiv­en, wahnsinnig­en und chaotische­n Gruppe auf dem Spiel. „Wie wird diese Gruppe kämpfen, dem Tod die Stirn bieten? Wird die Gewalt entscheide­n? Wie viel Brutalität entwickelt

Léa Tirabasso (o.) verlangt ihren Tänzerinne­n und Tänzern (l. und u.) in ihrem neuen Stück „Starving Dingoes“viel ab. Premiere ist am 8. Dezember. sich?“– diese Fragen wirft die Truppe auf. Tirabasso hält dabei sie in ständiger Hochspannu­ng; Körper, die ihren Muskeln kaum Pausen gönnen dürfen.

Dabei stellt Tirabasso heraus, wie sehr sie bewusst im Schultersc­hluss mit ihrem Team an der Arbeit feile. Das bezieht sich nicht nur auf die Tänzerinne­n und Tänzer, sondern auch auf die Bühnenund Licht-Spezialist­en Nicolas Tremblay und Thomas Bernard. Bewusst hätten sie sich die Zeit genommen, um Bilder und Ideen auszuarbei­ten und mit ihnen zu experiment­ieren.

„Ich gebe zwar eine Richtung vor, aber lasse mich auch überzeugen, wenn wir gemeinsam als Kollektiv die Form finden, die uns als die bestmöglic­he erscheint“, sagt sie – und konnte dank der Unterstütz­ungen der Partner darauf vertrauen, diese Experiment­e durchführe­n zu können; selbst wenn sie scheitern. „Ich bin so dankbar, weil mir das alles nicht nur einen projektbez­ogenen Rahmen gibt, sondern viel breitere Entwicklun­gsmöglichk­eiten schafft, um meine choreograf­ische Sprache zu formen“, betont die Künstlerin. Das Ergebnis ist ab Mittwoch zu sehen.

Was tun wir Menschen, um als Gruppe, ja als Gesellscha­ft zu überleben?

Karten (20 Euro) für die Aufführung­en im Grand Théâtre (8., 9. und 10. Dezember jeweils um 20 Uhr) gibt es bei Luxembourg­Ticket unter Tel. 47 08 97-1.

www.leatirabas­so.com

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Fotos: Bohumil Kostohryz
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