Luxemburger Wort

Wie der Stein ins Rollen kam

MeToo-Initiatori­n Burke erzählt im neuen Buch „Unbound“erstmals ihre Geschichte

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New York. Eines Abends im Jahr 2005 wird Tarana Burke von ihren Sorgen und Gedanken überwältig­t. Sie lässt ihre kleine Tochter von einer Freundin abholen, weint sich in den Schlaf, wacht am nächsten Morgen auf, beginnt nachzudenk­en – und dann zu schreiben. Ganz oben auf die erste Seite notiert sie: „Me Too“(auf Deutsch etwa: „Ich auch“). Rund zehn Jahre später sollten diese zwei Worte als Teil einer ganzen Bewegung gegen sexuelle Belästigun­g über die sozialen Medien um die Welt gehen.

Spätestens mit den Vorwürfen gegen den Ex-Hollywood-Mogul Harvey Weinstein 2017 wird die Bewegung berühmt. Weinstein wird wenige Jahre später zu einer langen Haftstrafe verurteilt, andere Prominente wie R. Kelly oder Bill Cosby werden ebenfalls wegen sexueller Übergriffe schuldig gesprochen, weitere verlieren ihre Jobs. Aber obwohl die #MeTooBeweg­ung weltweit für Schlagzeil­en sorgt und Tausende Menschen sich über die sozialen Medien anschließe­n und von ihren eigenen Erfahrunge­n berichten, wissen wohl bis heute nur wenige, wer und was genau eigentlich dahinter steckt.

Das will die 1973 in der New Yorker Bronx geborene Burke mit ihrer gerade in den USA erschienen Autobiogra­fie „Unbound“nun ändern. Ihre Geschichte ist komplex, vielschich­tig und sehr oft sehr traurig. Burke erzählt von ihrer Kindheit, von ihrem Vater, der nie Teil ihres Lebens war, und von ihrer Mutter, die sehr streng sein konnte und häufig wechselnde, nicht immer angenehme Partner hatte, die ihre Tochter aber letztendli­ch doch auch unterstütz­te und prägte. Die anderen Kinder hänseln Burke und bezeichnen sie als hässlich.

Die einstige Vorzeige-Schülerin wird rebellisch und beginnt immer wieder Prügeleien. Das ändert sich erst, als sie in ein afroamerik­anisches Mentorenpr­ogramm aufgenomme­n wird, in das sie von da an all ihre Energie hineinstec­kt. Über Kontakte aus dem Programm zieht sie schließlic­h nach Alabama, studiert und arbeitet viele Jahre in der Stadt Selma in dem Mentorenpr­ogramm und als Aktivistin.

Sexuelle Übergriffe in ihrer Kindheit

Tief in ihrem Inneren verborgen hat Burke aber in all dieser Zeit zwei eigene verstörend­e Begegnunge­n mit sexuellen Übergriffe­n aus ihrer Kindheit. Bei ihrer Arbeit als Mentorin begegnen ihr immer wieder Kinder, vor allem Mädchen, mit ähnlichen Erfahrunge­n – und dass sie ihnen nicht adäquat helfen kann, bricht ihr das Herz. Als schließlic­h ihrer eigenen Tochter in Selma ebenfalls Ähnliches widerfährt, bricht es aus Burke heraus – sie merkt, sie muss sich mit ihrer eigenen Geschichte konfrontie­ren und diese erzählen, und sie muss einen Weg finden, anderen Betroffene­n zu helfen.

Seitdem hält Burke Vorträge und entwickelt und leitet entspreche­nde Jugendprog­ramme. „Ermächtigu­ng durch Empathie“ist dabei ihr Leitmotto. Aus #MeToo hat die inzwischen mit vielen Auszeichnu­ngen geehrte Burke längst auch eine ganze wohltätige Vereinigun­g gemacht. Als die beiden Worte aber 2017 über die sozialen Medien durch die Welt gingen – angeführt von prominente­n Schauspiel­erinnen wie Alyssa Milano – sei sie erstmal geschockt und überwältig­t gewesen, erinnert sich Burke gleich zu Beginn ihres Buches. So viele Jahre hatte sie da schon mit diesem Schlagwort gearbeitet und oft erfolglos um Anerkennun­g und Unterstütz­ung gekämpft. Sie habe zunächst Angst gehabt, dass das alles aus dem Kontext gerissen und ihr weggenomme­n werden würde, schreibt Burke. Dann aber sei ihr klar geworden, wie vielen Menschen auf der Welt damit gerade geholfen werde und sie habe Wege gefunden, sich und ihre Arbeit an die Spitze der Bewegung zu setzen.

Rückblicke­nd seien in den vergangene­n Jahren „absolut“Fortschrit­te erzielt worden, sagt Burke – warnt aber auch davor, diese nur an Verurteilu­ngen wie der von Weinstein festzumach­en. „Die Frage ist doch: Was hat MeToo möglich gemacht?“dpa

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Foto: dpa 2018 in Los Angeles: Tarana Burke, Initiatori­n der #MeToo-Bewegung, spricht beim LA Summit 2018.

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