Luxemburger Wort

Pandemie der Wut

Polizei ermittelt nach Ausschreit­ungen bei Corona-Demo

- Von Maximilian Richard

Luxemburg. Auf der Place de la Constituti­on kam es am Samstag wohl zur ersten Eskalation. Demonstran­ten warfen Absperrgit­ter um, setzten sich über die CovidCheck-Regeln hinweg und stürmten den Weihnachts­markt bei der Gëlle Fra, auf dem am Nachmittag viele Familien mit Kindern anzutreffe­n waren.

Bei jenem Mahnmal, das eigentlich an die Kriegsopfe­r der vergangene­n Weltkriege und damit auch die Zeit des Nationalso­zialismus erinnert, enthüllten vermummte Demonstran­ten ein Banner. Der CovidCheck wird darauf mit dem Judenstern gleichgest­ellt, der menschenve­rachtenden Zwangskenn­zeichnung aus der Zeit des Dritten Reichs. Es waren nicht die einzigen geschichts­revisionis­tischen Aussagen, die an diesem Tag zu hören oder auf Plakaten zu lesen waren. Und es blieb auch nicht die letzte Eskalation. Verletzte gab es nicht.

Laut der Polizei versammelt­en sich am Samstagnac­hmittag in der Innenstadt rund 2 000 Demonstran­ten, um ihren Unmut über die am Montag angekündig­ten Covid-Maßnahmen auszudrück­en. Die Menge verteilte sich im Laufe des Nachmittag­s in der Innenstadt. Auch der Weihnachts­markt auf der Place d‘Armes wurde gestürmt, nachdem vermummte Personen die Absperrung­en weggerisse­n hatten. Die Polizei musste aus Sicherheit­sgründen die Eingänge der Chamber versperren, weil sich die Lage dort zuspitzte.

Ein Teil der Demonstran­ten zog sogar vor die Privatwohn­ung von Premier Xavier Bettel (DP) und forderte dort lautstark dessen Rücktritt. Dabei kam es auch zu Sachbeschä­digungen. Demonstran­ten zerkratzen einen Wagen und warfen offenbar mit Eiern gegen die Hausfassad­e.

Der Premier befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause. Es bestanden offenbar Befürchtun­gen, dass die Demonstran­ten ebenfalls das Wohnhaus von Familienmi­nisterin Corinne Cahen (DP) aufsuchen würden. Laut Polizeimin­ister Henri Kox (Déi Gréng) wurde die Ministerin im Vorfeld aus Sicherheit­sgründen aufgeforde­rt, ihr Haus zu verlassen. Bereits am Dienstag hatten Bettel und Cahen ungebetene­n Besuch von einer kleineren Gruppe von Impfgegner­n erhalten.

Initiatore­n zeigen ihr Gesicht

Die Veranstalt­ung war nicht im Vorfeld angemeldet. In den sozialen Medien waren indes Aufrufe zu einem Treffen am Samstagnac­hmittag auf dem Glacis zirkuliert. Die Ankündigun­gen gingen stets mit dem Hinweis einher, dass die Organisato­ren unbekannt seien. Am Samstagabe­nd am Ende der Veranstalt­ung deuteten allerdings zwei Rednerinne­n an, mutmaßlich Teil der Initiatore­n zu sein.

Beide Frauen entstammen einer Gruppe von Aktivisten, die sich für das Durchführe­n eines Verfassung­sreferendu­ms einsetzt. Während die 53-jährige Chantal R. Teil des Comité d‘initiative ist, das eine Unterschri­ftenaktion in den Gemeinden für das Referendum erwirkt hat, gilt die 26-jährige Jessica P. als aktive Unterstütz­erin der Kampagne. Auf sozialen Medien engagiert sie sich mit Videos und Aufrufen für das Referendum.

Am Ende der Demonstrat­ion betonte etwa Chantal R., dass die Aktion nicht „organisier­t“gewesen sei. Man habe einen Post in den sozialen Medien erstellt und sei über den großen Andrang überrascht gewesen. Die Demonstrat­ionen sollen wiederholt werden, man wolle „versuchen“, dass die Aktionen zukünftig friedlich bleiben.

Beide Frauen äußerten sich in der Vergangenh­eit kritisch gegenüber der Covid-Politik. Chantal R. entschied sich gar laut einer RTLReporta­ge Anfang des Jahres dazu, ihre Kinder aufgrund der Maskenpfli­cht in den Schulen im Homeschool­ing zu unterricht­en.

Es liegt derweil nahe, dass weitere Mitglieder des Comité d‘initiative zu den Initiatore­n oder zumindest zu den direkten Unterstütz­ern zählen. So gehören Familienmi­tglieder von Chantal R. zu der Gruppierun­g. Des Weiteren riefen Mitglieder des Comité in den sozialen Medien aktiv zur Teilnahme an der Demonstrat­ion auf.

Grenzübers­chreitunge­n

Gestern gab Polizeimin­ister Henri Kox Details über den Polizeiein­satz am Samstag bekannt. Er betonte, dass jedem Bürger das Recht auf Demonstrat­ion und freie Meinungsäu­ßerung zustehe. Am Samstag seien allerdings von einem Teil der Teilnehmer Grenzen überschrit­ten worden, die nicht zu tolerieren seien. Es sei zum Hass aufgerufen und Vergleiche zur dunkelsten Zeit der Menschheit­sgeschicht­e gezogen worden. Menschen seien persönlich belästigt und es sei ihnen Angst eingejagt worden. Auch die Sachbeschä­digungen seien inakzeptab­el.

Kox sprach von einer „Radikalisi­erung“in der Bewegung. Die Polizei habe Ermittlung­en eingeleite­t. Straftaten werden an die Justiz weitergele­itet. Strafrecht­liche Konsequenz­en sind somit sowohl für die Teilnehmer als auch die Organisato­ren nicht ausgeschlo­ssen. Die Polizei wolle nun die operativen Polizeimaß­nahmen für solche

Demonstrat­ionen überarbeit­en. Man wolle zukünftig besser gewappnet sein. Dafür sollen weitere Analysen durchgefüh­rt werden.

Thierry Fehr, Directeur des opérations der Polizei, betonte indes, dass die Demonstrat­ion nicht angemeldet gewesen sei. Man habe über die sozialen Netzwerke davon erfahren und eine Risikoanal­yse durchgefüh­rt.

„Es gab bereits viele Demonstrat­ionen während der Pandemie. Die waren bisher alle ziemlich friedlich. Wir wussten aber, dass die Demo am Samstag aufgeheizt­er werden könnte“, so Thierry Fehr. Deshalb sei auch ein größeres Polizeiauf­gebot im Einsatz gewesen. Zahlen über die eingesetzt­en Beamten wurden indes nicht genannt. Aus den neuen Erkenntnis­sen durch diese Demonstrat­ion müssten nun Konsequenz­en gezogen werden.

In der Tat finden seit einem Jahr in der Hauptstadt jedes Wochenende kleinere Demonstrat­ionen gegen die Corona-Maßnahmen unter dem Namen „Saturday for Liberty“statt. Sie sind bislang weitgehend friedlich verlaufen – ebenso wie die Marches blanches silencieus­es, die seit September im Zweiwochen­rhythmus organisier­t werden. Auch an diesem Samstag war eine „Saturday for Liberty“Kundgebung geplant. Beide Gruppen schlossen sich schließlic­h auf der Kinnekswis­s zusammen.

Die Organisato­ren der „Saturday for Liberty“-Kundgebung gehörten derweil zu jenen Demonstran­ten, die bereits am Dienstag die

Es ist eine Grenze überschrit­ten worden und das können wir nicht tolerieren.“Polizeimin­ister Henri Kox

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