Wahnsinn in der Wüste
Das WM-Duell der Formel 1 zwischen Lewis Hamilton und Max Verstappen eskaliert erneut
Im irren Premierenrennen von Saudi-Arabien mit Crashs, SafetyCar-Phasen und Unterbrechungen hat Lewis Hamilton die vorzeitige Krönung von Max Verstappen verhindert und das ultimative Finale im völlig vergifteten WM-Duell der Generationen am kommenden Sonntag in Abu Dhabi perfekt gemacht. Verstappen musste sich gestern nach einer Fünf-Sekunden-Strafe und mehrfacher knallharter Kompromisslos-Attacken gegen den Briten im AdrenalinAchterbahnrennen dem Formel-1Titelverteidiger geschlagen geben.
Hamilton zog nach Punkten mit dem 24 Jahre alten Niederländer mit dem dritten Sieg in Serie und der schnellsten Runde beim mitreißenden PS-Thriller mit Überlänge in der WM-Führung gleich – was für ein Hollywood-Szenario für das letzte Rennen dieser Saison.
„Großartiger Job, Jungs, so mag ich das“, funkte Hamilton nach seinem 103. Karrieresieg an die Mercedes-Box. Verstappen bleibt im Red Bull nur noch wegen der größeren Anzahl an Siegen vorn. Mit einem demolierten Frontflügel nach einer unfassbaren Kollision rettete sich Hamilton auf dem Dschidda Corniche Circuit ins Ziel eines mehr als denkwürdigen Rennens.
Psychoduell
Alle hatten es geahnt und befürchtet. Und schon in der Startaufstellung, in der sich Mechaniker zwischen den Streckenmauern dicht an dich drängten, wurde klar, wie eng dieser Kurs ist. In der Qualifikation hatte Verstappen unliebsame Bekanntschaft mit den Barrikaden gemacht, als er auf seiner famos schnellen Runde einschlug. Nerven beim Niederländer? Im Psychoduell mit Hamilton bewies der einstige Heißsporn und Wüterich eigentlich: In seinem auch schon siebten Jahr in der Motorsport-Königsklasse sollte Verstappen titelreif sein. Aber auch komplett kompromisslos – und das könnte ihm den Titel wiederum kosten.
Aus luftiger Höhe sahen die Mitglieder der Königsfamilie einen Start nach Maß für Hamilton und dessen Teamkollegen Valtteri Bottas, der am Ende Dritter wurde. Keine Attacke möglich für Verstappen. An Bottas, der in diesem Jahr schon öfter mal bei seiner Helferrolle patzte, kam er diesmal nicht ran, an Hamilton erst recht nicht. Und siehe da: anfangs nicht ein einziger Crash trotz Highspeed
Grand Prix von Saudi-Arabien (50 Runden/308,700 km): 1. Lewis Hamilton (GB) Mercedes in 2.06'15''118, 2. Max Verstappen (NL) Red Bull auf 11''825, 3. Valtteri Bottas (FIN) Mercedes 27''531, 4. Esteban Ocon (F) Alpine 27''633, 5. Daniel Ricciardo (AUS) McLaren 40''121, 6. Pierre Gasly (F) AlphaTauri 41''613, 7. Charles Leclerc (MON) Ferrari 44''475, 8. Carlos Sainz jr. (E) Ferrari 46''606, 9. Antonio Giovinazzi (I) Alfa Romeo 58''505, 10. Lando Norris (GB) McLaren 1'01''358, 11. Lance Stroll (CAN) Aston Martin 1'17''212, 12. Nicholas Latifi (CAN) Williams 1'23''249, 13. Fernando Alonso (E) Alpine, 14. Yuki Tsunoda (JPN) AlphaTauri,
und wenig Platz. Doch an diesem Tag unter dem Flutlicht an der Blauen Lagune galt alles Interesse nur dem Zweikampf um den Titel. Klar war, Verstappen müsste weit vor Hamilton ins Ziel kommen. Mit nur acht Punkten mehr war er gestartet, nachdem der 36 Jahre alte Brite mit seinen Siegen in Brasilien und Katar bereits aufgeholt hatte. Szenarien gab es reichlich, wie Verstappen Weltmeister würde: Doch Stand nach den ersten Runden: Hamilton würde mit Verstappen gleichziehen.
Was tun? Das Risiko einer Karambolage und damit einem möglichen Aus bei einem Überholversuch war groß und die Gefahren lauerten überall: Zum Leidwesen von Mick Schumacher, der seinen Haas frühzeitig mächtig demolierte. Das Safety Car musste raus. Mercedes holte beide Autos zum Reifenwechsel rein. Verstappen blieb draußen und übernahm die Führung vor Hamilton und Bottas.
War das die taktische Finesse, auf die Red Bull nur gelauert hatte? Nun lag das Risiko plötzlich eher beim Briten im weiterhin schwarz lackierten Silberpfeil. Und nicht nur eher: Denn es dauerte zu lange, um das Haas-Wrack zu bergen, das Rennen wurde unterbrochen. Hamilton funkte: „Heißt das, er kann Reifen wechseln?“Die Mercedes-Box antwortete: „Leider Lewis, ist das so.“Mit „er“war Verstappen gemeint, der nun alle Vorteile bei sich hatte. „Wir haben zu sehr gezockt“, motzte Hamilton. Sein Renningenieur antwortete nur noch kleinlaut.
Viele Unterbrechungen
16 Minuten nach dem Abbruch rollten die Wagen wieder los zum stehenden Start: Hamilton kam diesmal von Platz zwei innen besser weg, zog vor Verstappen in die Kurve, der verließ die Strecke, um die Attacke erfolgreich zu kontern – ein klarer Regelverstoß, weil sich Verstappen einen Vorteil verschaffte. Hamilton musste sogar so
Fahrerwertung: 1. Verstappen 369,5 Punkte, 2. Hamilton 369,5, 3. Bottas 218, 4. Perez 190, 5. Leclerc 158, 6. Norris 154, 7. Sainz jr. 149,5, 8. Ricciardo 115, 9. Gasly 100, 10. Alonso 77, 11. Ocon 72, 12. Vettel 43, 13. Stroll 34, 14. Tsunoda 20, 15. Russell 16, 16. Räikkönen 10, 17. Latifi 7, 18. Giovinazzi 3
Bei Punktgleichheit werden die besten Einzelresultate hinzugezogen.
Teamwertung: 1. Mercedes 587,5 Punkte, 2. Red Bull 559,5, 3. Ferrari 307,5, 4. McLaren 269, 5. Alpine 149, 6. AlphaTauri 120, 7. Aston Martin 77, 8. Williams 23, 9. Alfa Romeo 13 bremsen, dass auch noch Esteban Ocon vorbeikam. Zeit genug, sich die Bilder anzuschauen gab es direkt danach: Hinten krachte es, unter anderem schied Nikita Mazepin aus, auch Sergio Perez im zweiten Red Bull.
Wieder Unterbrechung. Und nun auch noch ein Funk-Hin-undHer der Extraklasse. Rennleitung an Red Bull, Red Bull an Rennleitung, Rennleitung an Mercedes mit dem Ergebnis: Auf eine Untersuchung des Vorfalls und damit eine vermutliche Fünf-Sekunden-Strafe würde verzichtet, wenn Verstappen Ocon und Hamilton vorbeilassen würde. Das machten Verstappen und Red Bull, zogen aber die etwas schnelleren und weicheren Reifen auf.
Dritter Start beim vorletzten Rennen: Die Gummirechnung ging auf. Verstappen zeigte, dass er das Risiko auch in einem entscheidenden Rennen nicht scheut, er kam am besten weg und schoss innen an Hamilton vorbei auf Platz eins. Doch Hamilton machte Druck. Und es eskalierte. Wolff krachte seine Kopfhörer wutentbrannt auf den Tisch. Verstappen hatte offensichtlich gelupft, als Hamilton erneut vorbeiziehen wollte.
Das Team hatte ihm gesagt, er solle die Position zurückgeben. Zuvor hatte der Niederländer nämlich erneut eine Attacke gekontert und dabei die Strecke verlassen. Nach den Crashs in Silverstone und Monza erreichte das vergiftete Duell noch mal eine neue Dimension. Verstappen ließ Hamilton zwar wieder vorbei, attackierte aber direkt wieder. Die Rennleitung hatte genug: Er bekam eine Fünf-Sekundenstrafe. dpa