Karl und Compagnie
Das Scholz-Kabinett ist komplett – und das grüne Ja zum Ampel-Vertrag seit gestern auch da
So ist das in diesen Tagen in Berlin: Wen interessiert, wer künftig regiert – der muss auf die Abschiedsauftritte der gerade noch Amtierenden verzichten. Das bedeutet, beispielsweise, dass man sich gestern Vormittag entscheiden musste zwischen Karl Lauterbach (vielleicht) – und Peter Altmaier (sicher).
Schon wegen des Vielleicht musste man Lauterbach wählen. Und verpasste dabei eine hübsche kleine Geschichte davon, wie Altmaier (schwarz) einst seine Mobiltelefonnummer seinem jetzigen Nachfolger Robert Habeck (grün) zukommen lassen wollte – was, wegen eines Hacks, mit nächtlichen Anrufen endete, bei denen Altmaier sagen sollte, „weshalb ich meine Weight-Watchers-Diät abgebrochen habe“. Man lernt dabei, dass Machtverlust befreiend wirkt, zumal auf einen heiteren Selbstironiker von Gnaden wie Altmaier.
Wie sehr Macht beschwert, sogar schon ehe man sie ganz offiziell hat – das wiederum ist an Olaf Scholz zu betrachten, der am Mittwoch Kanzler sein wird. Eigentlich ist dies ein heiterer Anlass, auch die SPD hat endlich ihre Ministerinnen und Minister beisammen und stellt sie vor. Und fast bis zum Schluss ist die LauterbachFrage spannend geblieben und unbeantwortet auch. Und während nun im Atrium der SPD-Zentrale im Hintergrund gelacht und gekichert wird – da sagt Scholz tatsächlich: „Wir sind jetzt… an einem ganz bestimmten Moment vor der… bevorstehenden Regierungsbildung, die in dieser Woche stattfinden soll.“
Das Rätseln hat ein Ende
Sollte Angela Merkel tatsächlich ihren Meister finden an Sprödigkeit und rhetorischer Grobschnitzerei? Seit Tagen rätselt die Republik,
ob Scholz Karl Lauterbach ins Kabinett nimmt – oder ob er es lässt.
Schon dass diese Frage überhaupt eine ist, kann jenseits des Regierungsviertels kaum wer begreifen. Wenn der Kampf gegen die Pandemie ein Gesicht hat – dann das von Lauterbach. Nicht bloß, weil niemand sonst so oft in den Talkshows saß. Auch weil er sich, anders als etwa Jens Spahn, der zuständige Minister, kaum korrigieren musste.
„Draußen im Land“, wie es in Berlin heißt, nennen sie das „Haltung“.
Und sehr viele finden, dass Lauterbach zwar „ein bisschen speziell“sei – aber als neuer Bundesgesundheitsminister erste Wahl. Nur die SPD, so insgesamt, hat Zweifel.
„Er wird es“, sagt Scholz – nachdem er zuvor drei andere präsentiert hat – zuallererst seine größte Überraschung: Nancy Faeser als künftige Innenministerin. Es ist, sozusagen, der Merkel-Moment der SPD: Faeser ist die erste Frau in diesem Amt. Und mit ihr – der 51 Jahre alten Juristin und Fraktionschefin im Hessischen Landtag
– hat in Berlin niemand gerechnet.
Von Anfang an hatte Scholz für sein Kabinett Parität versprochen. Zählt er sich als künftigen Kanzler dazu – geht es sich bei diesem Auftritt aus für die SPD. Die Frauen sind: fürs Innere Faeser, für Verteidigung die derzeitige Justizministerin Christine Lambrecht (56), für wirtschaftliche Zusammenarbeit die aktuelle Umweltministerin Svenja Schulze (53), für Bauen und Wohnen Klara Geywitz (45). Die Potsdamerin war 2019 Scholzens Partnerin im vergeblichen Kampf um den SPD-Vorsitz. Und sie bringt den Osten ins Kabinett. Die Männer: Lauterbach, Minister für Arbeit und Soziales bleibt Hubertus Heil (49), Chef des Kanzleramts wird Scholzens langjähriger Vertrauter Wolfgang Schmidt (51), aktuell sein Staatssekretär im Finanzministerium.
Aufbruch in die Wirklichkeit
Von Parität aber jenseits der abzählbaren hält Scholz wenig. Bis nichts. Faeser lässt er bei einer an sie gerichteten Frage gar nicht zu Wort kommen, Lauterbach immerhin gesteht er „zwei Sätze“zu. Das kann – wenn ab Mittwoch alle Amplerinnen und Ampler im Kabinettssaal sitzen – heiter werden.
Aber zum Lachen – oder dem Gegenteil – fehlt, als Letztes, das Ergebnis des grünen Mitgliederentscheids über den Koalitionsvertrag. Bis mittags um eins darf online abgestimmt werden. Kurz nach halb drei steht fest: gut 86 Prozent Zustimmung zu Koalitionsvertrag und Regierungsteam. Allerdings haben nur 57 Prozent der Mitglieder mitgemacht. „Stark“will Annalena Baerbock, die nächste Außenministerin, das dennoch finden – und überhaupt alles: Ergebnis, Bundesregierung, Kabinett.
„Danke“sagt Robert Habeck, in zwei Tagen Minister für Wirtschaft und Klimaschutz. „Dankbar“ist Steffi Lemke, die künftige Umweltministerin. „Wahnsinnig geehrt“fühlt sich Anne Spiegel, bald Ressortchefin für Familien, „ganz besonders geehrt“der designierte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. „’n ziemlich MegaErgebnis“lobt schließlich Claudia Roth, nächstens als Staatsministerin zuständig für Kultur. Und dass das „ein Aufbruch in die Wirklichkeit“sei.
Ein Satz, den Peter Altmaier nicht gesagt hat. Aber ganz sicher schon gedacht. Denn für ihn – trifft er zu.