Klare Botschaft, schwammige Richtlinie
Die 27 EU-Staaten geben grünes Licht für ein europäisches Gesetz über gerechte Mindestlöhne
Netter Zufall: Ausgerechnet an seinem Namenstag haben die Regierungen der 27 EU-Staaten eine Einigung über die Richtlinie für gerechte Mindestlöhne gefunden – eines der Kernprojekte von Nicolas Schmits Amtszeit als EUKommissar für Beschäftigung und Soziales. „Ich bin sehr glücklich darüber“, so der LSAP-Politiker.
Auch Taina Bofferding, Luxemburgs Ministerin für Chancengleichheit (ebenfalls LSAP), freute sich gestern über die Einigung in Brüssel: „Es ist ein gutes Zeichen – prekäre Arbeitnehmer werden innerhalb der Europäischen Union dadurch zusätzlich geschützt“.
Die Richtlinie schafft einen europäischen Rahmen, damit Mindestlöhne, gemessen an den jeweiligen Median- und Durchschnittslöhnen
in den Mitgliedstaaten, ein angemessenes Niveau erreichen können. Dieser Rahmen sieht etwa vor, den Sozialdialog zu stärken und gefährdete Arbeitnehmer gezielter zu schützen. So wird etwa gefordert, dass die EU-Staaten der Kommission alle zwei Jahre Daten über die Entwicklung bezüglich der Mindestlöhne im jeweiligen Land liefern, damit diese die Lage EU-weit genau verfolgen kann. Außerdem werden einige Richtwerte genannt, um „angemessene“Mindestlöhne zu definieren. „Noch vor wenigen Jahren hätte kein Mensch geglaubt, dass dies möglich sei“, sagte Nicolas Schmit gestern. Tatsächlich beinhaltete der Richtlinien-Vorschlag genügend Sprengmaterial, um im Rat der EU-Staaten zu scheitern. „Es gab heftige Auseinandersetzungen“, berichtete Taina Bofferding. Aus Skandinavien kam etwa fundamentaler Widerstand. Denn in Ländern wie Schweden oder Dänemark regeln seit jeher Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern tarifliche Fragen einvernehmlich – ohne jegliche Intervention der Politik. In Stockholm oder Kopenhagen befürchtete man demnach, dass eine EU-Regel zum Thema Mindestlöhne dieses System durch die Hintertür schwächen könnte.
Doch diesen Befürchtungen wurde in den Verhandlungen Rechnung getragen. Der Kompromisstext
spricht sehr viel vom Respekt der nationalen Traditionen im Arbeitsbereich und will die Auflagen für jene Staaten, die eine hohe Abdeckung von Tarifverträgen vorweisen, mindern. Nichtsdestotrotz stimmte Dänemark am Ende gegen die Kompromisslösung – „aus Prinzip“.
Dänemark bleibt dagegen
„Es ging niemals darum, einen EUweiten Mindestlohn einzuführen“, erläuterte Schmit. „Die EUVerträge verbieten das ohnehin“. „Ich glaube aber, dass es sich dennoch um einen großen Fortschritt handelt“, so der Kommissar. „Die Botschaft der EU ist heute: Die Löhne müssen steigen. Das war nicht immer der Fall ...“
Taina Bofferding bedauert dennoch, dass die Verhandlungen dazu geführt haben, dass Schmits Anfangsvorschlag deutlich verwässert wurde. „Es bleibt ein Kompromiss“, so die Ministerin, die darauf hofft, dass die anstehenden Verhandlungen mit dem EUParlament zu einer Verschärfung der Richtlinie führen. „Nach unten gibt es keinerlei Spielraum mehr“.
Bofferding machte gleichzeitig klar, dass die EU in der Frage der gerechten Löhne nicht alle Probleme lösen kann und dass die Regierung noch vorhabe, national gegen das Phänomen der „Working poor“', also Menschen, die trotz Arbeit in Armut leben, vorzugehen. Der Sozialdialog und die Sozialleistungen müssten weiter gestärkt werden, so die LSAP-Politikerin. Eine gerechtere Wohnungspolitik sei aber auch ein wichtiger Teil der Lösung, weil viele Luxemburger Bürger den Großteil ihrer Einnahmen dafür ausgeben, ein Dach über dem Kopf zu haben.
Die Botschaft der EU ist heute: Die Löhne müssen steigen. EU-Kommissar Nicolas Schmit