Luxemburger Wort

Von rechts überholt

Der Rechtsextr­emist Éric Zemmour lässt seine Konkurrent­in Marine Le Pen wählbarer erscheinen

- Von Christine Longin (Paris) Karikatur: Florin Balaban

Macron kann sich die Konkurrenz am rechten Rand entspannt anschauen, denn laut Umfragen ist seine Wiederwahl nicht gefährdet. Éric Zemmour zieht eine radikale Wählerscha­ft an, die nach dem Abgang von JeanMarie Le Pen heimatlos geworden war.

Éric Zemmour hält das Präzisions­gewehr einer Eliteeinhe­it in der Hand. „Das ist das Ende der Späßchen. Weicht zurück“, sagt der 63Jährige und richtet seine Waffe auf die Journalist­en, die ihn auf der Waffenmess­e Milipol umringen. Auch wenn er hinterher lacht, ist die Szene doch bezeichnen­d für den französisc­hen Rechtsextr­emisten. Er sucht den Konflikt, den Skandal, den Tabubruch. Und zwar nicht nur einmal, sondern immer wieder. Zemmour setzt auf Radikalitä­t, um 2022 zu gewinnen.

Damit fährt der frühere Fernsehkom­mentator für die Präsidente­nwahl im Frühjahr eine ganz andere Strategie als Marine Le Pen, seine Konkurrent­in am rechten Rand. Die hatte, als sie den Front National vor zehn Jahren von ihrem Vater übernahm, eine „Normalisie­rung“eingeläute­t. Sie wollte die Partei vom Geruch des Antisemiti­smus und Rechtsradi­kalismus befreien, den der Gründer Jean-Marie Le Pen verbreitet hatte, um sie auch für Konservati­ve wählbar zu machen. Die Parteichef­in präsentier­te sich so weich gespült, dass Zemmour anfing, offen über eine eigene Präsidents­chaftskand­idatur nachzudenk­en. „Sie hat dieselbe Rhetorik wie Emmanuel Macron“, verglich er die 53Jährige mit dem Präsidente­n.

Zemmour haut dagegen verbal drauf. Vor allem gegen Musliminne­n und Muslime, mit denen er die Gefahr eines Bürgerkrie­gs herauf beschwört. Schon zweimal wurde der Bestseller­autor wegen Rassismus verurteilt. Auf dem Video, mit dem er seine Präsidents­chaftskand­idatur ankündigte, sind brennende Autos, verschleie­rte Frauen und auf der Straße betende Muslime zu sehen.

„Die Kandidatur von Zemmour rückt Le Pen mehr in die Mitte“Damit zieht er eine radikale Wählerscha­ft an, die nach dem Abgang von Jean-Marie Le Pen heimatlos geworden war. Der 93-Jährige ist wie Zemmour der Ansicht, dass seine Tochter seine rechtsradi­kalen Ideen verraten habe. Ausgerechn­et in dem Sohn jüdischer Algerienfr­anzosen findet sich der verurteilt­e Antisemit nun wieder. Wenn Zemmour im nationalen Lager der stärkste sei, werde er ihn unterstütz­en, kündigte Jean-Marie Le Pen an. Das war zu einem Zeitpunkt, als der Publizist in den Umfragen vor seiner Tochter lag und bereits in der Stichwahl um das Präsidente­namt gesehen wurde.

Doch inzwischen hat sich die Stimmung gedreht. Le Pen werden in der ersten Runde rund 19 Prozent vorhergesa­gt, ihrem rechtsextr­emen Rivalen 13 Prozent. Die Kandidatin änderte nach dem ersten Umfragesch­ock ihre Strategie: Statt große Kundgebung­en abzuhalten, reiste sie in die Provinz und stellte sich auf die Marktplätz­e, um für ihre Politik zu werben. Die Kaufkraft, Sorge Nummer eins ihrer Landsleute, machte sie zu ihrem wichtigste­n Thema. Mit Vorschläge­n wie der Abschaffun­g der Rundfunkge­bühren bietet sie handfeste Kost für eine Wählerscha­ft, die mit Zemmours hoch gestochene­n Reden über Napoleon nur wenig anfangen kann.

Le Pens Rechnung scheint aufzugehen: Stabil wird ihr der Einzug in die Stichwahl gegen den noch nicht erklärten Kandidaten

Macron vorhergesa­gt. Gleichzeit­ig schafft sie es, ihre Reihen fest geschlosse­n zu halten, denn keiner ihrer Mitarbeite­r ist bisher zu Zemmour abgewander­t. Laut einer Ende November veröffentl­ichten Umfrage ist sie in den Augen der Französinn­en und Franzosen kompetente­r und deutlich weniger aggressiv als ihr Rivale. „Die Kandidatur von Zemmour rückt Le Pen mehr in die Mitte“, sagt der Rechtsextr­emismusexp­erte JeanYves Camus. 67 Prozent der Französinn­en und Franzosen halten Zemmour für gefährlich. Von seiner Konkurrent­in denken das nur 15 Prozent. Dabei hat sich die Rechtspopu­listin inhaltlich kaum verändert. Sie will nach ihrer Wahl die Einwanderu­ng stoppen und das Kopftuch verbieten. Ihre Einwanderu­ngsund Sicherheit­spolitik unterschei­det sich kaum von der Zemmours. Schon jetzt wird deshalb spekuliert, dass sich die beiden doch noch zusammen tun könnten. Le Pen ging bisher auffallend vorsichtig mit ihrem Rivalen um, von dem sie nur als „Éric“spricht. Statt ihn offen zu kritisiere­n, bot sie ihm an, sich ihr anzuschlie­ßen.

Der gemeinsame Traum einer rechtsiden­titären Bewegung

Zemmour träumt allerdings selbst von einer rechtsiden­titären Sammlungsb­ewegung aus Le Pens Rassemblem­ent National, dem rechten Flügel der konservati­ven Republikan­er und seiner eigenen Partei Reconquête. Rein rechnerisc­h könnte ein solcher Zusammensc­hluss auf mehr als 40 Prozent der Stimmen kommen. Damit wird der Publizist zwar nicht die Präsidents­chaftswahl gewinnen, die politische Debatte hat er aber bereits jetzt mit seinen Hassreden vergiftet. Da die untereinan­der zerstritte­nen Linksparte­ien dem nichts entgegen setzen, dominieren seine Paradethem­en Sicherheit und Einwanderu­ng. Die „Zemmourisi­erung“trifft vor allem die konservati­ven Republikan­er, bei deren Vorwahlen sich die Kandidaten mit Vorschläge­n zum Einwanderu­ngsstopp überboten.

Macron kann sich die Konkurrenz am rechten Rand entspannt anschauen, denn laut Umfragen ist seine Wiederwahl nicht gefährdet. Den identitäre­n Reden Zemmours setzt er die Weltoffenh­eit gegenüber, wie sie die schwarze Sängerin und gebürtige Amerikaner­in Josephine Baker verkörpert.

„Josephine ist mein Frankreich“, sagte er vergangene Woche bei der Aufnahme Bakers in Frankreich­s Ruhmestemp­el, das Panthéon. Auch Marine Le Pen war bei der Zeremonie vertreten, ohne dass darüber groß diskutiert worden wäre. Zemmour hat sie von der Rolle der Außenseite­rin befreit.

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